Stadtbild-Debatte bei Markus Lanz

Boris Palmer: „Der Staat macht sich blind“

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer schildert im ZDF-Talk, wie man Innenstädte wieder sicher macht. Und lobt Kanzler Friedrich Merz.

Der Tübinger Oberbürgermeister war am 29. Oktober 25 zu Gast bei Markus Lanz im ZDF. (Archivbild)

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Der Tübinger Oberbürgermeister war am 29. Oktober 25 zu Gast bei Markus Lanz im ZDF. (Archivbild)

Von Christoph Link

Mit seiner „extrem“ niedrigen Kriminalitätsrate könne man Tübingen natürlich nicht mit Städten wie Hannover vergleichen, sagte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer – früher Grünen-Mitglied – am Mittwochabend bei Markus Lanz im ZDF bzw. in der ZDF-Mediathek. Dass er trotzdem zur Debatte über die Aussage zum Stadtbild von Kanzler Friedrich Merz (CDU) ins Studio eingeladen worden ist, begründete Lanz denn auch mit dem 2017 von Palmer veröffentlichten Buch „Wir können nicht allen helfen“ über die Grenzen der Integration.

Aber der Rathauschef der 90.000-Einwohner-Stadt ist wegen seiner offenherzigen Worte ohnehin ein ständiger Gast in Talkrunden, und oft drängt sich der Eindruck auf, ganz Deutschland könne von Tübingen lernen.

Palmer: "Erste Merz-Aussage war „blöd gemacht“

Gleich zu Beginn der Sendung gab Palmer die Linie vor: Merz’ erste Aussage sei zwar „blöd gemacht“ gewesen, und er hätte schneller nachschieben müssen, dass er nicht alle Migranten – „die im Krankenhaus arbeiten oder am Werkband stehen“ – gemeint habe. Aber im Kern habe Merz die richtige Debatte angestoßen, sagte Palmer: Denn es gebe im Stadtbild durch eine kleine Gruppe von ausreisepflichtigen Männern schon eine negative Veränderung.

Weitgereiste Junge Männer pöbeln in Tübingen

Da stünden den ganzen Tag an zentralen Plätzen und Bahnhöfen junge, arbeitslose Männer, die seien zum Teil aggressiv, pöbelten oder seien im Drogenhandel aktiv. „Es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Alle sehen es, aber keiner sagt es. Ich bin erleichtert, dass der Kanzler da eine Bresche geschlagen hat.“

Als er Palmer, vor Jahren auf das Problem mit gambischen Drogenhändlern im Alten Botanischen Garten von Tübingen aufmerksam gemacht habe, da habe er darauf hingewiesen, dass dies alles Schwarzafrikaner – „also Schwarze“ - gewesen seien. Bis heute werde er deshalb als Rassist verunglimpft und letztlich habe er deswegen die Mitgliedschaft bei den Grünen aufgeben müssen. „Es war nicht sprechbar, obwohl es sichtbar war.“ Heute zeige sich, „dass wir mit Empörungskultur nicht weiterkommen“ und auch bei den Grünen werde dies zum Teil eingesehen, etwa beim Grünen-Chef Felix Bananszak, der von „Angsträumen“ in unseren Städten gesprochen hatte.

OB Steinruck kritisiert Kanzler Merz

Beim Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) fanden Palmers Bemerkungen ein positives Echo – und die von Merz sowieso. Es sei doch „wohltuend“, dass sich der Kanzler so klar äußere, der brauche keine Sprechzettel und drehe nicht alle Worte „durch eine Mühle“. Im übrigen gebe es ein Problem mit der ungeordneten Migration, doch die Regierung habe dies angepackt, die Einreisezahlen in dem Bereich seien im August um 2025 um 60 Prozent niedriger gewesen als im Vorjahresvergleich. Die Migration der letzten Jahre sei so stark gewesen, dass die Integration in den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem nicht mehr gelungen sei. „Das Ankommen in der Gesellschaft funktioniert nicht mehr – und das zeigt sich auch im Stadtbild.“

Widerspruch kam da von Jutta Steinruck, der parteilosen Bürgermeisterin von Ludwigshafen, einer Stadt mit hohem Migrantenanteil. „Die Hälfte der Leute in meiner Stadt hat nach dem Kanzlerwort geglaubt, sie sei jetzt im Stadtbild nicht mehr erwünscht, sie sei eine Schande für die Stadt“, so Steinruck. Und das treffe Leute, die als Arbeiter das Land mitaufgebaut hätten. Sie erwarte von einem Kanzler, dass dessen Wortwahl so klar sei, dass er die Gesellschaft nicht spalte. Dass es in der Ludwigshafener Innenstadt „Angsträume“ gebe, dass der Bahnhof heruntergekommen sei und als „Pissbahnhof“ verschrien ist, und die Fußgängerzone von Ludwigshafen unwirtlich ist, führte Steinruck auf die seit 30 Jahren währende Schuldenkrise ihrer Stadt zurück. Sie berichtete, dass man gegen den Bund klagen werde, weil der den Kommunen immer neue Aufgaben aufhalse, ohne dafür die Mittel bereitzustellen.

„Heile Welt“ durch Abschiebungen?

Es gibt ein Innenstadt-Problem – das bekräftigte auch Belit Onay (Grüne), der Oberbürgermeister von Hannover. Der Hauptbahnhof der Stadt gilt als der sechstgefährlichste von Deutschland, es gebe dort eine Drogen- und Obdachlosenszene, berichtete Onay, und seit der Corona-Pandemie sei es schlimmer geworden. Aber man dürfe nicht so tun, als ob man mit Abschiebungen die „heile Welt“ in den Innenstädten schaffe. Von den 500.000 Hannoveranern habe jeder zweite einen Migrantenhintergrund, aber nur ein Bruchteil – 1500 – sei ausreisepflichtig. Mit einer schärferen Ordnungspolitik – Waffenverbotszonen, enge Kooperation der Polizeien – versucht Hannover, die Sicherheit zu verbessern.

Drogenszene im Alten Botanischen Garten in Tübingen stillgelegt

Auch Palmer nannte praktische Handlungsmöglichkeiten. Eine Stadt muss nicht ohnmächtig sein. Nach einem Mord im Alten Botanischen Garten sei die Drogenszene dort stillgelegt worden, unter anderem durch den Einsatz von Polizeihunden und verdeckten Ermittlern. Man habe Tübingen „heller und freundlicher“ gestaltet, sagte Palmer, der für die Uni-Stadt nicht bestätigen konnte, dass die Unsicherheit dort zunimmt. Man habe den städtischen Polizeidienst aber auch verdoppelt.

Tübinger Integrationsmanager erfährt nichts von Anzeigen

Gleichwohl brachte er zwei Beispiele, wie der Staat die Kommunen unterstützen könnte, es aber nicht tut. Zum einen habe er schon vor Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass bei Straftaten von Asylbewerbern die für sie zuständigen Integrationsmanager nicht vom Ausländeramt informiert werden dürfen. Das untersage der Landesdatenschutz. „Es kann sein, da macht einer nachts eine Schlägerei, und am nächsten Morgen hilft der Integrationsmanager dieser Person beim Antrag für bessere Sozialleistungen. Der Staat macht sich doch blind, er hat sich selbst gefesselt.“

Auch würde er gerne sechs Videokameras vor dem Tübinger Bahnhof aufstellen – in einer Umfrage hätten 80 Prozent der Frauen das befürwortet. Aber auch dies untersage ihm der Datenschutz: „Könnt ihr im Bund da mal was tun?“, fragte Palmer in Richtung des Kanzerlamtschef Frei. Der Bund aber ist mit sich selbst beschäftigt. Auch wegen des Streits um die Stadtbild-Aussage. Dass Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) dem Bundeskanzler indirekt „Rassismus“ vorgeworfen habe, das grenze schon an „Kanzlersturz“, meinte die Journalistin Karina Mößbauer („The Pioneer“). Da scheine eine „Todessehnsucht“ in der Koalition zu bestehen und es gebe nur eine Partei, die sich an den gegenseitigen Demütigungen labe, das sei die AfD.

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Erstellt:
30. Oktober 2025, 07:00 Uhr
Aktualisiert:
30. Oktober 2025, 10:50 Uhr

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