Blumendiebstahl auf dem Backnanger Waldfriedhof wühlt Angehörige auf

Mehrfach waren Kindergräber auf dem Backnanger Waldfriedhof von Diebstahl betroffen. Den Eltern geht es nicht um den Warenwert der Gestecke, sondern um die emotionale Ebene. Nach einer langen Phase der Ruhe hat der Grabschmuckklau seit dem Sommer wieder eingesetzt.

Seit 24 Jahren kümmert sich Katrins Mutter mit Hingabe um die Gestaltung des Grabes ihrer Tochter. Obwohl der wiederholte Diebstahl sie aufwühlt, schmückt sie die Ruhestatt weiterhin. „Was willst dem Kind denn sonst bringen außer einem Sträußle?“ Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Seit 24 Jahren kümmert sich Katrins Mutter mit Hingabe um die Gestaltung des Grabes ihrer Tochter. Obwohl der wiederholte Diebstahl sie aufwühlt, schmückt sie die Ruhestatt weiterhin. „Was willst dem Kind denn sonst bringen außer einem Sträußle?“ Foto: Alexander Becher

Von Nicola Scharpf

Backnang. Katrin bekommt beinahe täglich Besuch von ihrer Mutter. Im Winter stellt die Mutter ihr jeden zweiten Tag ein Licht an ihr Kindergrab auf dem Backnanger Waldfriedhof, damit sie es hell hat in der dunklen Jahreszeit. Im Sommer kommt die Mutter jeden Tag zum Gießen der Pflanzen an Katrins Ruhestatt. Katrins Mutter macht das seit 24 Jahren so, als das kleine Mädchen im Alter von viereinhalb Jahren beerdigt wurde. Genauso lange treibt Katrins Eltern Diebstahl am Kindergrab ihrer Tochter um. Gleich nach der Beerdigung, sagt Katrins Vater, waren alle Blumen und Gestecke verschwunden. Nach einer mehrjährigen Phase der Ruhe hat es im zurückliegenden Sommer wieder begonnen mit dem Blumenklau – an Katrins Grab, aber auch an jenen Gräbern von anderen Kindern. Die Familien der verstorbenen Kinder kennen einander, tauschen sich aus, haben gegenseitig ein Auge auf die Kindergräber der anderen und bemerken genau, wenn etwas fehlt.

„Es geht nicht um den Verlust der Blumen, um den Warenwert“, sagt Katrins Vater. Es geht um den wahren Wert, um das Emotionale. „Es kommt immer jemand zu meinem Kind, der da nicht hingehört und meinem Kind nicht guttut und ich kann sie davor nicht beschützen“, beschreibt Katrins Mutter ihre Gefühle. Im Gegensatz zu früher, als der Blumenschmuck des Kindergrabs komplett abgeräumt wurde, hat sich das Vorgehen zuletzt verändert. „Es ist jetzt ein anderes Stehlen. Nur noch einzelne Pflanzen fehlen“, sagt die Mutter. Aber auch: Bei einem individuell und mit Liebe gefertigten Gesteck sei von einem Tag auf den nächsten immer wieder die gleiche Blume aus dem Arrangement gerissen und daneben hingeworfen worden. Wieder und wieder. „Da gehst du zum Grab hin und dein Herz ist offen und dann“, sagt die Mutter, „...bist du emotional im Keller“, setzt der Vater fort.

Katrins Eltern wollen sensibilisieren

Von Beginn an versuchten Katrins Eltern, sich zu wehren: Sie erstatteten Anzeige beziehungsweise Anzeigen bei der Polizei. Sie verstecken Zettel in Sträußen und Gestecken und schreiben darauf Hinweise, dass die Blumen gestohlen sind. Sie schneiden Stiele ganz kurz ab, damit sich die Blumen nicht mehr weiterverkaufen lassen. Wird eine eingesetzte Pflanze gestohlen, bohren sie an die leere Stelle am Grab einen Stock in die Erde und befestigen daran ein Schild, mit dem sie auf den Diebstahl und den Tatzeitraum hinwiesen. Und sie gehen – nun zum wiederholten Mal – an die Öffentlichkeit, weil sie andere Menschen sensibilisieren wollen. Sie appellieren an die Leute, aufmerksam beim Gang über den Friedhof zu sein. Wichtig ist ihnen auch, dass andere Betroffene ihre Fälle bei der Polizei anzeigen, um als große Gruppe eine stärkere Position zu haben. Katrins Eltern wünschen sich außerdem, dass die Polizei im Bereich des Waldfriedhofs öfter Streife fährt.

Einmal, im Jahr 2007, hatten Katrins Eltern bereits Erfolg: Nachdem die von ihrem Kindergrab und anderen Gräbern entwendeten Pflanzen auf einer anderen Ruhestatt gefunden worden waren und die Polizei sich der Sache angenommen hatte, fand kein Blumenklau mehr statt. Diese Phase ist seit ein paar Monaten vorüber. Obwohl der wiederholte Diebstahl sie aufwühlt, ist es für Katrins Mutter keine Lösung, das Grab ihrer Tochter nicht mehr zu bepflanzen und zu schmücken: „Was willst dem Kind denn sonst bringen außer einem Sträußle?“

Friedhofsgärtner kennen das Thema

Katrin und ihre Eltern sind kein Einzelfall. Die Friedhofsgärtner im Backnanger Raum kennen das heikle Thema Diebstahl auf den Friedhöfen. „Das ist quasi Grabschändung“, macht Christoph Wahl, Inhaber von Bloama Wahl aus Sulzbach an der Murr, deutlich. „Ein Grab ist eine hoheitliche Sache, das sollte nicht jeder anfassen.“ Dennoch komme Diebstahl von Grabschmuck immer wieder vor. In welcher Häufigkeit, das variiere von Jahr zu Jahr, so Wahls Erfahrung. Grundsätzlich habe er aber beobachtet: Seit Gräber zu 80 bis 85 Prozent mit eingepflanzten Pflanzen gestaltet würden und nicht mehr wie früher vor allem mit Gestecken, hätten die Diebstähle nachgelassen. Auch nach dem persönlichen Empfinden von Daniela Kress von der Backnanger Friedhofsgärtnerei Wolf-Kühnle bereite Diebstahl heute weniger Probleme als früher. Als es in Backnang noch das Krankenhaus gegeben habe, seien Sträuße direkt vom Friedhof in die Patientenzimmer gewandert, erinnert sie sich. Der Wandel in der Bestattungskultur spiele ebenfalls eine Rolle: In Zeiten, in denen vermehrt Feuerbestattungen stattfinden oder für die letzte Ruhe der naturnahe Friedwald gewählt werde, würden sich auf den Friedhöfen die Reihen mit klassischen Erdgräbern zusehends lichten und mithin gebe es weniger entwendbaren Grabschmuck. Wobei, so schildert Marion Gstalter von der Gärtnerei Moser mit Sitz in Weissach und Backnang, mitnichten nur Blumen zum Diebesgut werden. Auch Engelsfiguren und andere schmückende Gegenstände würden gestohlen. Insbesondere an Wochenenden würden allerdings Sträuße Dieben gelegen kommen, so Gstalter: Mancher, dem der Strauß für einen Sonntagsbesuch fehle, suche sich auf dem Friedhof einen aus. „Da kennen die Leute nichts“, spricht Gstalter Respektlosigkeit und fehlende Pietät an.

Die Polizei ermittelt in jedem Fall

Und was dagegen tun? Überwachungskameras installieren? Häufig schon wegen der Größe der Friedhofsgelände schwer umsetzbar – und wegen des hohen Maßes an Privatsphäre auf Friedhöfen. „Man ist ein bisschen machtlos“, stellt Gstalter fest. Auch wenn ein gestohlener Strauß einen geringen materiellen Wert hat und die Strafverfolgung schwierig ist, empfiehlt das Polizeipräsidium Aalen, den Diebstahl anzuzeigen. Nur so ließen sich laut Pressestelle Schwerpunkte krimineller Tätigkeit feststellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ein aktuelles Beispiel, über das die Polizei vorgestern berichtete: An einer Grabstätte auf dem Friedhof in Plüderhausen wurde in den zurückliegenden drei Wochen ein Bronzeengel entwendet. Die Unbekannten hätten die Figur mit einem Wert von mehreren Hundert Euro, die auf einer Platte festgeschraubt war, demontiert. Die örtliche Polizei habe die Ermittlungen aufgenommen. Ermittelt werde in jedem Fall, so die Pressestelle – entweder wegen Diebstahls oder, wenn Grabschändung vorliege, wegen Störung der Totenruhe.

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Erstellt:
22. November 2023, 06:00 Uhr

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