Studie warnt

Bedingungsloses Grundeinkommen wäre nicht finanzierbar

Sollte der Staat Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen zahlen? Viele könnten das wahrscheinlich gut gebrauchen. Doch wäre das überhaupt bezahlbar. Eine neue Studie gibt Antworten.

Demonstranten halten am 1. Mai 2024 in Berlin eine Transparent mit der Forderung nach einem   Bedingungsloses Grundeinkommen hoch

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Demonstranten halten am 1. Mai 2024 in Berlin eine Transparent mit der Forderung nach einem Bedingungsloses Grundeinkommen hoch

Von Markus Brauer/AFP/dpa

Über das Thema wird immer wieder gerne diskutiert: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden, egal, ob arm oder reich, ob alt oder jung. Politische Fürsprecher hat die Idee bisher eher wenige. Gegner sprechen sogar von einer „Faulheitsprämie“.

Massive Steuererhöhungen und spürbarer Wohlstandsverlust

Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens würde einer wissenschaftlichen Studie zufolge massive Steuererhöhungen und einen spürbaren Wohlstandsverlust in Deutschland nach sich ziehen. war würde ein solches staatlich finanziertes Grundeinkommen für alle Bürge ohne Rücksicht auf Bedürftigkeit das Sozialsystem stark vereinfachen, heißt es in der am Mittwoch (18. September) vorgelegten Studie.

Allerdings würden die Einnahmen des Staats massiv zurückgehen, weil gleichzeitig die Anreize zur Arbeit – und damit die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden – sinken würden.

Erstellt wurde die Studie von Fachleuten des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht (IVR) der Universität Stuttgart. Sie spielten dafür verschiedene Grundeinkommens-Modelle in Simulationen durch.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Um es zu finanzieren, wären deutliche Steuererhöhungen notwendig, zeigt eine neue Studie unter Beteiligung von RWI-Wissenschaftler @RobinJessen, die auch das Verhalten der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. https://t.co/EUjR1Hcscc — RWI Leibniz-Institut (@RWI_Leibniz) September 18, 2024

Linke und Grüne für staatlich gesichertes Einkommen

Die Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens wollen, dass der Staat prinzipiell jedem Bürger ein Einkommen in einer existenzsichernden Höhe zahlt – und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit. Von den im Bundestag vertretenen Parteien haben die Linke und die Grünen eine derartige Forderung in ihren Grundsatzprogrammen verankert.

Bei den Grünen heißt es: Das Bedingungslose Grundeinkommen sei eine staatliche „Garantieleistung“, die vor Armut schütze und „ohne Sanktionen das soziokulturelle Existenzminimum“ garantiere. Die Sicherung soll „ohne weitere Bedingungen für jeden Menschen gelten, dessen eigene finanzielle Mittel nicht ausreichen“.

 

 

Weniger Arbeitsstunden, höhere Staatsschulden

Die Simulationen der Studienautoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines solchen Grundeinkommens die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden je nach Ausgestaltung um 20 bis 30 Prozent sinken lassen würde und dadurch dem Staat wichtige Einnahmen entzöge.

„Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in existenzsichernder Höhe würde den Anreiz, zu arbeiten, deutlich verschlechtern“, erklärt Studienautor Robin Jessen vom RWI. „Wegen des Rückgangs der Arbeitsstunden ist es selbst durch starke Steuererhöhungen nicht finanzierbar.“

Die Forscher legten hier für ihre Berechnungen ein vom Staat gezahltes Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat für jeden Erwachsenen und 500 Euro für jedes Kind zugrunde.

48 Prozent hoher Einheitssteuersatz notwendig

Ein modifiziertes Grundeinkommen, das von der Haushaltszusammensetzung und der Miethöhe abhängt, „wäre theoretisch finanzierbar“, betont Jessen. „Es wäre aber sehr teuer und nur über starke Steuererhöhungen finanzierbar.“

Auch hier würden Arbeitsstunden verloren gehen und der Arbeitskräftemangel zunehmen. „Im internationalen Wettbewerb würde Deutschland weiter zurückfallen und Wohlstand einbüßen“, resümiert der Ökonom.

Die Forscher berechneten auch die finanziellen Belastungen für den Bundeshaushalt – unter der theoretischen Annahme eines auf 48 Prozent gestiegenen Einheitssteuersatzes. In diesem Fall wären im Haushalt Einsparungen von jährlich 590 Milliarden Euro an anderer Stelle notwendig, um das Bedingungslose Grundeinkommen zu finanzieren. Bei einem haushaltstyp- und wohnortabhängigen Grundeinkommen müssten jährlich insgesamt 504 Milliarden Euro eingespart werden.

 

 

Was bedeutet Grundeinkommen und bedingungslos?

Unter Begriffen wie Grundeinkommen und bedingungsloses Grundeinkommen werden unterschiedliche Konzepte diskutiert. „Jedes Jahr kommt mindestens eine neue Idee hinzu“, schreibt die Sozialwissenschaftlerin und Buchautorin Eva Douma. Synonym ist teils auch von Bürgergeld die Rede. In der Regel geht es um einen festen Geldbetrag ohne Pflicht zur Rückzahlung und ohne direkte Gegenleistung.

Als bedingungsloses Grundeinkommen wird oft eine Leistung bezeichnet, die jedem Bürger zustehen soll – unabhängig von dessen Lebensverhältnissen und dem Status der Beschäftigung. Also auch Reichen, Babys und Greisen. Meist soll das Geld vom Staat kommen, als eine wirtschaftliche Mindestabsicherung.

Nicht wirklich bedingungslos

In der Praxis sind Grundeinkommensmodelle und Tests oft nicht wirklich bedingungslos. Viele sind auf bestimmte Gruppen beschränkt. Zum Beispiel auf Langzeitarbeitslose oder arme Menschen. Das gilt auch für einen Modellversuch in Finnland: Hier wurde das Grundeinkommen für zwei Jahre nur an Arbeitslose zwischen 25 und 58 Jahren vergeben.

Andere Entwürfe sind an weitere Bedingungen geknüpft. Kritiker sprechen ihnen daher den Charakter eines echten Grundeinkommens ab wie etwa das „solidarische Grundeinkommen“, dass der frühere Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) vorgeschlagen hatte. Es würden Arbeitslose erhalten, die im Gegenzug eine gemeinnützige Arbeit annehmen.

Was soll ein Grundeinkommen bewirken?

Wie ein Grundeinkommen ausgestaltet wird, hängt von den Zielen ab: Soll es die Existenz sichern, Armut bekämpfen oder gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Soll es den Menschen mehr Zeit geben oder sie zur Arbeit motivieren? Soll es andere Sozialleistungen ersetzen oder ein Zusatz sein?

Gewerkschafter in Deutschland lehnen ein bedingungsloses Grundeinkommen als „Fehlorientierung“ und „Stillhalteprämie“ für Menschen ab, denen man keine Perspektive der Erwerbsarbeit mehr biete.

 

 

Wo wurde mit einem Grundeinkommen bereits experimentiert?

Finnland: 560 Euro zahlte die finnische Sozialversicherung Kela monatlich an 2000 Langzeitarbeitslose. Das waren etwa 100 Euro weniger als das Arbeitslosengeld. Wer zusätzlich arbeitete, durfte die Einkünfte behalten. Die Teilnehmer sollten zwischen 25 und 58 Jahre alt sein und wurden per Losverfahren ausgewählt. Ein Ziel war es, herauszufinden, wie sich der Wegfall von Sanktionen auf das Leben von Arbeitslosen auswirkt. Der zweijährige Test lief bis Ende 2018.

Schweiz: 2016 konnten die Schweizer bei der weltweit ersten Volksabstimmung zu diesem Thema über ein bedingungsloses Grundeinkommen entscheiden. 2500 Franken – damals etwa 2260 Euro – standen zur Debatte. Mit nur etwa 23 Prozent Zustimmung scheiterten die Befürworter aber.

Niederlande: Bei einer Studie testen niederländische Wissenschaftler 2018 eine Art Grundeinkommen. 700 Sozialhilfeempfänger wurden dafür in vier Gruppen geteilt. Alle bezogen weiter Sozialhilfe, mussten aber unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Eine der vier Gruppen erhielt ihr Geld dabei bedingungslos: Die Mitglieder durften frei über die Summe verfügen, sich entschließen zu arbeiten, sich ehrenamtlich engagieren oder einfach mehr Freizeit haben. Initiiert hatte das die Stadt Utrecht zusammen mit der Universität.

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Erstellt:
18. September 2024, 16:26 Uhr

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