Dokumente zu NS-Zwangsabgabe in Stuttgart übergeben

dpa/lsw Stuttgart. Juwelen, Schmuck und Edelmetalle - all das mussten Juden in Deutschland vom Jahr 1939 an auf Befehl des NS-Regimes abgeben. In Stuttgart können Forscher nun Akten einsehen, die Tausende solcher Enteignungen so umfangreich dokumentieren wie selten zuvor.

Rund 3000 Menschen jüdischen Glaubens mussten auf Befehl des nationalsozialistischen Regimes vom Jahr 1939 an Juwelen, Schmuck und Edelmetalle in der Städtischen Pfandleihanstalt Stuttgart abgeben. Das geht aus Akten hervor, die die Städtische Pfandleihe als Nachfolgeeinrichtung nun dem Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg zur wissenschaftlichen Auswertung übergeben hat. Dass diese Dokumente vollständig erhalten seien, sei bundesweit „wahrscheinlich einzigartig“, sagte die Direktorin des Wirtschaftsarchivs, Britta Leise, am Donnerstag in Stuttgart. „Solche Dokumente sind normalerweise nicht komplett.“ Zunächst hatten die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ darüber berichtet.

Die Zwangsabgabe von Wertgegenständen - mit wenigen Ausnahmen wie Eheringen - wird auch als Silberabgabe bezeichnet. Als die Nationalsozialisten dieses Verbot für Juden erließen, dienten die öffentlichen Pfandleihen als Sammelstellen. Dort mussten Schmuck und Edelmetalle abgegeben werden, die Besitzer erhielten dafür deutlich zu niedrige Entschädigungen. Die Wertgegenstände wurden dann zugunsten der Staatskasse verkauft.

Die nun in Stuttgart übergebenen Dokumente - nach Angaben von Wirtschaftsarchiv und Pfandleihe rund fünf Meter Aktenordner - enthalten detaillierte Informationen dazu, wie die Silberabgabe in der heutigen Landeshauptstadt umgesetzt wurde. Dokumentiert seien rund 3000 Vorgänge zu Enteignungen - mit lückenlosen, chronologischen Namenslisten, einer Aufzählung von Gegenständen, Wertansätzen und Quittungen. Unterlagen zur Verwertung der Schmuckstücke gehören ebenso zu den Akten wie Dokumente zu den vielen Entschädigungen von ehemaligen Besitzern und deren Nachkommen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wie umfangreich die Dokumente in Stuttgart sind, war der Städtischen Pfandleihe demnach erst bei einer Anfrage zu einer wissenschaftlichen Recherche aufgefallen. „Es war uns bekannt, dass wir dazu einen historischen Aktenbestand besitzen“, sagte Geschäftsführer Jürgen Barth. „Bei genauer Sichtung zeigte sich jedoch, dass es sich dabei sogar um eine umfassende und lückenlose Dokumentation der damaligen Vorgänge handelt.“ Welche Erkenntnisse die Akten Forschern bringen könnten, werde die Zukunft zeigen, sagte Wirtschaftsarchiv-Direktorin Leise. „Sie sind noch nicht wissenschaftlich ausgewertet.“

© dpa-infocom, dpa:211209-99-311499/3

Zum Artikel

Erstellt:
9. Dezember 2021, 06:07 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen