Krieg in der Ukraine

Babuschka aus der Hölle von Bachmut gerettet

Andrej und Yaroslav, Freiwillige der Hilfsorganisation Save Ukraine, holen Menschen aus schwer umkämpften Gebieten und bringen sie in Sicherheit. Dieser Tage sind sie im Gebiet Donezk unterwegs.

Die 89-jährige Maria Iwanova hat ihr Leben in Bachmut verbracht. Nun muss sie den umkämpften Ort verlassen. Andrej und Yaroslav helfen ihr dabei.

© Franz / Feyder

Die 89-jährige Maria Iwanova hat ihr Leben in Bachmut verbracht. Nun muss sie den umkämpften Ort verlassen. Andrej und Yaroslav helfen ihr dabei.

Von Franz Feyder

Seit dem 22. Mai wird Bachmut belagert, beschossen, bombardiert. Seit 275 Tagen lebt Maria Iwanova (89) mitten im Krieg. Seit Monaten kaum Strom; Wärme nur dann, wenn Nachbarn Holz in ihren Ofen stecken, bei bis zu 15 Grad unter null. Die Fenster ihrer Erdgeschosswohnung sind mit Pappe und Pressspanplatten verbarrikadiert, damit sie nicht splittern. Seit Dezember schlagen an sieben Tagen der Woche 24 Stunden lang Geschosse ein, hämmern Maschinengewehre, explodieren Granaten.

„Ich kann nicht mehr“, sagt die frühere Postbotin. Tränen laufen über ihre Wangen, während sie versucht, tapfer zu lächeln. Ein Leben lang hat sie in Bachmut gelebt – in der Stadt, in der jetzt noch 6000 von einst 75 000 Menschen leben sollen. Nun jedoch geht auch Maria. Andrej und Yaroslav wurden losgeschickt, um die alte Frau aus dem derzeit am schwersten umkämpften Ort der Ukraine zu holen.

Die beiden Männer fahren seit September ins ostukrainische Bachmut, um Menschen zu retten. Der 31-jährige Andrej – bis zum Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 Manager eines Start-ups – scheint immer einen Spaß auf den Lippen zu haben. Yaroslav, 37, ist Eigentümer zweier IT-Firmen und ein eher stiller, beobachtender Mann. Freiwillig engagieren sie sich seit fast einem Jahr in der Hilfsorganisation Save Ukraine (Rettet die Ukraine). Längst ist das ein Vollzeitjob für beide.

Eigene Truppen hätten in der Nacht die Russen zurückgedrängt

„Irgendwann bei 100 oder 105 Fahrten nach Bachmut habe ich aufgehört, zu zählen“, sagt Andrej. Er lässt das Seitenfenster runter. „Na, alles klar bei euch?“, fragt er gelassen den Polizisten mit der Kalaschnikow, der den Kleinbus des Duos an einem Kontrollpunkt im Norden Bachmuts angehalten hat. Ruhiger Tag heute, antwortet der Ordnungshüter, eigene Truppen hätten in der Nacht die Russen im Westen der Stadt zurückgedrängt, ein paar Hundert Meter wenigstens. Ansonsten alles bestens bei jenen, nach denen die heiße Zone kommt.

Hier darf nur weiter, wer einen Ausweis des ukrainischen Generalstabs vorweisen kann: Ihre schusssicheren Westen haben Andrej und Yaroslav schon in dem Gemeindehaus angezogen, das zu ihrer Heimat geworden ist. Jetzt setzen sie auch ihre Helme auf. „Man muss denen an den Kontrollpunkten immer klarmachen, wer das Sagen hat“, scherzt Andrej.

„Ihre Leichen haben sich gestapelt“

Mal über eine Straße, mal über Feldwege lenkt Yaroslav das Auto in die Stadt. Vorbei an den Reserven der Ukrainer, Stellungen der Artillerie und Mörser. Dreckverschmierte Soldaten verlassen ihre gepanzerten Transporter aus US-Produktion, ihre rot unterlaufenen Augen zeugen von einer harten Nacht an der Front. Erdfarbene Kreise im Schnee zeigen an, wo in den vergangenen Stunden russische Granaten explodierten.

Es gab Tage, da war selbst die Fahrt in die Stadt ein Himmelfahrtskommando. Da konnten die russischen Angreifer zumindest teilweise die Hauptschlagader Bachmuts auch mit Panzern direkt beschießen. Anfang vergangener Woche kam im Norden ein Bataillon der als Eliteverband geltenden Panzerbrigade 17 an und im Süden ein in England ausgebildeter Fallschirmjägerverband. Die Folge: Die seit Januar Welle um Welle in den Tod geschickten russischen Söldner der Wagner-Gruppe wurden zurückgeschlagen; sie sollen bis zu 80 Prozent Verluste erlitten haben. Ein ukrainischer Stabsoffizier erzählt: „Ihre Leichen haben sich gestapelt.“

Während die beiden Helfer die Lage unweit des Rathauses im Stadtzentrum sondieren, schlägt 120 Meter von ihnen entfernt eine Granate in ein Haus ein und setzt es in Brand. Zwei Straßenblöcke weiter wird mit Maschinen- und Sturmgewehren geschossen, explodieren Handgranaten.

„Raus aus dieser Hölle“

Unweit davon haben die Menschen Schutz in einem behelfsmäßigen Bunker im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses gefunden. Der Eingang liegt an der den Russen abgewandten Seite, damit die Zivilisten nicht direkt beschossen werden können. Ein hölzernes Schrägdach vor der Tür und Sandsäcke vor den Fenstern sollen vor Splittern schützen. Die Luft ist stickig in dem Verlies, in dem Menschen auf Paletten hocken. Ein Labradorwelpe wuselt zwischen den Beinen der Menschen herum, ein braun-weißer Jagdhund döst auf dem Boden. Mit Notstrom werden Handys aufgeladen. Andrej und Yaroslav bringen gespendete Lebensmittel, aus denen Helfer eine heiße Suppe kochen, und Kleider. Vor der Türe schippt ein Alter den fallenden Schnee von dem zertrümmerten Bürgersteig weg. „Ich kann nicht verstehen, warum die Leute nicht gehen und mit uns raus aus dieser Hölle fahren“, sagt Yaroslav.

In zwei Plastiktüten hat sie 89 Jahre Leben in Bachmut gepackt

Wer die umkämpfte Stadt, wer die Kampfgebiete drum herum, verlassen will, kann die Nummer der Hotline wählen, die Save Ukraine landesweit eingerichtet hat. Innerhalb von 48 Stunden organisieren die Helfer, dass die Rettungssuchenden abgeholt werden. Wie Andrej und Yaroslav lesen überall an der Front Teams diese Menschen auf und bringen sie zu Sammelpunkten hinter den Linien. Von dort aus werden die Geflüchteten im Zug nach Kiew oder Lviv gebracht. Dort in Empfang genommen, erhalten sie umfassende Hilfe: zunächst eine Unterkunft und medizinische Betreuung, auch dann, wenn sie keine Dokumente mehr haben. Auch Arbeit gibt es: Weil in der Ukraine viele Lastwagenfahrer gebraucht werden, wird die Fahrschule für deren Ausbildung bezahlt. Ziel ist es, den Menschen in der Ukraine eine Perspektive zu bieten.

Auch Maria Iwanova aus Bachmut. In getupften, blauen Pantoffeln und dicken Socken tippelt sie durch den Schnee. Ein weißes Kopftuch hält ihr die Ohren warm. Sie stützt sich auf ihren silbernen Stock, rechts untergehakt von Andrej, ihre Linke mit dem fehlenden Zeigefinger hält die Hand Yaroslavs. „Das war’s also“, murmelt sie, als sich die blaue Tür des Plattenbaus hinter ihr schließt, der für Jahrzehnte ihr Zuhause war.

In zwei Plastiktüten hat sie 89 Jahre Leben in Bachmut gepackt. Die Schlaufen mit Stoffresten zusammengebunden. Mehr kann, mehr will sie nicht mitnehmen. In ihrer kleinen, schwarzen Plastikhandtasche sind Geburtsurkunde, Pass, einige Fotos, das Portemonnaie. Nachbarn sind gekommen, um ihr Adieu zu sagen. Tränen fließen. „Habe ich überhaupt meine Zähne drin?“, fragt die alte Frau Andrej. „Ja, alles ist gut, Babuschka.“ Sie tätschelt seine Wange mit ihrer knochigen Hand. Der sonst scheinbar durch nichts zu erschütternde Mann muss schlucken – und schaut beschämt zur Seite.

Die Helfer Andrej, Yarolsav und Reporter Franz Feyder (v. li.) im Stadtzentrum von Bachmut.

© StZN/Franz Feyder

Die Helfer Andrej, Yarolsav und Reporter Franz Feyder (v. li.) im Stadtzentrum von Bachmut.

Unweit des Stadtzentrums des umkämpften Bachmuts haben eine Ukrainerin und ihr Hund in einem behelfsmäßigen Bunker Schutz gesucht.

© StZN/Franz Feyder

Unweit des Stadtzentrums des umkämpften Bachmuts haben eine Ukrainerin und ihr Hund in einem behelfsmäßigen Bunker Schutz gesucht.

Um einen Holzofen sitzend wärmen sich Männer in einem behelfsmäßigen Bunker auf.

© StZN/Franz Feyder

Um einen Holzofen sitzend wärmen sich Männer in einem behelfsmäßigen Bunker auf.

Die Rede des ukrainischen Außenministers Kuleba bei der Münchener Sicherheitskonferenz wird in den Behelfsbunker übertragen.

© StZN/Franz Feyder

Die Rede des ukrainischen Außenministers Kuleba bei der Münchener Sicherheitskonferenz wird in den Behelfsbunker übertragen.

Mobiltelefone können hier aufgeladen werden, damit die Menschen ihre Angehörigen kontaktieren können.

© StZN/Franz Feyder

Mobiltelefone können hier aufgeladen werden, damit die Menschen ihre Angehörigen kontaktieren können.

Im einem Vorort Bachmuts versucht Helfer Andrej Frauen davon zu überzeugen, die umkämpfte Stadt zu verlassen.

© StZN/Franz Feyder

Im einem Vorort Bachmuts versucht Helfer Andrej Frauen davon zu überzeugen, die umkämpfte Stadt zu verlassen.

Im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses haben Helfer eine Wärmestube eingerichtet. Damit die Fenster bei einer Explosion nicht splittern, sind sie mit Folien und Spanplatten gesichert.

© StZN/Franz Feyder

Im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses haben Helfer eine Wärmestube eingerichtet. Damit die Fenster bei einer Explosion nicht splittern, sind sie mit Folien und Spanplatten gesichert.

Ihre Habe hat die 89 Jahre alte Maria Ivanova in zwei Plastikbeutel gepackt, die auf einer Bank vor ihrem Mehrfamilienhaus stehen.

© StZN/Franz Feyder

Ihre Habe hat die 89 Jahre alte Maria Ivanova in zwei Plastikbeutel gepackt, die auf einer Bank vor ihrem Mehrfamilienhaus stehen.

Andrej (li.) und Yaroslav helfen der 89 Jahre alten Maria, ihr Haus zu verlassen und aus Bachmut zu fliehen.

© StZN/Franz Feyder

Andrej (li.) und Yaroslav helfen der 89 Jahre alten Maria, ihr Haus zu verlassen und aus Bachmut zu fliehen.

Ein Nachbar ist gekommen, um sich von der beliebten Frau zu verabschieden.

© StZN/Franz Feyder

Ein Nachbar ist gekommen, um sich von der beliebten Frau zu verabschieden.

89 Jahre lang hat die frühere Postbotin Maria Ivanova in Bachmut gelebt. Jetzt flieht sie vor den russischen Angriffen.

© StZN/Franz Feyder

89 Jahre lang hat die frühere Postbotin Maria Ivanova in Bachmut gelebt. Jetzt flieht sie vor den russischen Angriffen.

Ein kleiner, zurückgelassener Hund ist der letzte Bewohner in einem zerstörten  Vorort Bachmuts.

© StZN/Franz Feyder

Ein kleiner, zurückgelassener Hund ist der letzte Bewohner in einem zerstörten Vorort Bachmuts.

Zum Artikel

Erstellt:
21. Februar 2023, 10:08 Uhr
Aktualisiert:
21. Februar 2023, 12:34 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen