Björn-Steiger-Stiftung will Rettungsdienst radikal ändern

ExklusivZahlreiche Fachleute erarbeiten einen weitreichenden Forderungskatalog

Seit 1969 hat die Björn-Steiger-Stiftung aus Winnenden erheblich dazu beigetragen, in Deutschland eine gute Notfallrettung aufzubauen. Doch jetzt übt sie scharfe Kritik, fordert radikale Änderungen – und will selbst aktiv in den Rettungsdienst einsteigen.

Stuttgart/Winnenden Wenn in Baden-Württemberg der Rettungswagen kommt, stellt ihn meist das Deutsche Rote Kreuz. Auch einige andere Hilfsorganisationen dürfen laut Gesetz Retter auf die Straßen schicken. Wenn es nach der Björn-Steiger-Stiftung aus Winnenden geht, könnten die Helfer in Zukunft auch aus einem Auto oder Hubschrauber der Stiftung steigen. Sie hat beim Innenministerium Baden-Württemberg die offizielle Anerkennung als Hilfsorganisation beantragt, um selbst aktiv in den Rettungsdienst einsteigen zu können.

„Wir haben die Motivation zu beweisen, dass wir nicht nur kritisieren und darüber reden, sondern es auch machen können“, sagt Präsident Pierre-Enric Steiger. Den Stand des Verfahrens will ein Ministeriumssprecher nicht kommentieren: „Das Innenministerium ist mit der Björn-Steiger-Stiftung in regelmäßigen Abständen im bilateralen Austausch“, sagt er vage.

Die renommierte Björn-Steiger-Stiftung kümmert sich seit 50 Jahren intensiv um das Rettungswesen in Deutschland. Seit Gründung der inzwischen abgespaltenen damaligen Deutschen Rettungsflugwacht war man aber nicht mehr selbst als Hilfsorganisation aktiv geworden, zumal die Hürden für die Zulassung hoch sind. Doch zum Jubiläum will man das ändern – weil man erhebliche Defizite in der bundesweit unterschiedlich geregelten Notfallrettung sieht. „50 Jahre nach unserer Gründung sind wir fast wieder an derselben Stelle wie damals. So, wie er jetzt ist, funktioniert der Rettungsdienst in Zukunft nicht mehr. Da muss sich radikal etwas ändern“, sagt Steiger.

Angesichts der ständig steigenden Notrufzahlen, Klinikschließungen, Nachwuchsprobleme, veralteten Leitstellenstrukturen und unpassenden politischen Rahmenbedingungen muss sich die Notfallrettung nach Meinung der Stiftung komplett neu aufstellen. „In Teilen ist der Rettungsdienst kaputtgespart worden. Es gibt viele Punkte, die ihn fast schon schachmatt gesetzt haben“, so Steiger. Unterstützung bekommt er von seinem Vater, dem 89-jährigen Stiftungsgründer Siegfried Steiger: „Es lässt mich nachdenklich werden, dass die Stiftung selbst nach 50 Jahren noch immer Innovationstreiber sein muss, um für notwendige und dringend anstehende Verbesserungen im deutschen Rettungswesen zu kämpfen. Die Widerstände sind nicht weniger, sondern zusätzlich noch bürokratischer geworden“, sagt er.

Die Stiftung erarbeitet deshalb bereits seit zwei Jahren mit 30 Fachleuten von Krankenkassen, Hilfsorganisationen, Behörden und der Kassenärztlichen Vereinigung einen Forderungskatalog – genauso wie vor 50 Jahren. Er soll bei einem großen Kongress mit Hunderten Experten Anfang Juli in Berlin vorgestellt werden. Man habe bewusst keine Führungskräfte dazugeholt, sondern „nur Praktiker“, so Pierre-Enric Steiger. Er ist sich bewusst, dass er dicke Bretter bohren muss: „Vor 50 Jahren gab es praktisch keine Strukturen, man musste sie neu aufbauen. Heute muss man sie umbauen, das wird deutlich schwieriger.“

In der Tat darf die Stiftung mit erheblichem Gegenwind rechnen. Denn heute gibt es bundesweit recht unterschiedliche Strukturen im Rettungswesen. Zudem sind nur wenige Organisationen beteiligt, die naturgemäß kein großes Interesse an weitreichenden Änderungen haben dürften. Dritten ist es höchstens möglich, als Subunternehmer für diese einzusteigen – in der Regel kein attraktiver Weg.

Eine der früheren Haupttätigkeiten, mit denen die Stiftung auch international bekannt geworden ist, steht dagegen vor dem Ende. Ihre noch verbliebenen rund 1000 Notruftelefone an Straßen in Baden-Württemberg wird sie nach und nach vollends abbauen. „Die Geräte werden kaum noch genutzt“, sagt Steiger. Manche Leute wüssten angesichts der flächendeckenden Handy-Verbreitung inzwischen gar nicht mehr, wozu die Säulen dienen. Man werde deshalb die Notruftelefone innerhalb der nächsten beiden Jahre entfernen – zuerst an Landes-, später auch an Bundesstraßen.

Gewartet werden dafür künftig Defibrillatoren. Im Rahmen der Aktion „Kampf dem Herztod“ sind mittlerweile rund 25 000 der Geräte verteilt. „Damit sind wir inzwischen deutlich präsenter als mit Notruftelefonen“, sagt Steiger. Und künftig womöglich auch mit Rettungswagen oder Hubschraubern.

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Erstellt:
5. Februar 2019, 10:45 Uhr

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