Böllerschüsse am Samstag, Riesenrad im Graben

Beim ersten Backnanger Straßenfest läuft 1971 einiges noch anders ab, als es in den Folgejahren zur Tradition wird. Manches hat sich aber auch kaum verändert seit der Premiere vor 50 Jahren.

Böllerschüsse am Samstag, Riesenrad im Graben

Von Steffen Grün

BACKNANG. Heute wäre es wieder so weit gewesen. Die Böllerschüsse vom Stadtturm hätten die fünfte Jahreszeit in der Murr-Metropole eingeläutet. Bis Montag hätte das Straßenfest die Massen in die Innenstadt gelockt. Der Konjunktiv ist der Coronakrise geschuldet, die wie 2020 verhindert, dass die traditionsreiche Veranstaltung zum 50. Mal über die Bühne geht. 2022 soll es klappen. Ihren runden Geburtstag feiert die älteste viertägige Sause dieser Sorte, die es in Deutschland gibt, aber trotzdem jetzt. 1971 und damit vor 50 Jahren wurde das Straßenfest aus der Taufe gehoben – mit Elementen, die sich sofort bewährten und zu Fixpunkten entwickelten: Die Böllerschüsse, den Fassanstich, die musikalische und kulinarische Vielfalt auf den Bühnen und an den Ständen, den Schlagerwettbewerb, die Jugendmeile, den Rummel und den Zapfenstreich gab es schon bei der Premiere. In den Details zeigen sich allerdings durchaus Unterschiede zu den nachfolgenden Jahren.

Die Vorgeschichte: Dass sie Feste feiern können, hatten die Backnanger bei Jubiläen der Vereine mit Umzügen durch die Innenstadt bereits bewiesen. Was Stadtverwaltung und Gemeinderat fehlte, war ein jährlich wiederkehrendes, bodenständiges Stadtfest. Weil die Suche nach einem historischen Anknüpfungspunkt ergebnislos blieb, kam die Idee auf, „ein modernes und originelles Fest als Treffpunkt für alle Backnanger“ zu initiieren, schrieb Klaus Erlekamm in seinem Straßenfest-Buch von 2017. Der damalige Haupt- und spätere Kulturamtsleiter war für die Umsetzung an vorderster Front zuständig. Ein Auftrag, den er mit Bravour erledigte, denn das von Oberbürgermeister Martin Dietrich gesteckte Ziel, „den Backnangern ein ausgeprägteres Stadtbewusstsein zu vermitteln, als bislang vorhanden war“, wurde definitiv erreicht. „Fraglos gibt es kaum eine Einrichtung in unserer Stadt, die das Wirgefühl der Backnanger so nachhaltig gefördert hat wie das Straßenfest“, freute sich Dietrich schon nach wenigen Jahren.

Das Konzept: Zumindest in den Grundzügen hat sich über die Jahre nichts Wesentliches geändert, wenngleich es berechtigte Debatten um die zurückgedrängte Rolle der Vereine bei der Standvergabe oder die wachsende Kommerzialisierung gibt. Anstatt ein Festzelt aufzustellen, dient die ganze Innenstadt als Festplatz – das war die in dieser Form in Deutschland vorher noch nie umgesetzte Idee von Erlekamm.

Auf mehreren Bühnen in der Altstadt wird für jedes Alter und viele Musikgeschmäcker etwas geboten – zur Premiere 1971 waren der Marktplatz und der Obstmarkt die Hauptschauplätze, mit der Zeit kamen weitere hinzu. Musikvereine wie das Städtische Blasorchester tragen entscheidend zum Programm bei, aber es treten auch Bands aus nah und fern auf. Für den Gaumen gibt es schwäbische und internationale Leckereien sowie kühle Getränke an den Ständen, die sich auf die Bühnenbereiche und die Gassen verteilen.

Zudem darf die Jugend eigene Akzente setzen – musikalisch, aber auch mit Aktionen wie bei der Premiere, hinter denen das damals neue Juze steckte. Zum einen stand zwischen den Firmen ZK und Haug eine zehn Meter lange und drei Meter hohe Wand, die nach Herzenslust zu bemalen war. Graffiti, wenn man so will. Zum anderen durfte ein alter Pkw mittels Vorschlaghammer malträtiert werden. Motto: „Knock-out dem Auto, es lebe der Umweltschutz.“ Dazu der Vergnügungspark und der Weinkeller im Kellergewölbe der Schickhardt-Realschule, in dem heute das Bandhaus-Theater logiert – und fertig war in groben Zügen das erste Straßenfest.

Das 1. Backnanger Straßenfest

1971 und damit vor 50 Jahren wurde das Straßenfest aus der Taufe gehoben – mit Elementen, die sich sofort bewährten und zu Fixpunkten entwickelten.

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© P. Jungbludt

Mit den Böllerschüssen am Samstagnachmittag wurde das Straßenfest offiziell eröf...
Mit den Böllerschüssen am Samstagnachmittag wurde das Straßenfest offiziell eröffnet.

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

Der TSG-Musikzug gehörte zu den Gruppen, die auf dem Marktplatz für Stimmung sor...
Der TSG-Musikzug gehörte zu den Gruppen, die auf dem Marktplatz für Stimmung sorgten.

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

Backnangs OB Martin Dietrich war gut gelaunt, obwohl der Fassanstich eine spritz...
Backnangs OB Martin Dietrich war gut gelaunt, obwohl der Fassanstich eine spritzige Sache war.

© P. Jungbludt

Der von Thomas Freitag moderierte Schlagerwettbewerb begeisterte das Publikum. A...
Der von Thomas Freitag moderierte Schlagerwettbewerb begeisterte das Publikum. Auf der Bühne am Obstmarkt gewann Wolle Kriwanek mit dem Song „Sunny“, begleitet von einem Platzregen.

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

Mit diesem Plakat wurde die Werbetrommel für Backnangs Straßenfest-Premiere gerü...
Mit diesem Plakat wurde die Werbetrommel für Backnangs Straßenfest-Premiere gerührt.

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

Eine zehn Meter lange und drei Meter hohe Wand zwischen den Firmen ZK und Haug d...
Eine zehn Meter lange und drei Meter hohe Wand zwischen den Firmen ZK und Haug durfte nach Herzenslust bemalt werden.

© P. Jungbludt

Ein mittlerweile ungewohnter Anblick: Das 40 Meter hohe Riesenrad drehte 1971 im...
Ein mittlerweile ungewohnter Anblick: Das 40 Meter hohe Riesenrad drehte 1971 im Graben seine Runden. Dort und noch nicht auf der Bleichwiese war damals der Rummel beheimatet.

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

© P. Jungbludt

Eine zehn Meter lange und drei Meter hohe Wand zwischen den Firmen ZK und Haug d...
Eine zehn Meter lange und drei Meter hohe Wand zwischen den Firmen ZK und Haug durfte nach Herzenslust bemalt werden.

© P. Jungbludt

Zwei, drei oder vier Tage? So richtig schienen sich die Macher nicht entscheiden zu können, wie lange das erste Straßenfest dauern sollte. Auf den Plakaten wurde es für den 19. und 20. Juni „in der City“ angekündigt, also samstags und sonntags. Ein Blick ins BKZ-Archiv verrät, dass in den Anzeigen als Zeitraum dagegen vom 18. bis 21. Juni 1971 die Rede war. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.

Der Festbetrieb im ganzen Innenstadtareal sollte sich tatsächlich aufs Wochenende konzentrieren, der Freitag war quasi die Aufwärmphase. Sie startete mit Dietrichs Fassanstich. „Es hat heftig gespritzt“, erinnert sich Erlekamm, nimmt den damaligen OB aber in Schutz: „Es war nicht alleine seiner Unerfahrenheit geschuldet. Sie haben ihm ein opulentes Fass hingestellt, das dementsprechend unter Druck stand.“ In späteren Jahren waren sie kleiner, trotzdem „gab es Oberbürgermeister, die das ausgiebig geübt haben“, plaudert Erlekamm aus dem Nähkästchen, ohne Namen zu nennen. Auf Dietrichs feuchte Premiere, die sich noch vor dem Rathaus unter dem Fenster seines Amtszimmers und nicht wie später auf der Marktplatzbühne abspielte, folgte eine von der Heimatblaskapelle begleitete Bierprobe. Zudem wurde im Weinkeller bis Mitternacht ausgeschenkt, auch der Rummel hatte bereits geöffnet – das war’s für den Freitag.

Die offizielle Eröffnung und die Böllerschüsse vom Stadtturm, die längst bereits freitags die tollen Tage einläuten, folgten vor 50 Jahren erst samstags um 15 Uhr. Der Montag sollte dem Kindernachmittag und dem gemütlichen Ausklang im Weinkeller vorbehalten bleiben. Eigentlich, doch das Schicksal wollte es anders und begründete die Tradition, dass das Straßenfest drei Tage und vier Nächte dauert.

Das Pech mit Petrus: „Es war ein Riesenwagnis“, sagt Erlekamm über seine Idee, ein solches Fest fast ausschließlich unter freiem Himmel zu feiern – vom Weinkeller und der Möglichkeit, mit einzelnen Programmpunkten ins Bahnhofhotel oder in die Stadthalle auszuweichen, abgesehen. Und dann das: Regen und Kälte. Vor allem am Freitag und Samstag schüttete es teils wie aus Kübeln, aber auch am Sonntag gab es noch den einen oder anderen Platzregen. „Fast wäre das mit so viel Liebe, Begeisterung und Sorgfalt vorbereitete erste Backnanger Straßenfest ins Wasser gefallen“, berichtete die BKZ am Montag. Dass es trotz der Widrigkeiten zum Erfolg wurde, „ist der Anpassungsfähigkeit aller Beteiligten und der Bereitschaft, die Feste zu feiern, wie sie fallen, zu danken“. Die Besucher machten die spontanen Umzüge in die Stadthalle und ins Bahnhofhotel mit und traten auch den Rückweg in die Stadt an, wenn der Regen aufhörte. Der OB nahm es mit Humor: „Das Wetter hätte auch noch schlechter sein können. Und wenn es im nächsten Jahr wieder so schlecht ist, dann wird es nicht als Straßenfest, sondern als Wasserfest gefeiert.“ Nicht so locker sah es Erlekamm:„Es wäre fürs Renommee nicht gut gewesen, wenn gleich das erste Straßenfest im wahrsten Sinne des Wortes baden gegangen wäre.“

Die Zugabe: „Der Regen war ein großes Problem“, sagt Ernst Kress, der sich als stellvertretender Vorsitzender von Backnangs Wirten mit neun Kollegen wie Otto Körner oder dem 1979 verstorbenen Hans Rees um Speis und Trank für die Besucher kümmerte. Profis also, weil den Machern das Risiko zu groß erschien, nur auf Vereine zu setzen. „Wir sind zunächst auf einigen Bierfässern sitzen geblieben“, erinnert sich Kress, der die Gaststätte Scholpp führte. Die Wirte gingen auf die Stadt zu und forderten vehement, den Montag mit vollem Festbetrieb dranzuhängen. „Wir wollten nicht drauflegen.“ Sie rannten im Rathaus offene Türen ein, der Moderator Wolfgang Datum verkündete die Verlängerung. „Das hat das Fest und die finanzielle Bilanz der Wirte und Vereine gerettet“, weiß Erlekamm. Weil das Wetter und die Stimmung am Montag so schön war, blieb es keine einmalige Aktion, sondern wurde zur Tradition. Drei Tage, vier Nächte – das ist das Straßenfest. Anders als beim ersten Mal (18. bis 21. Juni) seit langer Zeit aber immer am letzten Juniwochenende, auch der Montag muss in diesen Monat fallen.

Zwei spätere Stars: „Damals konnte noch niemand ahnen, was aus uns beiden werden würde“, meint Thomas Freitag. Er, der grade seinen 21. Geburtstag gefeiert hatte und zu einem der besten deutschen Kabarettisten aufsteigen sollte, führte beim ersten Straßenfest durch das Programm am Obstmarkt und auch den Schlagerwettbewerb. Der nur ein halbes Jahr ältere Wolle Kriwanek gewann mit dem Song „Sunny“. Für den später als Schwabenrocker bundesweit bekannten und 2003 viel zu früh und unerwartet in Backnang verstorbenen Musiker war es der erste Erfolg. „Ich kann mich noch gut an seinen tollen Auftritt erinnern“, erzählt Freitag, für den die eigene Rolle als Conférencier „tolle erste Gehversuche“ bedeutete. Vor großem Publikum auf der Bühne zu stehen, sei „aufregend und spannend“ gewesen, zumal er es nicht dabei beließ, nur die Interpreten und Titel anzukündigen: „Ich habe als kleine Einlagen einige Leute wie den damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger oder den Papst parodiert.“ Offenbar war’s ein gutes Training, denn mit den Marcel-Reich-Ranicki-, Franz-Josef-Strauß- oder Helmut- Kohl-Parodien, um nur drei Beispiele zu nennen, wurde Thomas Freitag später einem breiten TV-Publikum bekannt.

Graben statt Bleichwiese: Es ist ein ungewohnter Anblick, dass das Riesenrad im Graben in den Himmel ragte. Auch die anderen Fahrgeschäfte, Schießstände und was sonst zum Vergnügungspark gehörte, fanden 1971 dort ihren Platz. Nicht, weil die Bleichwiese zwingend als Parkplatz benötigt wurde, sondern weil es auf der später für den Rummel reservierten Fläche „noch nicht ausreichend Starkstromanschlüsse gab“, erklärt Erlekamm: „Das hat sich erst einige Jahre später unter finanzieller Beteiligung der Schaustellerfamilie Roschmann geändert.“ Anders als der Festbetrieb war der Rummel vor 50 Jahren von vornherein für vier Tage genehmigt, „sonst wäre die Schaustellerfamilie gar nicht gekommen“. Frau Roschmann habe ihm gesagt, „a rechts Feschd dauert vier Dag“, berichtet Klaus Erlekamm. Die Dame sollte recht behalten.

Ein mittlerweile ungewohnter Anblick: Das 40 Meter hohe Riesenrad drehte 1971 im Graben seine Runden. Dort und noch nicht auf der Bleichwiese war damals der Rummel beheimatet.

Ein mittlerweile ungewohnter Anblick: Das 40 Meter hohe Riesenrad drehte 1971 im Graben seine Runden. Dort und noch nicht auf der Bleichwiese war damals der Rummel beheimatet.

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Erstellt:
25. Juni 2021, 11:30 Uhr

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