Big Brother ist unerwünscht
Deutschland hinkt beim mobilen Bezahlen hinterher, doch China ist kein Vorbild
Ausgerechnet im Bargeldliebhaber-Land Deutschland wird für chinesische Touristen ein mobiles Bezahlsystem eingeführt, das als das innovativste und einflussreichste weltweit gilt. Mit den Smartphone-Apps der chinesischen IT-Giganten Tencent und Alibaba soll der Besuch aus China wie im Heimatland bezahlen können. Kunden aus Deutschland bringen Alipay und Wechat Pay nichts. Dafür wird ein chinesisches Konto oder ein chinesischer Pass benötigt.
Solche Innovationen sollte es doch auch für uns geben! Das fordern Kritiker, die die Rückständigkeit der Deutschen beim mobilen Zahlen bemängeln. Doch der Bezahldienst von Wechat ist Teil einer riesigen sozialen Plattform, die einer Mischung von Whatsapp, Facebook, Ebay & Co. gleicht. Wohl kaum ein anderes Unternehmen der Welt kennt deshalb seine Kunden so genau. Doch will man sich so durchleuchten lassen?
Die komplette Wechat-App ist aus Sicht des europäischen Datenschutzes überaus heikel. Mehr noch: Die Sammelwut der Wechat-Firma Tencent und des Konkurrenten Alibaba trifft die Kunden in China auch als Bürger. Die IT-Konzerne können sich einer Kooperation mit dem Staat beim Aufbau des Sozialkredit-Systems, eine Art Staatsbürger-Schufa, kaum entziehen – und sind damit Teil des Systems, das ab 2020 landesweit angemessenes Verhalten mit Punkten bewertet. Und „unangemessenes“ etwa mit Reiseverboten sanktioniert.
So innovativ die Apps aus China sind – diese Mischung aus Big Data und Big Brother sollte man sich hier nicht wünschen. Und: Welche Innovationen dienen den Verbrauchern tatsächlich? Deutschland könnte etwas Tempo beim mobilen Bezahlen gebrauchen. Vielleicht auch die eine oder andere Funktion, die die Verbreitung fördert. Das aber dann transparent und datenschutzkonform.
daniel.graefe@stzn.de