Ricarda Lang bei Caren Miosga
“Autorität von Merz steht in Frage“
Ob die Politik in einer Vertrauenskrise stecke, fragte Caren Miosga am Sonntag in der ARD. Der Rentenstreit in der Union war da ein gutes Lehrstück.
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Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang war am Sonntagabend zu Gast bei Caren Miosga. (Archivbild)
Von Christoph Link
Es war das Wochenende, an dem die Junge Union auf ihrem Deutschlandtag in der Rentenpolitik einen klaren Konfrontationskurs zu Kanzler Friedrich Merz (CDU) gefahren ist und der unerbittlich dagegen hielt. Zu Miosgas Themenschwerpunkt am Sonntag in ihrer Talkrunde in der ARD über die Vertrauenskrise in der Politik passte das Ereignis ziemlich gut, denn auch in der Union schwelt jetzt eine solche Krise. „Friedrich Merz hat zu oft Dinge getan, die er zuvor anders in Aussicht gestellt hatte“, beschrieb Martin Machowecz, stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“, das Problem. Die Lockerung der Schuldenbremse und das riesige Kreditpaket für die Infrastruktur sei das krasseste Beispiel und der „absolute Sündenfall“ gewesen - und jetzt auch noch die Sache mit dem Rentenpaket. Es sei doch offensichtlich, dass unser Rentensystem auf lange Sicht nicht finanzierbar sei, sagte Machowecz, Jahrgang 1988. Er verstehe die Kritik der Jungen Union an der fehlenden Generationengerechtigkeit „total“. Die Junge Union habe Merz mit ihren Kampagnen zum Wahlsieg verholfen. Sie habe gelaubt, dass Merz in der Sozial- und Wirtschaftspolitik an ihrer Seite stehe. Und nun das: „Die Junge Union ist völlig verdattert. Merz hat sie fallen gelassen.“ In der Union wollen 18 junge Bundestagsabgeordnete das Rentenpaket mit ihrem Votum blockieren – ob die Koalition das aushält, da war sich Machowecz nicht sicher. Es seien schon Koalitionen an kleineren Problemen zerbrochen. Es sei jetzt die Sache der Fraktionschefs von Union und SPD durch ihre Vermittlungsfähigkeit den Konflikt zu lösen, und er hoffe, dass dies auch gelinge. Obwohl er bei Spahn die Sorge habe, ob der das überhaupt könne und wolle.
Lang sieht drei Ungerechtigkeiten
Ähnlich kritisch äußerte sich die Ex-Grünen Chefin Ricarda Lang: Neben den inhaltlichen Fragen sieht Lang vor allem ein Führungsproblem in der CDU und CSU. „In der Union wird gerade eine Autorität in Frage gestellt: Friedrich Merz und Jens Spahn sind nicht mehr in der Lage, ihre Leute zu überzeugen.“ Das Schlimme sei aber, dass sie es auch nicht einmal probierten, sie zu überzeugen. Stattdessen sagten sie, sie fänden das ja alles auch nicht gut, aber es drohe der Bruch der Koalition und man müsse „alles mitmachen“. Inhaltlich äußerte sich Lang nicht dezidiert zum Rentenpaket. Sie stellte aber Ungerechtigkeiten im Rentensystem fest: zwischen „jung und alt“, beim Gefüge von Beitragszahlern, Selbstständigen und Beamten sowie bei den Menschen, die ihr Leben lang „harte Jobs“ gemacht hätten. Die hätten tendenziell eine kürzere Lebenserwartung als andere, erhielten trotz ihrer Beitragszahlungen dann weniger Rente. „Auf diese drei Dimensionen erwarte ich eine politische Antwort.“ Dass sie eine längere Lebensarbeitszeit nicht ausschließt, machte Ricarda Lang aber auch deutlich. Die Frage, wie lange man Rentenbeiträge einzahlen solle, lasse sich nicht pauschal beantworten. Es sei ja nicht so, dass im Land 80 Millionen „Dachdecker und Pflegekräfte“ wohnten, denen ein späterer Rentenbeginn nicht zumutbar sei.
Von Schirach will „Kanzlergesetze“
Laut Umfragen hat eine Mehrheit im Land mittlerweile das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen verloren. Das Institut Infratest-Dimap fand jetzt heraus, dass 79 Prozent von befragten Bürgern der Meinung sind, dass die Parteien bei den drängendsten Problemen nicht zu Kompromissen fähig sind. Für Miosga ist das ein alarmierendes Zeichen,die Studiogäste reagierten eher gelassen. Der Journalist Machowecz meinte, dass die Leute „gar keine Lust mehr auf Kompromisse“ hätten, die wollten ihre Forderungen voll durch gesetzt wissen. Der Schriftsteller Ferdinand von Schirach war der Ansicht, dass der Vertrauensverlust in die Politik vor allem der AfD Wähler zuspiele. Der Autor machte das Nichteinlösen von Versprechen, offensichtliche Ungerechtigkeiten und das Nichtbenennen von Problemen verantwortlich für den Vertrauensverlust. Von Schirach brachte recht ausgewählte Beispiele für die Handlungsschwäche des Staates, so werde die Renovierung des Pergamon-Museums in Berlin 14 Jahre dauern, die Sanierung der Bahn soll erst 2037 fertig sein. „Wieso so lange? Das müssen wir in zwei Jahren hinbekommen – fertig, aus.“ Von einer Reform des demokratischen Systems in Deutschland würde sich von Schirach mehr Effizienz versprechen: Der Bundeskanzler sollte für sieben Jahre gewählt werden, ohne Wiederwahlmöglichkeit. Die Landtagswahlen sollten an einem Tag gebündelt werden, um die Politiker aus dem ständigen Wahlkampf zu befreien. Der Kanzler sollte drei Gesetze erlassen dürfen, geprüft vom Verfassungsgericht, aber ohne Zustimmung des Parlaments, das erst drei Jahre später darüber entscheiden soll. Mit solchen „Kanzlergesetzen“ könnten schwierige Reformen wie bei der Rente, dem Arbeitsmarkt oder der Steuer durchgesetzt werden, meinte von Schirach. In Krisen seien Autokratien schneller, meinte von Schirach: „Wir wollen keine Autokratie, aber wir müssen unsere Demokratie reformieren.“
Zweifel am Sinn von Steinmeiers Rede
Gespalten waren die Studiogäste dann bei der Frage, ob gegen die AfD ein Verbotsverfahren eingeleitet werden sollte. „Zutiefst undemokratisch“, meinte von Schirach. Lang sagte, dass die Bürger in einer Demokratie das Recht hätten, „jede Partei“ zu wählen, nicht aber eine Partei, die die Demokratie abschaffen wolle. Es liege am Bundesverfassungsgericht, über ein Verbot zu entscheiden. Skeptisch äußerte sich Machowecz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der kürzlich in einer Rede ein AfD-Verbotsverfahren nahe gelegt habe, habe mit seinen Aussagen vermutlich keinen einzigen AfD-Wähler auf seine Seite ziehen könne. Er habe auch Sorge um die Demokratie,so Machowecz, frage sich aber, ob Steinmeier mit seiner Rede nicht das Gegenteil des Gewünschten ausgelöst habe. In Sachsen-Anhalt stünde die AfD derzeit in den Umfragen bei 40 Prozent. „Ich frage mich, ob diese 40 Prozent bei einem AfD-Verbot dann alle die Grünen wählen“, fragte Machowecz. Eine Antwort erhielt er nicht, sie war zu offensichtlich.
