Beben beim Weltmarktführer
Bosch steht vor der größten Zerreißprobe der Firmengeschichte
Dieser Schock sitzt tief. Können bei Bosch Geschäftsführung und Belegschaft nach Bekanntwerden des XXL-Stellenabbaus überhaupt wieder zusammenfinden? Wie geht es jetzt weiter?

© imago/Arnulf Hettrich
Die Belegschaft sorgt sich so stark wie noch nie: Gehen bei Bosch irgendwann die Lichter aus?
Von Peter Stolterfoht
Es ist der Begriff, den an jenem besonderen Tag jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter mindestens einmal verwendet hat, meistens aber häufiger: Stolz. Es geht um den Stolz auf den Job, Stolz auf das Unternehmen, Stolz auf dessen Image. Daraus spricht auch immer die große Identifikation mit dem Arbeitgeber, dem größten Autozulieferer der Welt.
Im Jahr 2009 feierte das Bosch-Werk Feuerbach sein 100-Jahr-Jubiläum. Diese besondere Stimmung vermittelt einem das Zeitungsarchiv: In Texten, aber auch durch Bilder, auf denen Männer an ihrem Arbeitsplatz zu sehen sind, die Arme verschränkt vor der stolzgeschwellten Brust.
Die Gegenwart sieht ganz anders aus: An diesem Freitag im September 2025 ist die festliche Stimmung noch viel weiter weg, als es 16 Jahre vermuten lassen. Wie aus einer anderen Welt erscheint es, wenn man jetzt die Belegschaft geduckt Richtung Eingangstor gehen sieht. Und von Stolz ist überhaupt keine Rede mehr, nachdem am Tag zuvor von der Geschäftsführung bekannt gegeben worden war, dass zum ohnehin schon geplanten Stellenabbau bis 2030 nochmals 13 000 Stellen in der Autosparte wegfallen sollen. Auch ist vorgesehen, das Werk Waiblingen dicht zu machen. Der Begriff, der jetzt von den Feuerbacher Boschlerinnen und Boschlern oft zu hören ist: Schock.
Wenn alle von einem Schock sprechen
Olaf Boden aus der Mobility-Sparte wählt, als er am Freitagmorgen am Werkstor steht, genau dieses Wort – Schock. „Für die Jungen sieht es jetzt richtig mies aus“, sagt der 57-Jährige. Mit der Verlagerung in Billiglohnländer mache sich Bosch selber kaputt, meint Tamer Burgazli, sieht aber auch die Politik in der Pflicht, den Standort zu stärken. „Sollen wir denn alle arbeitslos werden?“, fragt er sich. Auch Boschler Marcus Kristen sieht die Schuld nicht allein beim Arbeitgeber. „Überrascht hat mich aber die hohe Anzahl an Stellen, die abgebaut werden sollen.“
Besonders deutlich ist der Schock Frank Sell anzusehen, dem Bosch-Gesamtbetriebsratschef für die Automobilsparte. Sell kündigt mit Blick auf die Verhandlungen einen „extrem heißen Herbst“ an, und: „Wir werden kämpfen wie die Löwen.“ Und das bereits seit diesem Freitag. Nach Informationen dieser Zeitung sind die Verhandlungen schon angelaufen.
Auf Nachfrage teilt eine Konzernsprecherin mit: „Die Gespräche werden in den einzelnen Standorten aufgenommen.“ Dafür gelte nach wie vor, „dass wir die erforderlichen Maßnahmen so sozialverträglich wie möglich gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern gestalten wollen“.
In einer dermaßen angespannten Atmosphäre haben allerdings noch nie bei Bosch Gespräche zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat stattgefunden, die bisher ein konstruktives Miteinander pflegten. Das soll laut Geschäftsführung auch so bleiben. „Wir stehen fest zu unseren Unternehmenswerten wie Offenheit und Vertrauen, Fairness, Respekt und Zuverlässigkeit“.
Von Seiten der Geschäftsleitung heißt es auch: „Wir verstehen die Sorgen unserer Beschäftigten.“ Deshalb habe man sich dazu entschlossen, die Kostenlücke von jährlich 2,3 Milliarden Euro transparent offenzulegen und zeitnah zu konkreten Maßnahmen zu informieren. Erste Reaktionen würden außerdem – neben aller Betroffenheit – auch viel Verständnis für die herausfordernde Lage zeigen.
Das Erbe von Robert Bosch ist Interpretationssache
Bosch steht dennoch vor der größten Zerreißprobe seiner Firmengeschichte: Wenn es für den Betriebsrat ab sofort heißt, Abfindungsprogramme, Vorruhestandsregelungen oder Vermittlungsangebote für die für überzählig erklärten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuhandeln.
Viele beschwören deshalb gerade jetzt den sozialen Geist von Robert Bosch. Wobei die von Stefan Hartung angeführte Führungsspitze in ihrem harten Kurs gar keinen Bruch mit den Werten des Firmengründers sieht. Das Statement zu dieser Frage lautet: „Der Anspruch von Robert Bosch ist immer gewesen, das Unternehmen kraftvoll weiterzuentwickeln und entsprechend zu reagieren.“ Über die Ableitungen daraus werden sich die beiden Parteien auch unterhalten müssen.