Bewegende Auftritte ukrainischer Künstler in Backnang

Wetterbedingt muss das Rahmenprogramm beim Peace-4-Ukraine-Festival im Backnanger Freibad geändert werden. Der Entschlossenheit der Veranstalter tut dies jedoch keinen Abbruch. Es herrscht gute Stimmung trotz Wind, Kälte und Regen und Freude über zahlreiche Spenden.

Kerzen und Friedenslichter beim Gebet (auch bei Wind und kälterem Wetter) gemeinsam für den Frieden in Europa und in der Ukraine.

© Tobias Sellmaier

Kerzen und Friedenslichter beim Gebet (auch bei Wind und kälterem Wetter) gemeinsam für den Frieden in Europa und in der Ukraine.

Von Carmen Warstat

Backnang. Die Bilder der Kriege gleichen sich, immer und überall. Das machte am Wochenende eine Fotoausstellung deutlich, die Eindrücke der Fotografen Markus Brandstetter (seit Kriegsbeginn in der Ukraine als Helfer unterwegs) und Firas Abdullah (Syrien) vorstellte. Zu sehen sind immer wieder Ruinen, Autowracks, verwüstete Siedlungen, Menschen am Rande des Abgrunds. Auch wenn die Fotos aus der Ukraine im Unterschied zu denen aus Syrien in Schwarz-Weiß gehalten sind – die hässlichen Gesichter des Kriegs wiederholen sich auf verstörende Weise und vermitteln unwiderlegbar und intensiv, was in Westeuropa fern erscheint und gern verdrängt wird. Für Syrer und beispielsweise Ukrainer war und ist es nicht verdrängbar, sondern bitterste Realität.

Das Festival Peace4Ukraine, das jetzt im Backnanger Freibad stattfand, nahm diese Realität zum Anlass, Geflüchteten verschiedener Nationen einen Begegnungsraum zu schaffen und Solidarität insbesondere mit ukrainischen Kriegsopfern zu zeigen, Hilfsorganisationen vorzustellen und Spenden zu sammeln. Wetterbedingt und umständehalber musste das Rahmenprogramm reduziert beziehungsweise geändert werden. So gab es keine Vorstellungen von Professor Pröpstls Puppentheater, sondern von Jongleur Chris Blessing. Auch wenn Juze-Mitglieder sehr fleißig beim Aufbauen geholfen haben, ihre Miniramp fehlte wetterbedingt. Der Entschlossenheit der Veranstalter taten diese Änderungen jedoch keinen Abbruch. Die Organisatoren hatten neben einigen deutschen Musik-Acts auch ukrainische Künstler auf die Bühne gebeten und besonders diese rührten nicht nur die eigenen Landsleute zu Tränen, indem sie die furchtbaren Gewissheiten des Kriegs in ihrer Heimat ganz nah brachten.

„An jene, die immer noch schweigen

Zu hören waren beispielsweise Dima Dmitrov (Gitarre) und Anastasia Sallschuk (Gesang) mit sehr eindringlichen populären ukrainischen Songs, die sie auf ergreifende Weise interpretierten. Eines dieser Lieder wurde in russischer Sprache verfasst und vorgetragen, denn es richtet sich an die russische Bevölkerung, insbesondere an die dortige schweigende Mehrheit. „An jene, die immer noch schweigen“ – so könnte man den Titel eines Songs übersetzen, der da fragt: Wie könnt ihr denn schweigen, wo ich doch schreie?

Dima Dmitrov paraphrasierte den Text vorab in englischer Sprache und die sehr emotionale musikalische Interpretation machte das Leid einen Augenblick lang erfahrbar für jeden, der offene Ohren und ein Herz hat. Das vorzügliche Gitarrenspiel hat Dima Dmitrov in der christlichen Gemeinde seiner Heimatstadt nahe Kiew erlernt, wo er sehr oft in der Kirche spielte und die Sänger und Sängerinnen begleitete. Sein Selbstverständnis als Christ habe dazu beigetragen, die hiesige Gastfamilie in Maubach auf Anhieb zu verstehen und eine gemeinsame Wellenlänge zu finden.

Der dreifache Vater kann seine Dankbarkeit für diese Familie kaum in Worte fassen, so selbstverständlich und hilfsbereit seien er, seine Frau und die Kinder aufgenommen und seit nunmehr sechs Monaten beherbergt worden. „Wir hatten das nicht erwartet und haben unglaublich viele wunderbare Deutsche kennengelernt“, erzählt er auf Englisch und ergänzt: „Ich kann ihnen nicht genug danken – es ist das Mindeste, was ich tun kann!“ Und bei aller Freude darüber sei der Gedanke doch kaum zu ertragen, „that we can’t go back“ (dass wir nicht zurückgehen können).

Die Flucht glich einer Odyssee

Dima Dmitrovs Flucht mit zwei kleinen Kindern und seiner damals hochschwangeren Frau glich einer Odyssee, weil man sie die Grenzen wegen der Wehrpflicht mehrfach nicht passieren ließ. Das Recht, das Land zu verlassen, war seinerzeit lediglich Vätern von drei Kindern vorbehalten – dass das dritte bei den Dmitrovs unübersehbar unterwegs war, zählte zunächst nicht. Heute ist die Familie froh und dankbar dafür, dass das Baby in Winnenden zur Welt kam, kurz nachdem die schier endlose Reise ihr vorläufiges Ende gefunden hatte.

Auch Ivan Shevchyk, ein 19-jähriger Ukrainer, stand anlässlich des Festivals auf der Bäderbühne. Er begleitete sich selbst mit der Gitarre und interpretierte Traditionals aus seiner Heimat. Eines davon erzählt von der mystischen Bedeutung der Berge für die Menschen dort, von ihrer Kraft und Würde, die kein Krieg zerstören kann, von der Magie, die von diesen Orten ausgeht.

Moderiert wurde das zunächst leider nur spärlich besuchte Festival gemeinsam von Syrern, Ukrainern und Deutschen, die sich allesamt in der Flüchtlingshilfe engagieren. Zahlreiche Institutionen, Initiativen und Vereine haben das Wochenende in Kooperation mit der Backnanger Bäderbühne gestaltet (wir berichteten). Bereichert wurde es auch von deutschen Künstlern, darunter die Ska-Band Spicy Roots und das Chansontrio Frau Hausmann.

Moritz Krämer bei der Arbeit an seinem bunten Graffiti. Fotos: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Moritz Krämer bei der Arbeit an seinem bunten Graffiti. Fotos: Tobias Sellmaier

„Es ist eine großartige Aktion, um dringend erforderliche Spenden für die Arbeit der in der Ukrainehilfe tätigen Vereine zu sammeln“, würdigte Ute Ulfert die Veranstaltung. „Was keiner von uns für möglich gehalten hat, ist am 24. Februar dieses Jahres Wirklichkeit geworden: ein furchtbarer Krieg, dessen Grausamkeiten uns fassungslos werden lassen und dessen unendliches Leid wir nur annähernd erfassen können“, so die Stadträtin weiter, die im Namen von Oberbürgermeister Maximilian Friedrich ein kurzes Grußwort sprach. Ulfert beendete dieses mit den Worten: „Deshalb ist es gut, heute ein Friedensgebet zu halten, für alle Menschen in der Ukraine, in allen Kriegs- und Krisengebieten der Welt und bei uns. Wir dürfen nicht vergessen, Frieden beginnt bei uns und im Umgang mit unserem Gegenüber, beginnt mit Toleranz und Respekt, wir können sehr viel zum Frieden beitragen.“

Mitveranstalter Armin Holp äußerte sich zufrieden. „Laut Wetterbericht im Vorfeld hätte es schlimmer kommen können.“ Immerhin waren am Samstag rund 200 und gestern rund 400 Besucher da. Das kulinarische Angebot der Ukrainerinnen sei am Samstag ausverkauft gewesen. Holp freute sich über die zahlreichen Spenden: „Allein neun Landfrauenvereine haben zusammen 40 Kuchen gebracht.“

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Erstellt:
19. September 2022, 11:30 Uhr

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