Missbrauch in Kitas: Mehr als elf Jahre Haft für Logopäden

dpa Würzburg. Ein anerkannter Sprachtherapeut soll in Würzburg behinderte Jungen therapieren. Er missbraucht sie sexuell schwer - in zwei Kitas und seinen Praxisräumen. Orte, an denen Eltern ihre Kinder in Sicherheit wähnen. Dafür muss er nun jahrelang ins Gefängnis.

Der Logopäde beim Prozessbeginn im März im Würzburger Landgericht. Foto: Daniel Karmann/dpa

Der Logopäde beim Prozessbeginn im März im Würzburger Landgericht. Foto: Daniel Karmann/dpa

Das Leid der betroffenen Familien ist schier grenzenlos, die Brutalität der Übergriffe eines Logopäden auf behinderte Kinder schockiert auch erfahrene Ermittler: In einem der größten Missbrauchsprozesse in Bayern ist ein Sprachtherapeut zu elf Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Zudem darf er lebenslang keine minderjährigen Jungen mehr therapieren. Der 38-Jährige hat sich nach Überzeugung des Landgerichts Würzburg jahrelang an körperlich und/oder geistig behinderten Jungen sexuell vergangen. Viele der Opfer trugen noch Windeln, waren zwischen zwei und sechs Jahre alt. Das Urteil der Großen Jugendkammer ist noch nicht rechtskräftig. (Az. 510 Js 541/19 jug)

„Der Angeklagte hat im Ergebnis ganze Familien pulverisiert“, sagte der Vorsitzende Richter Michael Schaller. Er schilderte in seiner Urteilsbegründung detailliert den Weg eines beruflich und privat erfolgreichen Mannes zu einem Menschen, dessen unfassbares Tun - „von Trieben und Lust getragen“ - tief erschüttere. „Immer wieder hat der Angeklagte seine Taten gefilmt“, mit dem Ziel, sie in Tauschbörsen im Darknet, wo grausamste Videos von Missbrauchsszenen geteilt werden und sich Internetnutzer fast anonym bewegen, zu veröffentlichen.

Der Angeklagte sagte am letzten Verhandlungstag hinter verschlossenen Türen, er habe sich deshalb im Prozess nicht ausdrücklich entschuldigt, da es keine Entschuldigung für diese Taten gebe. Er sei sich seiner Schuld und des Schadens bewusst, den er bei den Kindern, deren Angehörigen, seinen Mitarbeitern, seinem Ehemann und auch seinen Pflegekindern verursacht habe, berichtete Gerichtssprecher Rainer Volkert aus dem Gerichtssaal.

Das nahm die Kammer dem Deutschen nicht ab. „Er hat sich nicht als mitfühlend darstellen können“, sagte Schaller. Die Verteidiger des Mannes sehen das anders. „Ich hatte den Eindruck, dass unser Mandant wirklich schuldeinsichtig ist“, sagte Rechtsanwalt Jan Paulsen. Womöglich werde die Verteidigung in Revision gehen.

Seine sexuellen Fantasien lebte der 38-Jährige den Ermittlungen zufolge jahrelang an seinen wehrlosen Patienten aus. Viele von ihnen könnten kaum reden, sagte Schaller. „Diese Patienten konnten den Angeklagten nicht verraten.“ Während die Erzieherinnen und Erzieher mit den anderen Kita-Kindern im Morgenkreis zusammensaßen, war der Angeklagte mit den ihm anvertrauten Jungen in Nebenräumen zur Therapie alleine. „Die Umstände haben es ihm leicht gemacht.“

Der in Würzburg angesehene und für seine Verdienste ausgezeichnete Logopäde soll seine Opfer in mehr als 60 Fällen schwer sexuell missbraucht haben. „Meistens hat er bei den Taten geschwiegen“, sagte Schaller, „obwohl er den Kindern Sprache beibringen sollte.“

Die Mitarbeiter der Einrichtungen haben nach Erkenntnis der Polizei von den Übergriffen nichts mitbekommen. Auch der Ehemann des Therapeuten wusste demnach nichts von den Umtrieben seines Partners, der sich zudem nahezu jeden Abend im Darknet tummelte. Der 38-Jährige verbreitete die Missbrauchsvideos online, so kamen ihm die Ermittler auf die Schliche. Die Kammer verurteilte ihn auch wegen Herstellens kinderpornografischer Schriften. In seiner Wohnung stellten Polizisten knapp 23.000 Dateien mit Missbrauchsinhalten sicher.

Die Anklage hatte für den 38-Jährigen 13 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe sowie ein Berufsverbot verlangt. Die Verteidigung plädierte für eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 8 Monaten. Einige Nebenklagevertreter forderten zudem Sicherungsverwahrung. Diese wird in der Regel angeordnet, um die Allgemeinheit auch nach Verbüßung einer Haftstrafe vor dem Täter zu schützen.

„Die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung liegen nicht vor“, sagte Schaller. „Das Risiko für Wiederholungstaten ist jetzt schon sehr gering.“ Der psychiatrische Gutachter in dem Verfahren hatte den Angeklagten für therapierbar erklärt, aber nicht für vermindert schuldfähig. Mit einer Therapie liege die Wahrscheinlichkeit für neue Übergriffe unter zehn Prozent.

Ein Großteil des Prozesses fand zum Schutz der Opfer hinter verschlossenen Türen statt. Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern ist in Paragraf 176a des Strafgesetzbuches definiert. Das sind alle Handlungen an Kindern, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden 2019 bundesweit 13 670 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern registriert - 10,9 Prozent mehr als im Vorjahr. 10.259 Verdächtige gab es, die meisten Täter sind Männer.

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Erstellt:
25. Mai 2020, 15:48 Uhr

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