Backnang klimaneutral bis 2035? Das wird schwierig.

Erstmals wurde der Energieverbrauch des Backnanger Gebäudebestands ermittelt. Für einen guten energetischen Standard müssten bis 2035 jedes Jahr rund 650 Häuser saniert werden. Das dürfte schon an den Kapazitäten der Handwerksbetriebe scheitern.

Die Karte zeigt, wo in Backnang besonders viel Energie verbraucht wird. Am höchsten ist der Verbrauch in den rot und orange eingefärbten Bereichen. Dies ist vor allem in den Gewerbegebieten, aber auch in Teilen der Innenstadt der Fall. Karte: B.A.U.M. Consult

© NathanChristian

Die Karte zeigt, wo in Backnang besonders viel Energie verbraucht wird. Am höchsten ist der Verbrauch in den rot und orange eingefärbten Bereichen. Dies ist vor allem in den Gewerbegebieten, aber auch in Teilen der Innenstadt der Fall. Karte: B.A.U.M. Consult

Von Kornelius Fritz

Backnang. Dass der Klimawandel eines der drängendsten Probleme der Gegenwart ist und auch die Stadt Backnang mehr für den Klimaschutz tun muss, darüber herrscht im Gemeinderat weitgehend Einigkeit. Auch für Oberbürgermeister Maximilian Friedrich hat das Thema große Bedeutung: Bereits im Wahlkampf hatte er angekündigt, er wolle Backnang bis 2035 klimaneutral machen. Bislang waren das aber nur wohlgemeinte Absichtserklärungen. Was konkret passieren muss, um ein solches Ziel zu erreichen, wusste keiner so genau.

Seit Donnerstagabend herrscht nun ein bisschen mehr Klarheit: Da präsentierten Ludwig Karg und Sandra Giglmaier vom Beratungsunternehmen B.A.U.M. Consult aus München im Gemeinderat erste Ergebnisse der sogenannten kommunalen Wärmeplanung, die sie im Auftrag der Stadt durchführen. Erstmals legten sie dabei auch konkrete Zahlen zum Energieverbrauch in Backnang auf den Tisch. Wobei sich diese zunächst einmal nur auf den Gebäudebestand beschränken. Andere Emissionen, etwa durch Verkehr oder Stromverbrauch, bleiben beim Wärmeplan außen vor.

6.033 von 7.196 Wohngebäuden werden mit Öl- oder Gaskesseln beheizt

Für ihre Bestandsaufnahme konnten die Energieexperten auf aktuelle Daten der Schornsteinfeger und der Stadtwerke Backnang zurückgreifen und diese anonymisiert verarbeiten. Demnach gibt es in Backnang insgesamt 7.196 Wohngebäude, von denen 6.033 mit Öl- oder Gaskesseln beheizt werden. In der Kernstadt ist dabei Erdgas der dominierende Energieträger, in den Außenbereichen wird überwiegend mit Öl geheizt. Holzheizungen spielen bisher keine große Rolle. Viele Heizkessel sind schon alt: Rund 2.800 haben mehr als 20 Jahre auf dem Buckel, etwa 1100 sind sogar älter als 30 Jahre und müssten nach dem Gebäudeenergiegesetz eigentlich ausgetauscht werden.

Den gesamten Energieverbrauch aller Backnanger Gebäude beziffert Sandra Giglmaier auf 400 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Wollte man diesen Bedarf alleine mit erneuerbaren Energien decken, bräuchte man dafür mehr Flächen für Windräder und Solaranlagen als auf Backnanger Gemarkung jemals verfügbar sein werden. Deshalb müsse zunächst einmal der Energieverbrauch reduziert werden, erklärte Giglmaier.

Jedes Jahr müssten rund 650 Häuser energetisch saniert werden

In dem von ihr vorgestellten „Maximalszenario“ könnte der Bedarf auf rund ein Viertel des heutigen Verbrauchs heruntergefahren werden, wenn sämtliche Häuser in Backnang den Energiestandard KfW 55 erfüllen und über moderne Heizkessel verfügen. Um dieses Ziel bis 2035 zu erreichen, müssten allerdings jedes Jahr rund 650 Häuser energetisch saniert werden – fast zehnmal so viele wie heute. Abgesehen von der Frage, ob die überwiegend privaten Hausbesitzer sich das überhaupt leisten können und wollen, wäre dies aus Sicht von Baudezernent Stefan Setzer noch aus einem anderen Grund nicht machbar: „Wir haben gar nicht so viele Handwerker.“

Beschreibt der Wärmeplan also letztlich ein „Wolkenkuckucksheim“, wie AfD-Stadtrat Michael Malcher glaubt? Ludwig Karg sieht es anders: „Wir können Ihnen heute noch nicht die finalen Lösungen aufzeigen, aber wir müssen jetzt loslaufen“, erklärte der Geschäftsführer von B.A.U.M. Consult. Wichtig sei es, die Bevölkerung und die Unternehmen auf diesem Weg mitzunehmen. Deshalb dürfe man diese auch nur „in akzeptablem Ausmaß belasten“. „Wir sollten die Leute nicht verschrecken, denn wir brauchen sie in den nächsten 20 Jahren“, sagte Karg. Er rechnet in den kommenden Jahren auch noch mit weiteren Innovationen, die das Erreichen der gesteckten Ziele erleichtern werden.

„Eine regionale Versorgung ist dauerhaft günstiger“

Der mühsame Weg zum energetischen Selbstversorger lohnt sich in seinen Augen aber nicht nur wegen des Klimaschutzes. „Eine regionale Versorgung ist dauerhaft günstiger und macht uns resilienter“, erklärte Karg. Abhängigkeiten wie die von Russland beim Erdgas sollten künftig vermieden werden. Deshalb sieht der Experte auch die Idee, auf Wasserstoff zu setzen, der in Afrika mit Sonnenenergie produziert wird, eher kritisch.

Im Gemeinderat sorgten die präsentierten Ergebnisse erst einmal für Ernüchterung: „Es sind viele Visionen dabei, aber das alles muss man sich erst einmal leisten können“, sagte SPD-Fraktionschef Heinz Franke. „Wir dürfen Bürger und Firmen nicht in den Ruin treiben“, warnte auch Ute Ulfert (CDU). Sie nimmt in der Bevölkerung eine große Verunsicherung wahr. Die Aufgabe der Stadt sieht sie deshalb auch darin, neutrale Beratungsangebote für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.

Willy Härtner (Grüne) setzt auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt auf den technischen Fortschritt: „Baden-Württemberg ist ein Tüftlerland“. Diese Fähigkeiten seien nun nicht nur bei der Entwicklung neuer Auspuffrohre, sondern auch bei der Gestaltung der Energiewende gefragt.

Bei der Präsentation im Gemeinderat handelte es sich um einen Zwischenbericht; der vollständige Wärmeplan soll bis zum kommenden Frühjahr vorliegen (siehe Infobox). Darauf aufbauend will die Stadt dann ein Klimaschutzkonzept entwickeln, das auch die Bereiche Mobilität und Transformation der Wirtschaft beinhaltet. Koordiniert wird dieser Prozess von der neuen Klimamanagerin Simone Lebherz, die zum
1. Oktober ihre Arbeit aufgenommen hat.

Kommunale Wärmeplanung

Pflichtaufgabe Eine kommunale Wärmeplanung ist für Große Kreisstädte in Baden-Württemberg bis Ende 2023 gesetzlich vorgeschrieben. Die Stadt Backnang geht dieses Projekt zusammen mit den acht Gemeinden der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft an. Begleitet wird der Prozess vom sogenannten „Wärmetisch“, einem Gremium, in dem unter anderem verschiedene Wohnbauunternehmen, aber auch Vertreter von Hauseigentümern und Mietern sitzen.

Vier Stufen Der erste Schritt der kommunalen Wärmeplanung ist die Bestandsanalyse, die nun vorgelegt wurde. Als Nächstes wird in einer Potenzialanalyse untersucht, wo besonderer Sanierungsbedarf besteht und welche Energiereserven bisher noch nicht genutzt werden. Anschließend wird ein Zielszenario für die Jahre 2035 bis 2040 formuliert.

Am Ende steht eine Wärmewendestrategie, die verschiedene Maßnahmen definiert und die Prioritäten dafür festlegt.

Ausblick Sandra Giglmaier vom Büro B.A.U.M. gab am Donnerstag schon einmal einen Ausblick auf mögliche Maßnahmen in Backnang. So sollen zum Beispiel für einzelne Gebiete mit besonders hohem Verbrauch „energetische Quartierskonzepte“ entwickelt werden, welche die Stadt gemeinsam mit den Unternehmen und Hauseigentümern umsetzen möchte. Wer in diesen Gebieten in eine energetische Sanierung investiert, darf dann auch auf öffentliche Zuschüsse hoffen.

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Erstellt:
22. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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