Backnanger Berufsschüler renovieren für Flüchtlinge

Ein Gemeinschaftsprojekt in Backnang bietet Berufsschülern im ersten Lehrjahr die Möglichkeit, Baustellenerfahrungen zu sammeln. Sponsoren unterstützen mit Material, die jungen Menschen mit Initiative und Leistung, damit die Sanierung eines Hauses für Ukraineflüchtlinge gelingt.

Berufsschüler sind fleißig dabei, ein Haus in der Eugen-Adolff-Straße 30 in Backnang für Flüchtlinge zu sanieren. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Berufsschüler sind fleißig dabei, ein Haus in der Eugen-Adolff-Straße 30 in Backnang für Flüchtlinge zu sanieren. Fotos: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Man hört, dass gearbeitet wird. Hier wird Putz aufgetragen, dort ein Eimer mit Wasser aufgefüllt, junge Menschen sind mit Ausbesserungsarbeiten an einer Decke, einer Wand beschäftigt. Mitten in einem großen, hellen Zimmer steht ein Tapeziertisch. Die Tapete ist schon eingespannt, der Kleister wartet darauf, aufgetragen zu werden. Erst in der letzten Woche wurde mit der Renovierung der beiden Wohnungen begonnen und schon zeigen sich große Fortschritte.

Insgesamt etwa 140 Quadratmeter Wohnfläche inklusive großzügigem Balkon warten auf ihre Generalüberholung. Tanja Veeser und ihre Schwester Dagmar Schmid sind ausgesprochen zufrieden, wie sich das familieneigene Gebäude aus den 60er-Jahren mausert. Ursprünglich hatte das Erdgeschoss als Schafstall gedient. Die beiden Obergeschosse wurden als Büroflächen genutzt. Vor etwa 20 Jahren wurden aus den Büros schließlich Wohnungen, zwei davon im ersten Stock. „Mitte des letzten Jahres sind die Wohnungen leer geworden. Wir haben sie erst einmal stehen gelassen“, erläutert Tanja Veesers Mann Dirk. Und dann kam der Ukrainekrieg und mit ihm kamen Flüchtlinge auf der Suche nach einer Bleibe. „Der Stock steht leer, und dann haben meine Schwester und ich beratschlagt. Können wir etwas tun, können wir irgendwie unterstützen?“, fügt Dagmar Schmid hinzu. Und so kam die Idee auf, der Stadt Backnang den Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Allerdings muss dieser erst einmal auf Vordermann gebracht werden: „Man musste es erst einmal herrichten, sodass die Flüchtlinge sich hier wohlfühlen können“, ergänzt Dagmar Schmid. Dank der guten Vernetzung im handwerklichen Bereich fand man schnell Unterstützer.

Dagmar Schmid (links) und Tanja Veeser haben das Gebäude zur Verfügung gestellt.

© Alexander Becher

Dagmar Schmid (links) und Tanja Veeser haben das Gebäude zur Verfügung gestellt.

Und so kam auch der Kontakt zur Gewerblichen Schule Backnang zustande. Eine Win-Win-Situation: Sponsoren unterstützen mit Material, die jungen Menschen mit Initiative und Leistung. Sie sind Maler und Lackierer im ersten Lehrjahr. „Das ist das erste größere Projekt außerhalb der Schule“, sagt Lehrer Stefan Schmid (mit Hausbesitzerin Dagmar Schmid weder verwandt noch verschwägert). Üblicherweise findet im ersten Lehrjahr ausschließlich Unterricht statt, wobei die Lehrlinge bereits etwas Praxiserfahrung durch ihre Betriebstage erlangen konnten. Was sich nun weiter ausbauen lässt. Besonders gut gefällt Schmid der soziale Hintergrund des Gemeinschaftsprojekts. „Wir spenden unsere Arbeitskraft“, sagt er. Und die Schüler sind mit großer Begeisterung dabei: „Sie haben Spaß.“ Und wissen auch, wofür sie die Räume renovieren. Eine Baustelle „in echt“, mit unterschiedlichsten Aufgaben, bei denen sie zeigen können, was sie bereits gelernt haben: Spachtel- und Verputzarbeiten, Tapezieren, Anstreicherarbeiten. Bis Ende Mai sollen die Wohnungen bezugsfertig sein. Bereits vor den Osterferien hatte Schmid mit seinen zehn Schülern die Baustelle begutachtet und Werkzeug- und Materialeinsatz gemeinsam mit ihnen geplant. Denn auch die Arbeitsvorbereitung gehört mit dazu. Zum Abschluss werden zudem Projektkompetenznoten vergeben. Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, das sind Eigenschaften, auf die Betriebe stärker schauen als auf die Schulnoten, weiß Lehrer Schmid. Deshalb wird darauf auch ein besonderes Augenmerk gelegt. „Das ist eine tolle Truppe“, lobt er seine Jungs und Mädels. „Die können was.“ Gergely gefällt es gut hier. Für ihn ist es der erste richtige praktische Einsatz und der macht dem 19-Jährigen viel Spaß. An diesem Tag sind neben den Berufsschülern auch zwei Schüler der dualen Ausbildungsvorbereitung mit Schwerpunkt Farbe dabei. Dazu gehört der 18-jährige Lars: „Ich finde, das ist eine gute Aktion.“ Ihm gefällt der gemeinnützige Hintergrund. „Es ist toll, dass man uns Schülern die Möglichkeit bietet, hier die Gegebenheiten kennenzulernen, wie es tatsächlich ist.“ Das sieht auch Stefan Schmids Kollege Thorsten Briegel so: „Die Schüler haben etwas davon. Sie müssen sich selbst organisieren. Und hier gibt es große Untergründe, die man bearbeiten muss. Da kommt man auch mal ins Schwitzen.“ Besonders gut gefällt ihm die Zusammenarbeit und Organisation als Team. „Man muss miteinander kommunizieren und festlegen, wer was macht. Teamfähigkeit lernt man eher auf der Baustelle als in der Schule.“

Das scheint hier auch wunderbar zu funktionieren, obwohl die Schüler aus zwei verschiedenen Klassen kommen. Tanja Veeser ist begeistert vom Einsatz der Berufsschüler, die mit solch großem Eifer dabei sind: „Man sieht, was man macht, und auch, wofür man es macht.“ Und es biete den jungen Leuten zudem die Möglichkeit, ins Arbeitsleben hineinzuschnuppern. Ihre Schwester sieht es genauso: „Die Praxis ist wichtig. Und es ist was ganz anderes, wenn man selbst Hand anlegen kann.“ Dirk Veeser ergänzt: „Das Ganze funktioniert nur, weil alle mithelfen. Jeder tut etwas dazu, es verteilt sich alles auf mehrere Schultern.“ Eben ein richtiges Gemeinschaftsprojekt.

Voller Einsatz in Backnang

Unterstützung Das Projekt wird von verschiedenen Betrieben unterstützt, etwa von Küche & Design, Malermeister Noah Stelzle, Schreinerei Klenk, Gebäudereinigungsfirma BM Beganovic.

Berufliche Zukunft Eine Ausbildung im Handwerk bietet vielfältige Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Nach dem Gesellenbrief kann eine Meisterausbildung folgen, mit dem Meisterabschluss erwirbt man die Fachhochschulreife.

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Erstellt:
4. Mai 2022, 06:00 Uhr

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