Beschäftigte der Rietenauer Mineralquellen im Warnstreik
Die Frühschicht hat die Arbeit niedergelegt und sich zur Kundgebung vor dem Werksgelände der Rietenauer Mineralquellen getroffen.

© Alexander Becher
Im Warnstreik: Lastwagenfahrer, Produktions- und Logistikmitarbeiter demonstrierten vor dem Werkstor der Rietenauer Mineralquellen für mehr Lohn. Die nächste Verhandlungsrunde mit den Arbeitgebern findet am morgigen Donnerstag statt. Foto: Alexander Becher
Von Nicola Scharpf
Aspach. In der Früh blieb es still auf dem Gelände der Rietenauer Mineralquellen. Es klapperten keine Wasserflaschen in den Sprudelkästen. Die Produktion ruhte. Auch kein beladener Lastwagen startete, um das Mineralwasser auszuliefern. Im Rahmen der Lohn- und Gehaltstarifrunde für die Mineralbrunnenbetriebe Baden-Württemberg hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Region Stuttgart die rund 65 bei Rietenauer Beschäftigten zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Die Frühschicht kam der Aufforderung nach, trat ab vier Uhr in einen zehnstündigen Warnstreik und versammelte sich zur Kundgebung vor dem Werkstor.
„Eins, zwei, drei, vier höhere Löhne wollen wir“, skandiert Magdalena Krüger von der NGG ins Mikrofon. „Acht, neun, zehn der Streik kann noch weitergehen.“ Etwa 25 Beschäftigte – Lastwagenfahrer, Produktions- und Logistikmitarbeiter – haben neongelbe Streikwesten übergezogen und formieren sich im Halbkreis um Krüger und ihren Kollegen Hartmut Zacher, Geschäftsführer der NGG-Region Stuttgart. „Wasserstreik“ nennt es Krüger.
23 Prozent Preissteigerung bei Lebensmitteln zwischen April 2022 und April 2023: „Das ist die Zahl, die man nicht nur liest, sondern die man täglich auch spürt“, wendet sie sich an die Gewerkschaftsmitglieder und jene Beschäftigten, die sich mit ihnen solidarisieren und ebenfalls dem Arbeitsplatz fernbleiben. Hinzu kämen gesteigerte Energiekosten in ähnlicher Dimension. Bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen gehe es darum, dass man sich von guter Arbeit auch ein gutes Leben leisten können sollte. Und die Rietenauer-Beschäftigten würden gute Arbeit leisten. Nicht von ungefähr habe die Geschäftsführung der Winkels Getränke Logistik aus Sachsenheim, zu der die Rietenauer Mineralquellen gehören, jüngst bei einer Betriebsversammlung Rietenauer als Perle der Winkels-Gruppe bezeichnet. „Ihr habt das ganze Jahr den Laden gerockt“, lobt Krüger die Streikenden.
Ärger und Wut über das Angebot
Die Gewerkschaft fordert in den laufenden Lohn- und Tarifverhandlungen deswegen, dass sich die Entgelte um elf Prozent erhöhen – mindestens jedoch um 350 Euro in einem Anschlusstarifvertrag mit einer Laufzeit von zwölf Monaten – und dass die Ausbildungsvergütung um 200 Euro steigt. Dem gegenüber steht das Angebot der Arbeitgeberseite aus der zweiten Verhandlungsrunde von plus 275 Euro und zusätzlichen 600 Euro Inflationsausgleichsprämie bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Für dieses Angebot wählt Zacher die Worte „Frechheit, Unverschämtheit, Dreistigkeit“. „Da kriegt man ne richtige Wut“, beschreibt er die Stimmung bei den Verhandlungsrunden. „Ich weiß nicht, ob sie unsere Kommission für blöd verkaufen wollen?“ Insbesondere wegen der gewünschten Laufzeitverlängerung um sechs Monate schäumt er: Ließe die Gewerkschaft sich darauf ein, würden die nächsten Verhandlungen im Herbst stattfinden – bei der Mineralwasserproduktion die „Saure-Gurken-Zeit“ – und die Arbeitnehmerseite wäre von vornherein in ihrer Durchsetzungskraft geschwächt.
Wenn bei Rietenauer für einen Tag gestreikt wird, sei das für die Verbraucher zwar nicht sofort bemerkbar, so Zacher. „Es kann schon sein, dass in einem Supermarkt keine Kisten des gewünschten Mineralwassers vorhanden sind.“ Aber: „Es ist das Wichtige, dass es dem Arbeitgeber wehtut. Für die Gewerkschaft ist wichtig, dass die Produktion ruht.“ Von daher sprechen er und seine Kollegin Krüger von einem starken Zeichen Richtung Arbeitgeberseite – für das sich auch Betriebsrat Guido Eger, der an regulären Arbeitstagen an den Abfüllanlagen als Serviceleiter der Werkstatt tätig ist, bei den Beschäftigten bedankt. „Jeder hat was davon und hat mehr Geld in der Tasche.“ Lastwagenfahrer Günter Klein ist seit 29 Jahren bei Rietenauer beschäftigt und sitzt mit in der Tarifkommission. Es ist das zweite Mal, dass er für mehr Lohn die Arbeit niederlegt. Das letzte Mal habe er 2020 gestreikt – und zwar erfolgreich.
Auch bei anderen Mineralquellen wird gestreikt
Am 15. Juni findet der nächste Verhandlungstermin mit den Arbeitgebern statt. Entweder es kommt zur Einigung. „Elf Prozent Abschluss wäre eine Sensation“, sagt Zacher. „Je näher man drankommt, umso besser.“ Oder nicht. Wenn die dritte Verhandlungsrunde scheitert, droht die Gewerkschaft mit Urabstimmung und Streik. „Dann stehen wir ab Montag dauerhaft so lange, bis es einen Abschluss gibt“, stellt er in Aussicht. Nach drei oder vier Tagen wären die Folgen dessen in den Supermärkten in Form von leeren Getränkeregalen deutlich sichtbar.
Außer bei den Rietenauer Mineralquellen wurde auch bei den Peterstaler Mineralquellen und beim Liebenzeller Mineralbrunnen gestreikt.