Diagnose Krebs
Atemwegsinfekte können Metastasen wecken
Wenn Krebspatienten an Grippe, Corona oder einer anderen Atemwegsinfektion erkranken, kann das die Bildung von Metastasen auslösen.

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Virale Atemwegsinfektionen wie Grippe oder Covid-19 können gestreute Krebszellen in der Lunge reaktivieren und dadurch die Metastasenbildung fördern.
Von Markus Brauer
Viele Krebspatienten sterben nicht an ihrem Primärtumor, sondern an den Metastasen. Diese entwickeln sich aus gestreuten Krebszellen, die sich über das Blutbahn in andere Organe ausbreiten und dort einnisten.
Darauf folgt oft eine lange Periode der Ruhe: Die Metastasenzellen bleiben zunächst inaktiv und können als „Schläfer“ selbst aggressive Chemotherapien überstehen. Jahre oder sogar Jahrzehnte später erwachen diese gestreuten Krebszellen dann wieder und bilden Metastasen – beim Brustkrebs besonders häufig in Lunge, Knochen oder Leber.
Was ist der Auslöser?
Aber was weckt die gestreuten Krebszellen auf? „Um die Metastasenbildung aufzuhalten, ist es entscheidend, die Mechanismen zu verstehen, die die Ruhephase der gestreuten Krebszellen unterbrechen“, erklären Shi Chia von der University of Colorado in Bpulder und seine Kollegen im Fachjournal „Nature“.
Bisherige Studien deuten darauf hin, dass Signalmoleküle aus der Umgebung der Krebszellen und umprogrammierte Immunzellen eine Rolle spielen.
COVID-19 & flu don’t just harm the lungs—they may reignite dormant breast cancer. New research shows viral infections can trigger deadly metastasis. https://t.co/n9Fi40CEUT#BreastCancer#COVID19#HealthAlert — Nature's Medicines (@NatMed_Research) July 31, 2025
Einen weiteren Faktor haben jetzt Chia und seine Kollegen identifiziert. Ausgangspunkt dafür waren Beobachtungen während der Corona-Pandemie: „Während der Pandemie gab es Berichte über eine mögliche Zunahme auch der Krebstoten“, erklärt Koautor Julio Aguirre-Ghiso vom Albert Einstein College of Medicine in New York City. Dies stützt Hinweise darauf, dass auch die durch Infektionen ausgelösten Entzündungen ruhende Krebszellen aktivieren können.
Bis zu tausendfach höhere Metastasenlast
Dieser Spur sind die Forscher nun weiter nachgegangen. Für ihre Studie überprüften sie den Zusammenhang von Vireninfektionen und Krebsmetastasen zunächst bei Mäusen mit Brustkrebs und bereits in die Lunge gestreuten, aber ruhenden Krebszellen. Das Team infizierte diese Tiere und eine Vergleichsgruppe nicht krebskranker Mäuse mit Influenzaviren oder SARS-CoV-2.
Schon wenige Tage nach Infektion hatten sich die Krebszellen in den Lungen der Mäuse drastisch vermehrt. „Auffallend war, dass die Metastasenlast zwischen dem dritten und 15. Tag um das 100 bis 1000-Fache zunahm“, berichten Chia und sein Team. Ein Biomarker in den Krebszellen bestätigte, dass es sich um Abkömmlinge der schon zuvor bestehenden, aber nun wiedererwachten gestreuten Krebszellen handelte.
„Wie eine wiederaufflammende Glut“
Dieses Ergebnis zeigt, dass virale Atemwegsinfektionen wie Grippe oder Covid-19 die gestreuten Krebszellen in der Lunge reaktivieren und dadurch die Metastasenbildung fördern können. Seniorautor James DeGregori von der University of Colorado vergleicht diesen Effekt mit dem Wiederaufflammen eines Feuers. „Die ruhenden Krebszellen sind wie die Glut eines verlassenen Lagerfeuers und die Atemwegsviren wie ein starker Wind, der die Flammen neu entfacht“, erklärt der Forscher.
Nähere Analysen zeigen, wie die viralen Infektionen die Krebszellen aufwecken. Demnach setzen die infizierten Lungenzellen große Mengen des Entzündungsbotenstoffs Interleukin-6 frei. Dieser Botenstoff löst in den ruhenden Krebszellen eine Reaktionskaskade aus, die sie reaktiviert, wie Chia und seine Kollegen herausfanden.
Allerdings erklärt dies noch nicht, warum sich die wiedererwachten Krebszellen auch noch Monate nach abgeklungener Infektion besonders schnell vermehrten. „Das spricht für die Präsenz weiterer Faktoren“, konstatieren die Wissenschaftler.
Tatsächlich stellten sie fest, dass auch „umprogrammierte“ Immunzellen das Metastasenwachstum begünstigen: T-Helferzellen (CD4+) hemmen die T-Killerzellen und verhindern so, dass sie die Krebszellen erkennen und abtöten.
Fast zweifach erhöhte Sterblichkeit beim Krebspatienten mit Corona
Doch sind diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar? Um dies zu überprüfen, haben Chia und seine Kollegen epidemiologische Daten aus dem Jahr 2020 ausgewertet – der ersten Phase der Corona-Pandemie. Sie analysierten die Mortalität von 35.000 Brustkrebs-Patientinnen in den USA und 4800 Krebspatienten in Großbritannien während dieser Zeit.
„Wir haben eine fast zweifach erhöhte Sterblichkeit bei den Krebspatienten festgestellt, die in dieser Zeit positiv auf Corona getestet worden waren, im Vergleich zu nicht infizierten Patienten“, berichten die Forscher. Ähnliches zeigte sich bei den Brustkrebspatientinnen in den USA: Sie entwickelten nach einer Coronainfektion 50 Prozent häufiger Lungenmetastasen als ohne.
Prävention und Therapien
Nach Ansicht von Chia und seinem Team bestätigen diese epidemiologischen Daten den Zusammenhang von viralen Atemwegsinfektionen und dem Wiedererwachen von ruhenden Krebszellen in der Lunge. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebsüberlebende nach Atemwegsinfektionen ein erhöhtes Risiko für das Wiederauftreten von Metastasen haben könnten“, erläutert Koautor Roel Vermeulen von der Universität Utrecht.
Die Resultate liefern damit neue Einblicke in die Verbindung zwischen Infektionen und Krebsmetastasen. Sie könnten aber auch dazu beitragen, diese Verbindung zu unterbrechen. „Der Fund von Interleukin-6 als Schlüsselfaktor für das Erwachen ruhender Krebszellen legt nahe, dass der Einsatz von IL-6-Hemmern oder anderen Immuntherapien die Metastasierung nach einer Virusinfektion verhindern oder abschwächen könnte“, sagt Aguirre-Ghiso.