Backnang soll zum „sicheren Hafen“ werden

Arbeitskreis Asyl und Kirchenvertreter fordern Einsatz für die Seenotrettung im Mittelmeer – Bündnismitglieder nehmen gerettete Flüchtlinge auf

1327 Menschen sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen 2019 auf der Flucht übers Mittelmeer ertrunken oder werden seitdem vermisst. Ein Skandal, finden Vertreter von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen in Backnang und wollen deshalb auch vor Ort ein Zeichen setzen. Sie fordern, dass die Stadt der Initiative„Sicherer Hafen“ beitritt.

Mit einem zur Spardose umgebauten Spielzeugboot sammeln Tillmann Schamal und Pfarrer Tobias Weimer an der Backnanger Matthäuskirche Spenden für die Seenotrettung. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Mit einem zur Spardose umgebauten Spielzeugboot sammeln Tillmann Schamal und Pfarrer Tobias Weimer an der Backnanger Matthäuskirche Spenden für die Seenotrettung. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Durch die Coronakrise ist das Thema Seenotrettung in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund gerückt. Was allerdings nicht bedeutet, dass das Problem deshalb gelöst wäre. Erst an Ostern ist wieder ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer gekentert, die Insassen sind höchstwahrscheinlich alle ertrunken. Maria Neideck und Martina Klenk vom Arbeitskreis Asyl in Backnang sind wütend, wenn sie solche Nachrichten hören. Denn die EU-Staaten tun in ihren Augen viel zu wenig, um den Schiffbrüchigen zu helfen. „Menschen müssen Menschen retten. Das ist unsere tiefste Überzeugung“, sagt Neideck.

Auch Tobias Weimer, Pfarrer an der Backnanger Matthäuskirche, und sein Kirchengemeinderatsvorsitzender Tilmann Schamal sehen die Politik in der Pflicht. „Seenotrettung ist eine staatliche Aufgabe“, sagt Schamal. Stattdessen werde sie im Mittelmeer von privaten Hilfsorganisationen wie Seawatch organisiert, die bei ihrer Arbeit oft sogar noch behindert würden. Auch die Evangelische Kirche engagiert sich für die Seenotrettung: Sie hat das Bündnis United4Rescue gegründet, das vor Kurzem ein eigenes Schiff gekauft hat, um Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten.

Ein Engagement, das der Kirche auch Kritik eingebracht hat, obwohl für das Projekt keine Kirchensteuermittel eingesetzt werden, wie Tobias Weimer betont. Der evangelische Pfarrer hält es für eine christliche Pflicht, Schiffbrüchige zu retten. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, habe Jesus gepredigt: „Da können wir es doch nicht in Kauf nehmen, dass Menschen einfach ersaufen.“ Die Backnanger Matthäusgemeinde unterstützt United4Rescue deshalb mit einer Spendenaktion.

„Wenn ein Mensch in Not ist, fragen wir nicht nach“

Dass die Einflussmöglichkeiten auf lokaler Ebene begrenzt sind, ist den Backnanger Aktivisten klar. Trotzdem wollen sie nicht tatenlos zuschauen. Der Arbeitskreis Asyl fordert deshalb, dass die Stadt der Initiative „Sicherer Hafen“ beitritt. Mehr als 140 Städte, darunter auch Waiblingen und Marbach am Neckar, haben sich dem Bündnis bereits angeschlossen. Sie verpflichten sich, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen – zusätzlich zum normalen Kontingent.

Neben diesem konkreten Hilfsangebot gehe es bei der Aktion aber auch um ein politisches Zeichen: „Es ist wichtig, aus der Zivilgesellschaft ein Signal nach oben zu senden“, findet Maria Neideck. Und Tilmann Schamal ergänzt: „Wir sind uns bewusst, dass wir nur ein Pflaster auf die Wunde kleben, die die Politik klaffen lässt“. Aber man könne so den Druck auf die Politik erhöhen, damit das Thema dort nicht länger ignoriert und ausgesessen werde.

Die Backnanger kennen das Argument von Kritikern, dass die Seenotretter das Geschäftsmodell der Schleuser unterstützten. Und auch den Einwand, dass man die Fluchtursachen in den jeweiligen Heimatländern bekämpfen müsse. Das sei auch richtig, erklärt Pfarrer Weimer, allerdings könne man diese Probleme nicht kurzfristig lösen. Und denen, die die lebensgefährliche Flucht auf sich nehmen, müsse ganz einfach geholfen werden. „Wenn ein Mensch in Not ist, fragen wir nicht nach“, betont Schamal. Auch dass andere europäische Länder in der Flüchtlingshilfe noch viel weniger tun als Deutschland, ist für Maria Neideck kein Grund, sich zurückzuhalten: „In anderen Bereichen hat Deutschland auch kein Problem damit, Vorreiter zu sein. Es stände uns gut zu Gesicht, auch bei diesem Thema voranzugehen.“

Unterstützung bekommt der Arbeitskreis Asyl von der Gemeinderatsfraktion der Christlichen Initiative Backnang (CIB). Stadtrat Lutz-Dietrich Schweizer hat im Gemeinderat den Antrag eingereicht, dass sich die Stadt der Aktion „Sicherer Hafen“ anschließen soll. Behandelt wurde dieser – auch aufgrund der Coronakrise – allerdings noch nicht. Auf Anfrage teilt die städtische Pressesprecherin Christine Wolff mit, die Verwaltung habe sich zu diesem Thema noch keine abschließende Meinung gebildet: „Wir tendieren jedoch dazu, der Initiative nicht beizutreten und stattdessen ein anderes Projekt direkt vor Ort zu unterstützen“. Dazu gebe es aber noch keine genaueren Überlegungen.

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Erstellt:
25. April 2020, 06:00 Uhr

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