Volksentscheid in der Hauptstadt

Berlin drohen 113 Milliarden Euro Klimakosten

Am Sonntag stimmen die Berliner darüber ab, ob die Hauptstadt schon bis 2030 klimaneutral werden soll. Ein Ja könnte riesige Kosten nach sich ziehen.

Bis 2030 soll Berlin klimaneutral sein, fordern die Initiatoren eines Volksentscheids in der Hauptstadt.

© dpa/Wolfgang Kumm

Bis 2030 soll Berlin klimaneutral sein, fordern die Initiatoren eines Volksentscheids in der Hauptstadt.

Von Norbert Wallet

Wenige Wochen nach der – diesmal immerhin geglückten – Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus sind 2,4 Millionen Berliner Bürger und Bürgerinnen wieder zu einer Abstimmung aufgerufen. Am Sonntag findet ein Volksentscheid statt. Die Bürgerinitiative „Klimaneustart Berlin“ will erreichen, dass die Stadt bis 2030 klimaneutral werden soll. Bisher hat sich Berlin verpflichtet, dieses Ziel bis zum Jahre 2045 zu erreichen. Um erfolgreich zu sein, muss das Anliegen bei der Abstimmung nicht nur eine Mehrheit erzielen, sondern es muss mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten mit „Ja“ gestimmt haben. Dieses Quorum liegt bei knapp 613 000 Stimmen.

Kommt die Forderung durch, hat der Senat keine Wahl. Das gleichzeitig zur Abstimmung vorlegte Gesetz ist dann in Kraft. Das hätte sehr weitreichende Konsequenzen. Zwar halten sich die Initiatoren mit genauen Maßnahmen zur Umsetzung zurück. Aber sie wollen festlegen, dass schon bis 2025 der CO2-Ausstoß um 70 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden muss, bis 2030 um 95 Prozent. Das macht erforderlich, dass bis 2030 alle öffentlichen Gebäude klimafreundlich renoviert werden müssten. Auch private Wohnungen müssten umgerüstet werden. Dadurch verursachte Mietsteigerungen sollen ausgeglichen werden.

Hohe Kosten für eine notorisch klamme Stadt

Für die finanziell notorisch klamme Stadt brächte das immense Kosten mit sich. Der Senat gibt in einer als „konservativ“ beschriebenen Schätzung an, dass ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag notwendig wäre. Die Initiatoren versuchen das Thema gar nicht erst zu kaschieren. Sie rechnen sogar mit etwa 113 Milliarden Euro. Die Ziele sind so ambitioniert, dass selbst in Kreisen der auf zügigeren Klimaschutz dringenden Fachwissenschaft erhebliche Zweifel am Sinn des Anliegens bestehen. Ein Gutachten des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das vom Berliner Senat in Auftrag gegeben wurde, kommt zum Ergebnis, dass bis 2030 statt der geforderten Reduktion von 95 Prozent nur 60 Prozent Minderung im Vergleich zu 1990 erreichbar seien.

Designierter Bürgermeister Kai Wegner sagt „ein klares Nein“

Entsprechend hatte bereits der rot-rot-grüne Senat den Vorstoß abgelehnt. Im Sommer 2022 hatte das Abgeordnetenhaus das Begehren mit den Stimmen aller (!) Parteien abgelehnt. Derzeit verhandeln CDU und SPD über die Bildung einer neuer Regierung. Der designierte neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärte, von ihm gebe es „ein klares Votum Nein zum Volksentscheid“.

Er bekannte sich dazu, die Klimaneutralität früher als 2045 zu erreichen. Die Politik habe aber auch eine Verantwortung, die Bezahlbarkeit in der Stadt zu gewährleisten. Auch die noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey äußerte sich sehr entschieden: „Mit keinem Geld der Welt sind die Ziele zu erreichen“, sagte sie. „Wir müssen so realistisch sein, dass wir tausende Gebäude in der Stadt haben, die bis 2030 nicht klimaneutral sind“.

Der Eiertanz der Grünen

Für die Grünen allerdings ist das Thema zu einem höchst unangenehmen Eiertanz geworden. Vor allem die noch amtierende Umweltsenatorin des alten rot-rot-grünen Senates, Bettina Jarrasch, zeigt eine geradezu akrobatische Biegsamkeit beim Umgang mit der Thematik.„Mit den Möglichkeiten, die wir zur Zeit haben, schaffen wir es bis 2030 nicht“, fasst sie die Expertise ihres Ministeriums bündig zusammen. Dann aber wird es dialektisch. Das Gesetz lege allerdings keine Sanktionen fest, wenn die beschlossenen Ziele verfehlt würden. Damit würde die Annahme des Entscheids vor allem „den politischen Druck deutlich erhöhen“. Und deshalb stimmt Jarrasch am Sonntag als Bürgerin für den Volksentscheid, dessen Umsetzung sie als Senatorin für unmöglich hält.

Fraglich, ob das Quorum erreicht wird

Hat der Volksentscheid tatsächlich Chancen? Sicher wird eine Mehrheit derjenigen, die abstimmen, die Initiative stützen. Es gilt allerdings als sehr fraglich, ob das Quorum erreicht werden wird. Deshalb hatten die Initiatoren angestrebt, die Abstimmung mit der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus zusammenzulegen. Das erschien dem Senat aber angesichts der wenig belastbaren Berliner Verwaltung zu heikel. In den Worten Franziska Giffeys: Man wolle nicht eine „Wiederholung der Wiederholungswahl riskieren“.

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Erstellt:
24. März 2023, 15:56 Uhr

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