Attacke in Hamburg vermutlich versuchter Mord aus Judenhass

dpa Hamburg. Der Verdacht liegt nahe und er allein sorgt für Entsetzen: Schon wieder eine antisemitische Gewalttat. Denn der Hintergrund für die Attacke auf einen Studenten in Hamburg ist vermutlich Judenhass. Am Abend gibt es eine Mahnwache vor der Synagoge.

Polizisten stehen am Tag nach der Attacke auf dem Gelände der Hamburger Synagoge und halten Wache. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Polizisten stehen am Tag nach der Attacke auf dem Gelände der Hamburger Synagoge und halten Wache. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Fast genau ein Jahr nach dem rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle erschüttert eine vermutlich ebenfalls judenfeindliche Gewalttat Hamburg.

Es sei davon auszugehen, dass der Angriff eines 29-Jährigen, der am Sonntag in Bundeswehruniform vor einer Synagoge einen 26 Jahre alten jüdischen Studenten mit einem Klappspaten auf den Kopf geschlagen und schwer verletzt haben soll, antisemitisch motiviert war, teilten Polizei und Generalstaatsanwaltschaft am Montag mit.

Da der Mann offenkundig psychisch krank ist, ordnete eine Untersuchungsrichterin wegen des Verdachts des versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Deutsche mit kasachischen Wurzeln die Tat aufgrund einer psychischen Erkrankung im Zustand erheblicher Einschränkung oder ganz ohne Schuldfähigkeit begangen habe, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Mit einer Mahnwache vor der Synagoge setzten am Abend rund 200 Menschen ein Zeichen der Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde. „Diese Attacke zeigt, wie brisant die Lage im Moment ist“, sagte Andreas Brämer vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden mit Sitz in der Hansestadt. „Ich würde mir wünschen, dass wir in der Zukunft in ganz Deutschland oder weltweit eine Situation haben, wo wir solche Mahnwachen nicht mehr organisieren müssen.“ Aufgerufen zu der Mahnwache hatte das Bündnis gegen Rechts.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Philipp Stricharz, sprach von einem „Terroranschlag“. Terror, weil solche Taten die Angst schürten, „ob man wirklich ohne Verletzungen und Behelligungen unsere jüdischen Einrichtungen erreicht, um Feste zu feiern“, sagte er. „Es mag sich um einen psychisch verwirrten Einzeltäter gehandelt haben. Aber dieser verwirrte Einzeltäter wird seinen Hass irgendwo herhaben, möglicherweise aus dem Internet.“ Hamburg brauche jetzt zügig einen Antisemitismus-Beauftragten.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) rief dazu auf, „entschieden gegen Antisemitismus, populistische Ausgrenzungen und Rassismus vorzugehen“. Gemeinsam mit den Jüdischen Gemeinden werde der Senat einen Antisemitismus-Beauftragten benennen, „der die Aktivitäten der Hamburger Behörden zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens koordiniert und unterstützt“.

Der mutmaßliche Täter hatte am Sonntag in Bundeswehruniform vor der Synagoge, in der sich die Gemeinde zu Feier des Laubhüttenfestes versammeln wollte, auf den Studenten gewartet. Bei dem Angriff mit dem Klappspaten verletzte er den 26-Jährigen schwer, aber nach Angaben der Polizei nicht lebensgefährlich. Nach seiner Festnahme hatten Ermittler einen Zettel mit einem handschriftlich aufgemalten Hakenkreuz und ein Taschenmesser in der Tasche seiner tarnfarbenen Uniformhose gefunden.

Der Student sei mit Kippa „deutlich als Jude zu erkennen“ gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Nach dem Angriff habe der 26-Jährige ausgesagt, dass er den Angreifer noch nie gesehen habe. Zudem sei der Schlag völlig unvermittelt gekommen.

Schon bei seiner Festnahme hatte 29-Jährige laut Polizei einen „extrem verwirrten Eindruck“ hinterlassen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur fanden Ermittler nach der Tat weitere Hinweise auf eine Erkrankung. Wie aus Sicherheitskreisen verlautete, lebte der Mann im vergangenen Jahr noch in Berlin in einem Übergangswohnheim für Spätaussiedler, Flüchtlinge und jüdische Zuwanderer.

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Mannes in Hamburg-Langenhorn stellte die Polizei Datenträger sicher, die nun ausgewertet werden. Hinweise auf Mittäter gebe es bislang nicht, hieß es. Der Mann sei bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Nach Angaben der Hamburger Innenbehörde werden jüdische Einrichtungen an Feiertagen besonders geschützt. So sei auch am Sonntag die polizeiliche Präsenz vor der Synagoge verstärkt worden, sagte ein Sprecher. Das gesamte Schutzkonzept sei nach dem Anschlag von Halle überprüft worden.

Die Tat rief auch bundesweit Entsetzen und Empörung hervor. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) verurteilte den Angriff scharf. Es sei „ein feiger und abscheulicher Anschlag“, schrieb der frühere Hamburger Bürgermeister bei Twitter. „Der Hass gegen Jüdinnen und Juden ist eine Schande für unser Land“, erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Der Angriff sei widerwärtig, unabhängig davon in was für einem Zustand sich der Angreifer zum Zeitpunkt der Tat befunden habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Der Zentralrat der Juden mahnte ein entschlossenes Eintreten gegen Antisemitismus an. „Die Situation, dass Juden in Deutschland vermehrt zur Zielscheibe von Hass werden, darf niemanden in einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland kalt lassen“, erklärte Zentralrats-Präsident Josef Schuster in Berlin. „Wir erwarten von der gesamten Gesellschaft, dem Hass gegen Juden entschieden entgegenzutreten - im Sinne unserer Demokratie, unserer Freiheit und damit jüdisches Leben uneingeschränkt in Deutschland möglich ist.“

© dpa-infocom, dpa:201005-99-825921/17

Passanten haben Blumen vor dem Eingangsbereich der Hamburger Synagoge abgelegt. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Passanten haben Blumen vor dem Eingangsbereich der Hamburger Synagoge abgelegt. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, spricht mit Journalisten. Im Hintergrund Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, spricht mit Journalisten. Im Hintergrund Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Foto: Jonas Walzberg/dpa

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Erstellt:
5. Oktober 2020, 05:12 Uhr

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