Babyboom und Zuzug sorgen für Engpass

Mammutaufgabe Kinderbetreuung – Trotz riesiger Anstrengungen gelingt es Backnang nicht ganz, genügend Angebote zu schaffen

Backnang steht in Sachen Kinderbetreuung vor einer Mammutaufgabe, denn die Kommunen sind verpflichtet, den Eltern ausreichende Betreuungsangebote zur Verfügung zu stellen. Nun hat einerseits der Babyboom der vergangenen Jahre der Stadt einen reichen Kindersegen beschert. Zum anderen verzeichnet Backnang aufgrund einer rekordverdächtigen Bautätigkeit einen beachtlichen Zuzug. Trotz riesiger Anstrengungen gelingt es der Murr-Metropole nicht ganz, Angebot und steigende Nachfrage in Einklang zu bringen.

Hinter der Sporthalle Katharinenplaisir wurde eine Container-Kita errichtet. Dort sind seit Kurzem vier Gruppen untergebracht.Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Hinter der Sporthalle Katharinenplaisir wurde eine Container-Kita errichtet. Dort sind seit Kurzem vier Gruppen untergebracht.Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die Leiterin des Amts für Familie, Jugend und Bildung, Regine Wüllenweber, räumte in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats beim Blick auf die Kindergartenbedarfsplanung ein, „eine Punktlandung schaffen wir nicht“. So kann die Stadt derzeit nicht allen Kindern unter drei Jahren einen Betreuungsplatz anbieten. Und im Frühjahr ist dies zudem auch bei einem kleinen Teil von Kindern über drei Jahren der Fall. Ohne den Zuwachs durch die Wohnentwicklung wäre dies jedoch noch gelungen.

Sehr detailliert informierte Wüllenweber über die gesamtstädtische Entwicklung. So werden für dieses Jahr so viele Geburten erwartet wie im Rekordjahr 2014, als weit über 400 Kinder von Eltern mit Wohnsitz Backnang das Licht der Welt erblickten. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 verzeichnete das örtliche Standesamt nur etwas mehr als 300 neue Erdenbürger. Parallel zu diesem Trend steigt auch die Einwohnerzahl von Backnang durch Zuzüge deutlich an. So rechnet die Stadt von Juli 2018 bis Juli 2021 mit einem Zuwachs von 566 Kindern aufgrund der künftigen Wohnbebauung.

Wie reagiert die Stadt? Seit Jahren schon werden neue Gruppen geplant. Wüllenweber listete eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, die bereits beschlossen sind oder sich sogar schon in der Umsetzung befinden:

Die Kita Heininger Weg wird um zwei Gruppen erweitert. Parallel zum Bau der neuen Räume wurde schon seit September 2017 ein Interimsbetrieb in der Kita Pauline angeboten.

Die Kita Heimgarten wird ebenfalls um zwei Gruppen erweitert. Auch hier wurde der Betrieb schon auf April beziehungsweise September 2018 vorgezogen. Dazu wurden Räume in der Talschule umgewandelt.

Auch die Paulinenpflege Winnenden erweitert ihre Kita Pauline um eine Gruppe, die voraussichtlich im Januar 2019 den Betrieb aufnimmt.

Die evangelische Kirchengemeinde Backnang erweitert ihren zweigruppigen Kindergarten Sachsenweiler um eine Krippengruppe, die voraussichtlich ab Dezember nächsten Jahres die ersten Kinder willkommen heißt.

Die Stadt realisiert demnächst die Sport-Kita Plaisir mit insgesamt sechs Gruppen. Vier Gruppen beleben seit Oktober dieses Jahres übergangsweise Container hinter der Plaisirhalle. Die fünfte Gruppe soll ab Januar nächsten Jahres im Gemeindehaus Heininger Weg starten. Die sechste Gruppe kann dann Mitte 2020, wenn der Bau der Sport-Kita fertig ist, eingerichtet werden. So zumindest die Hoffnung Wüllenwebers.

Auch der Verein Kinder- und Jugendhilfe plant die Erweiterung seines Angebots um zwei Gruppen. Doch dieses Projekt steht noch völlig in den Sternen, es ist laut Wüllenweber noch völlig offen, was wo angeboten wird.

All diese Maßnahmen werden jedoch nicht ausreichen, den steigenden Bedarf zu decken. Wüllenweber rechnet mit einer Verschärfung der Lage ab Juli 2019. Sie empfiehlt daher drei weitere Maßnahmen, um dem Bedarf kurzfristig gerecht zu werden Erstens: Die Realisierung der bereits beschlossenen Gruppen der Kita Kunterbunt soll auf Mitte 2019 vorgezogen werden. Zweitens: Wenn die bisherigen Interimsgruppen aus der Talschule ausgezogen sind, sollen dort ebenfalls Mitte 2019 drei weitere Gruppen eingerichtet werden. Die Talschule benötigt die Räume derzeit nicht, so könnten Betreuungsplätze für 70 Kinder geschaffen werden. Drittens: Das Angebot der Tagespflege soll erweitert werden.

Obwohl die Prognosen davon ausgehen, dass es viel weniger vorhandene Plätze als Kinder gibt, empfiehlt Wüllenweber eine Politik der ruhigen Hand. Die Auswirkungen geplanter Nachverdichtungen einzelner Wohngebiete sind ihrer Ansicht nach noch nicht vollständig erfasst. „Auf Sicht zu fahren scheint daher sinnvoll. Wenn ein einziges Projekt nicht in der anvisierten Zeit klappen würde, würde sich die ganze Situation schon sehr entspannen.“ Die gesamten Aktivitäten sind laut der Amtsleiterin „ein sportlicher Plan, der allen Beteiligten alles abverlangt“. Auch Oberbürgermeister Frank Nopper sprach von einem ambitionierten Ziel bei der institutionellen Betreuung.

Überraschenderweise ist die Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren im Vergleich zum Vorjahr von 234 auf 219 Kinder (fünf Prozent) gesunken. Für Lutz-Dietrich Schweizer (CIB) ein Indiz, dass diese Betreuungsform eventuell gar nicht so erwünscht, sondern für viele Eltern nur „eine Notlösung“ ist. Ute Ulfert (CDU) widersprach: „Wir nehmen nicht wahr, dass die Betreuungsquote sinkt. Aber wenn keine Plätze da sind, können sie auch nicht belegt werden.“ Heinz Franke (SPD) ist der Überzeugung, Backnang habe Nachholbedarf, „daher stehen wir voll hinter den Plänen der Verwaltung“. Und Nopper ergänzte: „Wir wollen und können niemandem vorschreiben, wie er seine Kinder betreuen will. Jeder soll nach seiner Betreuungsfasson glücklich werden.“

Info
Baubeschluss für Sport-Kita gefasst
In der Gemeinderatssitzung am Donnerstagabend wurde der Baubeschluss für die Sport-Kita und Mensa Katharinenplaisir gefasst. Ende November hatte der Ausschuss für Technik und Umwelt bereits eine Empfehlung ausgesprochen, aber auch angeregt, bei dem 7,5 Millionen Euro teuren Projekt nach Einsparpotenzialen zu suchen. Gesagt, getan: Im Gremium legte jetzt Stadtbaudezernent Stefan Setzer ein Paket an Einsparmöglichkeiten in Höhe von 76000 Euro vor. Die größte Position dabei war, in Kita und Mensa durchgehend Linoleum statt Kautschukbodenbeläge zu verwenden. So könnte der Bau 33000 Euro günstiger werden. Nach längerer Diskussion lehnte der Gemeinderat exakt diese Einsparung mit großer Mehrheit ab, ebenso die Erhöhung eines Lärmschutzwalls, mit der aufgrund eingesparter Deponiekosten 1300 Euro eingespart werden könnten. Die restlichen Einsparungen wurden bei fünf Gegenstimmen abgesegnet. Setzer verdeutlichte, dass das Projekt mit spitzer Feder durchgerechnet wurde. Ute Ulfert (CDU) bestätigte dies, „man spürt, dass auf die Kosten geachtet wurde“. Sie monierte jedoch, dass sie die Einsparliste erst in der Sitzung erhalten hatte und sich nicht vorbereiten konnte. Auch Fraktionskollege Volker Schwarze erklärte, „ich kann in der Kürze der Zeit nicht überblicken, ob die Wirtschaftlichkeit gegeben ist“. Siglinde Lohrmann (SPD) war es „fast ein bisschen peinlich“, so lange wegen ein paar Euro zu diskutieren, schließlich handele es sich bei 7,5 Millionen Euro Baukosten gerade einmal um ein Prozent. Eine Bemerkung, die OB Nopper so nicht stehen ließ: „Ich bin der Meinung, dass 76000 Euro nicht nichts sind. Da kann man schon drüber nachdenken. Das sind wir den Steuerzahlern schuldig.“ Zudem hätten die Stadträte gefordert, nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Nopper: „Jetzt haben wir die Liste vorgelegt, jetzt ist es auch nicht recht.“

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Erstellt:
8. Dezember 2018, 06:00 Uhr

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