Beim versuchten Mord „wie ferngesteuert“ gewesen

Das Landgericht hört Familienangehörige und Polizeibeamte zur ungebremsten Fahrt auf die Kelter in Endersbach.

Am Stuttgarter Landgericht wurde der Fall einer Frau verhandelt, die das Leben mehrerer Kinder in ihrem Autogefährdete.Symbolbild: BilderBox - Erwin Wodicka

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Am Stuttgarter Landgericht wurde der Fall einer Frau verhandelt, die das Leben mehrerer Kinder in ihrem Autogefährdete.Symbolbild: BilderBox - Erwin Wodicka

Von Heike Rommel

Weinstadt. „Ich bin nicht hier, um Sie von meiner Unschuld zu überzeugen“, damit gab die 37-jährige Mutter, die mit ihren vier Kindern im Auto ungebremst auf die Mauer der alten Kelter in Endersbach gefahren ist (wir berichteten) vor dem Stuttgarter Landgericht eine Erklärung ab. Sie sei „wie ferngesteuert“ gewesen, sagte die wegen versuchten Mordes an zwei nicht angegurteten Kindern und wegen versuchten Totschlags an zwei gesicherten Kindern angeklagte Mutter. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie sich und die Kinder am Morgen des 7. Dezember 2022 umbringen wollte.

„Leben und leben lassen“, so die Angeschuldigte, sei vor dem Unfall ihr Motto gewesen. Doch irgendwann sei sie zum „Spielball“ geworden in der Verantwortung für ihre Eltern und bei der Unterstützung des Vaters ihrer Kinder, der nicht bei der Familie gelebt hat. Erschöpft und kraftlos sei sie vor der Tat mitten in der Nacht aufgewacht, weil sie gemeint hätte, es habe geklingelt. „Plötzlich waren die Selbstmordgedanken da“, öffnete sich die 37-Jährige gegenüber der Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Norbert Winkelmann. „Ich sah für uns alle keinen Ausweg.“ Ihre Mutter und Oma der Kinder habe ihr kurz vor der Fahrt den Satz reingedrückt: „Ich tue nun alles dafür, dass es nach Kindeswohlgefährdung aussieht“, ihr eine Ohrfeige gegeben und sie „Teufel“ genannt. „Ich wollte nur noch weg“, schilderte die Angeklagte die Fahrt mit ihren vier kleinen Kindern durch die Weinberge. „Ich wollte bremsen, konnte aber nicht“, beschrieb sie, wie sie mit mindestens Tempo 60 frontal auf die Mauer der Kelter prallte. Bis auf den Beinbruch eines Sohnes sind alle mit glimpflichen Verletzungen davongekommen. Unter Beobachtung der Polizei soll die Frau einen zweiten Selbstmordversuch unternommen haben. Ein Beamter sah, wie sie mit einem Kugelschreiber auf ihren Unterarm einstach. Dieser schrieb auch Äußerungen von der Festgenommenen mit, die ihm seltsam vorkamen. Zum Beispiel als die Frau mit sich selbst sprach. „Warum bin ich nicht tot?“, hat sich die Angeklagte nach der Zeugenaussage einer Polizeibeamtin gefragt.

Tochter kam Zeugin „wie ein Dämon“ vor

Emotional ging es auch im Gerichtssaal zu, als der Kindsvater darum bat, die Angeklagte umarmen zu dürfen, und Richter Winkelmann das zuließ. Der 41-Jährige kümmert sich mit um die Kinder, solange die Mutter im Frauengefängnis Schwäbisch Gmünd ist. Der Kindsvater lobte die Angeklagte als „sehr gute Mutter“. Diese habe nur Angst gehabt, dass ihr das Jugendamt die Kinder wegnimmt. „Ich war nie da, wenn sie mich gebraucht hat“, bereute der Vater der Kinder, sich nicht genügend um seine Partnerin gekümmert zu haben. Dabei habe sie seine aus einer Spielsucht resultierenden Schulden beglichen.

Die 62-jährige Mutter der Angeschuldigten erzählte, wie sie jenen Mittwochmorgen aus ihrer Sicht erlebt hat. Ihre Angaben stimmten mit denen ihrer Tochter nicht ganz überein. Daran, etwas von Kindeswohlgefährdung gesagt zu haben, konnte sich die Mutter der Beschuldigten nicht erinnern. Im gemeinsam bewohnten Haus gegen 6 Uhr nach oben gekommen, sagte sie, habe sie ihre Tochter umarmt und gefragt: „Willst du mitgehen? Ich möchte dich nicht alleine lassen.“ Wegen des „starren Blickes“ der Tochter, so die Mutter, sei sie in Panik geraten und habe dieser eine Ohrfeige gegeben. „Sie gab mir eine Ohrfeige zurück“, führte die 62-Jährige weiter aus, sie habe sich in ihre Wohnung geflüchtet und die Tochter nicht hineingelassen, um die Polizei zu rufen. Vor lauter Angst, dass sich ihre Tochter was antut. Das Gericht spielte den Notruf ab, den die 62-Jährige an jenem Morgen abgesetzt hatte. „Meine Tochter will sich umbringen“, teilte die Anruferin dem Polizisten am Telefon zweimal mit. Vielleicht sei ihre Tochter nach Weinstadt unterwegs, weil da so viele Kurven seien, sprach die Anruferin weiter. „Warum?“, fragte der Polizist. „Weil sie psychisch krank ist“, lautete die Antwort. Ob sie ihre Tochter „Teufel“ genannt hat, wusste die Zeugin nicht mehr, aber „wie so ein Dämon“ sei ihr diese schon vorgekommen.

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Erstellt:
20. Mai 2023, 14:00 Uhr

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