Bio- und Geschichtsunterricht auf Englisch

Seit zehn Jahren gibt es an der Schickhardt-Realschule den bilingualen Zug – Schüler sollen so angstfrei Englisch sprechen lernen

164 Schüler der Schickhardt-Realschule Backnang haben bilingualen Unterricht. Das bedeutet, auch in einigen Sachfächern wie Geografie oder Biologie lernen sie auf Englisch. Für Schüler und Lehrer bedeutet das mehr Aufwand und Engagement. Doch es zahlt sich aus.

An der Schickhardt-Realschule Backnang können Schüler bereits seit zehn Jahren auch Sachfächer auf Englisch lernen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

An der Schickhardt-Realschule Backnang können Schüler bereits seit zehn Jahren auch Sachfächer auf Englisch lernen. Foto: A. Becher

Von Kristin Doberer

BACKNANG. In der Geschichtsstunde von Lisa Köngeter geht es heute um den großen Börsencrash der 1920er-Jahre. Sie zeigt das Bild eines Mannes, der ein Plakat hochhält. Obwohl der Text auf dem Plakat deutsch ist und es sich um deutsche Geschichte handelt, stellt die Lehrerin ihre Fragen auf Englisch – und die Schüler der 9b antworten ganz selbstverständlich auch in der Fremdsprache. Denn die 9b ist eine besondere Klasse, sie wird bilingual unterrichtet, also zweisprachig. In jeder Jahrgangsstufe der Schickhardt-Realschule gibt es eine Klasse, deren Unterricht in bestimmten Sachfächern auf Englisch stattfindet. „Manche Themen bieten sich einfach an, sie auf Englisch zu unterrichten“, weiß Lehrerin Lisa Köngeter. So zum Beispiel bei ihrer Stunde zum Börsencrash, da das Thema einen Bezug zu Amerika hat. „Oft können wir die Schüler über die Sprache begeistern, auch wenn ihr Interesse an dem Sachfach oder dem Thema eigentlich nicht so hoch ist.“

Viel Engagement müssen die Schüler im Bili-Zug mitbringen

Doch komplexe Zusammenhänge in einer Fremdsprache zu verstehen, ist für die Schüler nicht leicht. Es braucht viel Zeit und mehrere Wiederholungen, damit sie den im Lehrplan geforderten Stoff aufnehmen können. Deshalb haben die Schüler im Bili-Zug ein bis zwei Unterrichtsstunden pro Woche zusätzlich. „Man muss schon bereit sein, mehr zu leisten“, sagt Nico Schuster (14) aus der 8b. „Aber Englisch ist einfach so wichtig für den Beruf und fürs Reisen.“ Auch weitere Bili-Schüler würden den Zug immer wieder wählen: „Man lernt, flüssiger zu sprechen, und kann seinen englischen Wortschatz erweitern“, erklärt Victoria Olariu. So würden sie in den Sachfächern auch Redewendungen und ganz spezifische Fachbegriffe lernen, die im gewöhnlichen Englischunterricht keine Rolle spielen. Dadurch würde sie sich im Gespräch mit Muttersprachlern wie einer Freundin aus Kanada viel sicherer fühlen. „Man traut sich, einfach draufloszureden. Auch wenn man sich grammatikalisch nicht sicher ist, man versucht es zumindest“, meint auch Maximilan Niehaus (15) aus der 9b.

Das angstfreie Englischsprechen sehen die für Bili zuständigen Lehrerinnen als großen Vorteil. Im klassischen Englischunterricht würden Schüler häufig nichts sagen, da sie sich im gesprochenen Englisch unsicher fühlen. „Bei Bili können sich die Schüler einfach ausprobieren. Dadurch gewinnen sie Selbstvertrauen“, weiß Lehrerin Rebekka Sester. „Das Sachfach steht aber immer noch im Vordergrund, Englisch ist nur die Sprache, in der der Stoff vermittelt wird“, betont Köngeter. Dadurch würden die Schüler freier und mit weniger Druck Englisch sprechen, denn kleine Grammatik- oder Vokabelfehler wären im Bili-Unterricht nicht schlimm. Auch könnten sich die Schüler die englischen Vokabeln durch die Verknüpfung mit der Praxis, zum Beispiel bei Experimenten im Biologieunterricht, viel besser merken als durch bloßes Auswendiglernen. „Die Schüler lernen dadurch ein Englisch, das näher an der Realität ist. Redewendungen und fachspezifische Begriffe bleiben ganz automatisch hängen.“

Doch für die Lehrer bedeutet diese Art von Unterricht einen großen Mehraufwand. „Es ist schon mehr, als im Unterricht einfach Englisch zu sprechen. Die Zusammenhänge sind in einer Fremdsprache schwerer zu vermitteln, da brauchen die Schüler ganz andere Arbeitsmaterialien und Beispiele.“ Doch diese Materialien fehlen oft. Da es noch immer nur wenige Schulen mit einem bilingualen Zug gibt, lohnt es sich für Verlage nicht, Unterrichtsmaterialien anzubieten. „Wir müssen eigentlich alles selbst machen“, sagt Sester. Sie hätten es auch mit Schulbüchern aus England versucht, doch die seien für deutsche Schüler zu schwer und zu wissenschaftlich. Arbeitsblätter, Anschauungsmaterialien und Skizzen entstehen also in mühevoller Arbeit in der Freizeit der Lehrerinnen. Trotzdem bereitet ihnen Bili viel Spaß, für sie ist es ein persönliches Anliegen: „Man ist auch einfach stolz auf seine Schüler, wenn sie einen im Gang ganz selbstverständlich auf Englisch grüßen oder einen komplizierten Sachverhalt erklären können“, sagt Beatrice Müller.

Vor drei Jahren hat die erste bilinguale Klasse der Schickhardt-Realschule ihren Abschluss gemacht, zusätzlich zum Abschlusszeugnis bekamen die Schüler ein Zertifikat. „Das Zertifikat ist natürlich gut für Bewerbungen“, sagt Müller. Arbeitgeber würden dadurch sehen, dass die Schüler bereit sind, zusätzliche Zeit zu investieren, und flüssig Englisch sprechen können, was auf dem Arbeitsmarkt oft gefordert werde. Müller betont aber auch: „Bili ist nicht für jeden Schüler was.“ Die Schüler müssten Interesse an der Sprache und an Interkulturalität mitbringen und vor allem zu Beginn viel Durchhaltevermögen besitzen. „Und die Schüler müssen das von sich aus wollen.“

Die Schickhardt-Realschule war 2010 die erste Realschule mit bilingualem Zug im Rems-Murr-Kreis. Die Fachschaft Englisch hätte schon früh das Potenzial des Zugs erkannt, weiß Schulleiter Thomas Maier. Die Schule musste zunächst ein Qualifikationsverfahren bestehen und dafür ein ausführliches pädagogisches Konzept einreichen.

Maier blickt stolz auf die vergangenen zehn Jahre zurück: „Vor allem für Sprachinteressierte macht der Bili-Zug die Realschule attraktiver.“ Und die Bili-Klassen sind beliebt: Die sechs Klassen haben in allen Jahrgängen mehr Schüler als ihre Parallelklassen. Wenn das Interesse weiter steigt, könnte sich Schulleiter Maier auch gut eine zweite bilinguale Klasse pro Stufe vorstellen.

Die Schule stellt den bilingualen Zug an ihrem Tag der offenen Tür vor – am Freitag, 14. Februar, von 15 bis 18 Uhr.

Info
Der bilinguale Zug an der Schickhardt-Realschule

Beim bilingualen Zug (Bili) werden einige Unterrichtsfächer auf Englisch gehalten. Der bilinguale Unterricht findet nur in Sachfächern statt, da die Hauptfächer bereits auf Deutsch herausfordernd sind.

Das Fach wird nicht ausschließlich auf Englisch unterrichtet. Je nach Themengebiet und Komplexität findet der Unterricht auch auf Deutsch statt.

In jeder Jahrgangsstufe wird ein anderes Fach bilingual unterrichtet. Dafür vorgesehen ist eine Stunde pro Woche.

Je nachdem, welche Fachlehrer der Schule zur Verfügung stehen, unterscheiden sich die auf Englisch unterrichteten Fächern. Momentan sind es Biologie, Geschichte, Geografie und BNT (Biologie, Naturphänomene und Technik).

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Erstellt:
10. Februar 2020, 06:00 Uhr

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