Tierklinik Heilbronn
Bedroht, beschimpft, erpresst: Tierärzte zunehmend unter Druck
Die Aggression gegenüber Tierärzten wächst. Beleidigungen und Drohungen sind längst keine Ausnahme mehr – auch die Tierklinik Heilbronn bleibt davon nicht verschont.

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Für die Tierärztinnen Katharina Möhler und Helene Enns gehört der Umgang mit Anfeindungen in der Tierklinik Heilbronn inzwischen zum Alltag.
Von Marie Part
Eine junge, akut erkrankte Katze wird in der Tierklinik Heilbronn notfallversorgt und stabilisiert. Zur weiteren Behandlung und Abklärung wird sie in eine andere Klinik überwiesen – doch sie überlebt den Transport nicht. Für den Halter ist sofort klar, wer schuld ist: die Tierärztin, die das Tier zuvor behandelt hat. Er droht, ihre Privatadresse herauszufinden und sie dort aufzusuchen. Die Frau lebt daraufhin wochenlang in Angst, verlässt zwei Monate lang nicht mehr alleine ihre Wohnung und kommt nur noch mit dem Taxi zur Arbeit.
Kein Einzelfall: Drohungen und Beleidigungen in der Tiermedizin
Ein Einzelfall? Leider nicht. Tierärztinnen und Tierärzte geraten zunehmend unter Druck – nicht infolge der Behandlung kranker Tiere, sondern wegen ihrer Halter. Immer öfter berichten die Ärzte von aggressivem Verhalten, Beleidigungen und sogar körperlichen Angriffen.
„Vereinzelt hat es solche Vorfälle schon immer gegeben“, erzählt Heidi Kübler, Präsidentin der Landestierärztekammer. Das bestätigt auch Katharina Möhler, Fachtierärztin für Klein- und Heimtiere. Sie leitet das Kleintierzentrum Heilbronn. Sie habe bereits als junge Tierärztin negative Erfahrungen mit Tierhaltern gemacht: „Ein Kunde hat mich im Wartezimmer übel beschimpft und mir gesagt, dass er mich anzeigen werde.“ Sie habe zuvor einem Zuchthund das Fell geschoren, um einen Venenzugang legen zu können und die Stelle zu desinfizieren – ein übliches und medizinisch korrektes Vorgehen, so die Tierärztin.
Ein Klima der Unzufriedenheit
Seit einigen Jahren nehme die Zahl bedrohlicher Situationen spürbar zu, so Katharina Möhler: „Die Menschen sind ungeduldiger, fordernder und unfreundlicher geworden“, sagt sie. Auch die Anonymität im Internet sei ein großes Problem, meint Helene Enns, ebenfalls Tierärztin in der Tierklinik Heilbronn: „Aus der Anonymität heraus kommen viel mehr verbale Anfeindungen. Ich habe den Eindruck, dass die Leute überhaupt nicht reflektieren, was sie damit anrichten.“
Was sich in persönlichen Begegnungen und Online-Kommentaren zeigt, deutet auf ein grundlegenderes Problem hin: Das gesellschaftliche Klima verändert sich – und mit ihm das Bild der Tiermedizin. „Das Image der Tiermedizin hat sich in den letzten Jahren sehr verschlechtert“, meint Katharina Möhler. Eine Entwicklung, deren Ursachen sie selbst nicht genau benennen kann. „Sicher, die Preise sind gestiegen, aber das gilt für nahezu alle Bereiche unseres Alltags“, sagt sie.
Notaufnahme unter Druck: Tierärzte am Limit
Besonders im Notdienst berichten die Mitarbeiter von aggressiven Verhaltensweisen. „An mehreren großen Anicura-Standorten in der Region hat es schon Übergriffe gegeben“, erzählt Möhler. „In der Notaufnahme sortieren wir, genau wie im Humanbereich“, erklärt die Präsidentin der Landestierärztekammer. Gehe es einem Tier besonders schlecht, werde es schneller behandelt als Tiere, die weniger bedrohlich erkrankt seien. „Das passt manchen Tierhaltern gar nicht“, so Heidi Kübler. Immer wieder komme es auch zu emotionaler Erpressung, so Helene Enns: „Manche Tierhalter sagen: Meinem Tier darf nichts passieren, sonst sterbe ich auch.“ Mit solchen Aussagen müsse man als Tierarzt klarkommen. Das sei nicht immer einfach.
Zwischen Trauer und Geldsorgen: Tierärzte als Projektionsfläche
„Wenn einem Tier etwas passiert, ist das natürlich eine Ausnahmesituation“, sagt Heidi Kübler. Denn Haustiere seien oftmals etwas wie Familienmitglieder und eine emotionale Stütze, so Helene Enns. „Wir hatten einmal einen Vorfall, bei dem ein Hundebesitzer uns Gewalt angedroht hat“, erzählt sie. Der Besitzer des zu behandelnden Hundes sei kaum ansprechbar und in einem psychisch labilen Zustand gewesen. „Er war offensichtlich nicht in der Lage, eine Entscheidung für sein Tier zu treffen, drohte uns aber Gewalt an, sollten wir seinen Hund nicht sofort behandeln“, erzählt sie.
Neben enttäuschten Erwartungen kann auch das Thema Geld immer wieder zu Konflikten führen. „Viele haben keine Krankenversicherung für ihr Tier abgeschlossen und müssen die mitunter hohen Behandlungskosten selbst tragen“, erklärt Tierärztin Möhler. Das führe oftmals zur Frustration der Tierbesitzer: „Oft heißt es dann, wir seien nur aufs Geld aus.“
Psychische Belastung von Tierärzten
Bedrohliche Situationen können traumatisierend sein. „Besonders für junge Tierärzte und tiermedizinische Fachangestellte sind solche Vorfälle teilweise sehr belastend“, erzählt Katharina Möhler. Dabei haben Tierärzte es ohnehin schon nicht leicht. Die Berufsgruppe gilt als besonders gefährdet für Burnout und psychische Erkrankungen. Studien zeigen außerdem, dass Tierärzte häufiger unter Depressionen und Suizidgedanken leiden als die Allgemeinbevölkerung.
Manche Tierärzte entscheiden sich nach einem Übergriff, den Beruf zu wechseln. Angesichts des ohnehin bestehenden Fachkräftemangels wiegt das besonders schwer. „Wir reden viel miteinander, um besser mit solchen Situationen klarzukommen“, erzählt Katharina Möhler. Die Klinik in Heilbronn habe für solche Vorfälle zudem ein Beschwerdemanagement aus drei Personen eingeführt.
Schutzmaßnahmen – Von Escape Rooms bis zum Notfallknopf
Zum Schutz des Tierärzte-Personals gibt es weitere Maßnahmen: In größeren Tierkliniken gibt es vereinzelt Escape Rooms, die den Mitarbeitenden zur Verfügung stehen. In Heilbronn hat Anicura beim Bau der Tierklinik auf mögliche Fluchtrouten der Mitarbeiter geachtet, und inzwischen sind auch Kameras im Einsatz. Auch gebe es in immer mehr Kliniken Notfallknöpfe und man sei mit einem Sicherheitsdienst verbunden, so Tierärztin Möhler.
„Manche Standorte haben inzwischen eine Türschleuse, durch die nur einzelne Menschen mit ihrem Tier eingelassen werden“, ergänzt die Präsidentin der Landestierärztekammer. So versuche man, von vorneherein eine bessere Kontrolle zu erlangen : „Kommt es dennoch zu einer bedrohlichen Situation, versuchen die Mitarbeiter zunächst zu deeskalieren.“ Bringt das nichts, wird die Polizei zur Hilfe gerufen.
Notfall-Hotline und Schulungen als Hilfsangebot
Seit dem 1. Juni gibt es für Mitarbeiter im tiermedizinischen Bereich eine Notfall-Hotline. „Tierärzte, die psychisch unter belastenden Erlebnissen im Berufsalltag leiden, können dort täglich zwischen 20 und 22 Uhr anrufen“, erläutert Heidi Kübler.
Auch Schulungen, die das Personal auf bedrohliche Situationen vorbereiten, werden vermehrt angeboten. Innerhalb der Anicura-Kliniken gebe es bereits seit mehreren Jahren Kommunikations- sowie Stress- und Resilienz-Schulungen für die Mitarbeiter, so Katharina Möhler: „Die sind extrem wichtig, helfen aber nicht bei allen Situationen.“
Ständige Absicherung und fehlende Wertschätzung
Negative Erfahrungen im Berufsalltag können Auswirkungen auf die Motivation und das Sicherheitsempfinden bei der Arbeit haben. „Es führt zu einem andauernden Gefühl, etwas falsch machen zu können. Auch das Bedürfnis, sich bei allem so gut wie möglich abzusichern, besteht ständig“, erzählt Katharina Möhler.
„Die gestiegene emotionale Belastung und die fehlende Wertschätzung stehen im krassen Gegenteil zu dem, was wir leisten“, gibt die Tierärztin zu bedenken. Sie wünsche sich von den Tierhaltern einen respektvollen Umgang sowie das Verständnis, dass es sich bei Tierärzten um Fachleute handele: „Wir achten auf sämtliche Symptome und führen, wenn nötig, eine umfassende Diagnostik durch, die Zeit und auch Geld kosten kann.“
Was bleibt: Hoffnung, Zusammenhalt und die Liebe zum Tier
Trotz der negativen Entwicklungen gebe es immer noch Dinge, die ihnen Hoffnung und Kraft geben würden, so die Tierärztinnen aus Heilbronn. „Für mich sind es die Kunden, die ich lange begleite und mit denen ich gemeinsam tränenüberströmt bis zum Ende den Weg ihres Tieres gehe“, sagt Helene Enns.
Katharina Möhler erzählt dagegen: „Ich freue mich riesig, wenn ich Fotos von einem Tier bekomme, dem es wieder gut geht.“ Denn die Liebe zum Tier sei einer der größten Motivationsfaktoren in ihrem Beruf. Auch die Kollegen, mit denen sie gemeinsam lachen und brenzlige Situation meistern würden, spielten eine große Rolle, so Helene Enns. Sie sagt weiterhin: „Wichtig sind die Kollegen, mit denen man nach Dienstende ein Bier trinkt und dabei wieder zu sich selbst zurückfindet.“