BKZ-Leserpreis: Schulsozialarbeit de luxe in Aspach

Der Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung geht in diesem Jahr an das Großaspacher Modell. Dank der Unterstützung von mehr als 20 Ehrenamtlichen sind an der Conrad-Weiser-Schule viele zusätzliche Lernangebote möglich.

Einzelbetreuung im Schulflur: Drittklässler Max liest Susanne Koch die Geschichte von „Wanda Walfisch“ vor. Die ehrenamtliche Lesepatin kommt einmal pro Woche an die Conrad-Weiser-Schule, um die Lehrerinnen zu unterstützen. Foto: Alexander Becher

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Einzelbetreuung im Schulflur: Drittklässler Max liest Susanne Koch die Geschichte von „Wanda Walfisch“ vor. Die ehrenamtliche Lesepatin kommt einmal pro Woche an die Conrad-Weiser-Schule, um die Lehrerinnen zu unterstützen. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Aspach. Im Deutschunterricht der Klasse 3a steht an diesem Morgen Lesen auf dem Programm. Nicht ganz einfach bei einer Klasse mit 20 Kindern, denn normalerweise kann immer nur eine oder einer gleichzeitig laut vorlesen. Doch zum Glück hat Lehrerin Tamara Rau Unterstützung von drei Lesepatinnen. Susanne Koch und Franziska Behabetz haben es sich in zwei Sitzecken im Flur bequem gemacht, Margarete Hartert ist per Video von daheim aus zugeschaltet.

Alle paar Minuten verlassen immer drei Kinder das Klassenzimmer, um ihrer Lesepatin die Geschichte von „Wanda Walfisch“ vorzulesen. Bei einigen geht das schon recht flüssig, andere müssen noch mit den Buchstaben kämpfen. Die Lesepatinnen loben und korrigieren, hören zu und stellen Fragen. „Weißt du, was Kraulen ist?“, will Margarete Hartert von Matwej wissen. Der Neunjährige macht die Kraulbewegung mit den Armen vor. Prima, er hat den Text, den er gerade vorgelesen hat, auch verstanden.

Die Lesepatinnen sind Teil des Großaspacher Modells, eines Projekts, das bereits vor 17 Jahren an der Conrad-Weiser-Schule gestartet wurde. „Schulsozialarbeit de luxe“, nennt Claudia Berr das Angebot, das sie zusammen mit ihrer Kollegin Kim Zackel hauptamtlich betreut. Herzstück des Großaspacher Modells sind mehr als 20 Ehrenamtliche, die sich in unterschiedlicher Weise an der Schule einbringen und dadurch eine viel intensivere Betreuung der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. „Durch die Ehrenamtlichen haben wir mehr Augen, Herzen und Hände“, bringt Claudia Berr es auf den Punkt. In diesem Jahr hat das Projekt den Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung im Rahmen des Bürgerpreises der Kreissparkasse Waiblingen gewonnen.

Vor allem Kinder aus Migrantenfamilien profitieren

Entstanden ist das Großaspacher Modell im Jahr 2005 auf Initiative der Paulinenpflege. Diese ist zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde Großaspach auch noch immer als Projektpartner mit im Boot. Neben den Lesepatinnen – tatsächlich sind fast alle Engagierten weiblich – gibt es auch Klassen- und Lernpatinnen, die in Kleingruppen oder mit einzelnen Kindern gezielt an deren Schwächen arbeiten, parallel zum Unterricht oder auch am Nachmittag.

„So wollen wir Chancengleichheit ermöglichen“, sagt Claudia Berr über die Angebote, von denen vor allem Schülerinnen und Schüler profitieren, die einen Migrationshintergrund haben oder in ihrem Elternhaus wenig Unterstützung bekommen. Oft entwickeln sich die Helferinnen sogar zu engen Vertrauenspersonen, die die Kinder auch abseits der Schule auf ihrem Weg begleiten. „Diese Beziehungsebene ist sehr wichtig“, weiß Schulleiterin Heidi Ahlers und schwärmt: „Unsere Klassenpatinnen sind wirklich Gold wert.“

Zum Großaspacher Modell gehören aber noch viele weitere Angebote, zum Beispiel ein Online-Leseclub, bei dem jeden Mittwoch Ehrenamtliche eine halbe Stunde lang aus einem Buch vorlesen und sich die Kinder von zu Hause aus zuschalten können. Für die älteren Schüler gibt es auch Unterstützung bei der Suche nach einem Praktikum oder einer Lehrstelle und für die Eltern organisieren die Ehrenamtlichen ein monatliches Frühstück mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten.

Art und Umfang des ehrenamtlichen Engagements sind sehr unterschiedlich: Manche Helferinnen sind mehrmals pro Woche an der Schule, andere stehen nur für einzelne Projekte auf Abruf bereit. Die Ideen für die Angebote kommen oft von den Ehrenamtlichen selbst. Als die Conrad-Weiser-Schule dieses Jahr zehn Kinder aus der Ukraine aufnehmen musste, fand sich zum Beispiel eine Freiwillige, die sich spontan bereit erklärte, täglich zwei Stunden Sprachförderung anzubieten. „Sobald wir einen Bedarf sehen, schauen wir, was wir umsetzen können“, erklärt Claudia Berr.

Das Großaspacher Modell funktioniert seit 17 Jahren

Das Team der Ehrenamtlichen besteht aus Studentinnen, Hausfrauen und Rentnerinnen. Da ist zum Beispiel die Sozialpädagogin Franziska Behabetz, die vor eineinhalb Jahren in Altersteilzeit gegangen ist und sich dachte: „Das kann es noch nicht gewesen sein.“ Ihre neue Aufgabe als Lese- und Klassenpatin macht ihr viel Spaß: „Die Neugier der Kinder zu erleben und ihre Entwicklungsschritte zu sehen, empfinde ich als sehr bereichernd.“ Susanne Koch hatte früher selbst Kinder an der Conrad-Weiser-Schule und hat erlebt, wie diese dort aufgefangen wurden, als es ihr selbst nicht gut ging. „Davon will ich nun etwas zurückgeben“, sagt die Mutter, die einmal pro Woche als Lesepatin an die Schule kommt.

Dass das Großaspacher Modell nun schon seit 17 Jahren funktioniert und auch die Coronazeit überstanden hat, ist aber auch ein Verdienst der beiden hauptamtlichen Kräfte: Die Sozialpädagoginnen Claudia Berr und Kim Zackel koordinieren nicht nur die Einsätze der Ehrenamtlichen, sondern organisieren für diese auch regelmäßig Teambesprechungen und Schulungen. „Die Begleitung der Ehrenamtlichen ist hervorragend“, lobt Susanne Koch.

Auch das Preisgeld für den Leserpreis soll zum Teil in die Fortbildung der Ehrenamtlichen fließen. Außerdem wollen die Verantwortlichen in Bücher und Lernmaterial investieren und auch mal einen Ausflug für die Kinder damit bezahlen. Denn eine Erfahrung begleitet das Projekt von Anfang an, wie Claudia Berr berichtet: „Wir haben immer mehr Ideen als Geld.“

Leserpreis

Preisgeld Der Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung ist mit 1000 Euro dotiert. Er wurde in diesem Jahr ohne Leserwahl vergeben, da nur eine Bewerbung aus dem Verbreitungsgebiet unserer Zeitungen eingegangen war.

Kontakt Wer das Großaspacher Modell unterstützen möchte, bekommt weitere Informationen unter der E-Mail-Adresse

grossaspachermodell@cws-aspach.de.

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Erstellt:
23. November 2022, 06:00 Uhr

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