Bahnverkehr im Südwesten
Baden-Württemberger drängen in die Züge
Trotz Negativschlagzeilen bei der Bahn: Noch nie waren die Nahverkehrszüge im Land so voll. Was die Gründe sind.

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Die Züge in den Landesfarben erleben einen Ansturm.
Von Andreas Geldner
Der vom Land Baden-Württemberg bezahlte Nahverkehr auf der Schiene wird so stark genutzt wie noch nie. Das belegen aktuelle Zahlen des Landesverkehrsministeriums im Rahmen des turnusgemäßen Bilanzberichts zum Schienenpersonennahverkehr, der auf die Jahre 2019 bis 2024 blickt.
Joker Deutschlandticket
In den vergangenen fünfzehn Jahren ist die Zahl der im Südwesten zurückgelegten Passagierkilometer auf der Schiene um fast die Hälfte gestiegen (plus 43 Prozent). Binnen dreißig Jahren hat sich die Nutzung der Nahverkehrszüge verdreifacht. Das ist genauso ein Rekord wie die Zahl der angebotenen Fahrten, die sich im Vergleich zur Zeit vor der Bahnreform 1994 immerhin verdoppelt haben. Die Züge sind also voller denn je.
Entscheidender Faktor: Das Deutschlandticket. Während bis zur Pandemie 2019 die Fahrgastzahlen teils langsamer als das Zugangebot gestiegen sind, gab es nach der Corona-Delle erst einen Nachholeffekt, und dann hat sich mit Einführung des damaligen 49-Euro-Tickets im Mai 2023 der Zuwachs massiv beschleunigt.
Auch das Fahrgastniveau vor der Pandemie ist inzwischen um ein Fünftel übertroffen worden. Allerdings gab es in diesem Fünfjahresvergleich auch ein um 21 Prozent höheres Zugangebot.
Verlagerung oder Mehrverkehr?
Inwieweit hier auch Verschiebungen zu Ungunsten des im Vergleich zum pauschalen Deutschlandticket weniger wettbewerbsfähig gewordenen Bahn-Fernverkehrs eine Rolle spielen oder tatsächliche Verlagerungen von anderen Verkehrsmitteln wie dem Auto eine Rolle gespielt haben, hat die Studie nicht analysiert. Laut anderer Untersuchungen hat das Deutschlandticket oft zu zusätzlichem Freizeitverkehr geführt.
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will aber den Zuwachs auch auf das Konto seiner Verkehrspolitik verbucht wissen. Man habe den Zugverkehr deutlich ausgebaut – sowohl in den Städten als auch auf dem Land. „Die Fahrgäste nehmen das verbesserte Angebot sehr gut an,“ sagte er. Seit 2015 sei die landeseigene Bahnflotte auf 390 Züge gewachsen und werde unter anderem im Zuge der Eröffnung von Stuttgart 21 im kommenden Jahr weiter aufgestockt.
Gefährdete Erfolgsgeschichte
Das Schienenangebot im Nahverkehr, das mit Regionalisierungsmitteln des Bundes finanziert wird, hängt aber von der weiteren Haushaltsentwicklung ab. Vor kurzem haben unter anderem die Grünen in Baden-Württemberg Alarm geschlagen, dass die Bundesregierung nicht genügend Geld bereit stellen wolle.
Eine offene Baustelle, so räumt Hermann ein, seien aktuell Qualität und Pünktlichkeit. Auffällig ist nämlich bei der nach Strecken aufgeschlüsselten Entwicklung, dass es bei größeren Problemen wie auf der Gäubahn oder der Schwarzwaldbahn auch teils deutliche Fahrgastrückgänge gab.
Hier versuche das Land durch neu strukturierte Strafzahlungen für die Bahnbetreiber die Entwicklung besser zu steuern: „Zugausfälle werden jetzt anders gewichtet. Dabei berücksichtigen wir stärker das Verschulden der Unternehmen.“