Braucht die deutsche Wirtschaft Russland?

dpa Frankfurt/Main. Die Strafmaßnahmen gegen Russland sind beispiellos. Wird der Westen das Land auf Dauer vom Welthandel abschneiden? Ein Umdenken bei Unternehmenslenkern und Verbandsfunktionären hat begonnen.

Wäre Russland als Handelspartner zum Beispiel für die deutsche Wirtschaft auf Dauer verzichtbar?. Foto: Patrick Pleul/dpa

Wäre Russland als Handelspartner zum Beispiel für die deutsche Wirtschaft auf Dauer verzichtbar?. Foto: Patrick Pleul/dpa

Russland hat sich durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine international weitgehend isoliert. Die Sanktionen des Westens treffen die russische Wirtschaft mit Wucht.

Aber auch der Westen muss sich fragen, wie der Handel mit Putins Riesenreich mittel- bis langfristig gestaltet werden soll. Wie verlässlich ist ein Partner, der mit einsamen Entscheidungen über Nacht die gesamte Welt vor den Kopf stößt? Lassen sich die zerrütteten Beziehungen wieder kitten? Und falls nicht: Wäre Russland als Handelspartner zum Beispiel für die deutsche Wirtschaft auf Dauer verzichtbar?

„Mit diesem Regime keine Geschäfte mehr machen“

„Viele Verantwortliche haben mir mit Blick auf Russland sehr deutlich gesagt: Mit diesem Regime kann man keine Geschäfte mehr machen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, bereits wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar. „Viele Unternehmen überlegen die Konsequenz, sich aus Russland zurückzuziehen, auch schon ohne Sanktionen“, schilderte der BDI-Präsident im „Handelsblatt“.

„Alle Wirtschaftsteilnehmer müssen jetzt ihre Geschäftsbeziehungen hinterfragen und genau prüfen, was vertretbar ist“, mahnten Kirchen-, Sozial- und Nachhaltigkeitsbanken in Deutschland Anfang März in einer gemeinsamen Erklärung. Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel, rechnet mit einer „Neuordnung globaler Handelsbeziehungen“ als Folge des Ukraine-Krieges: „Der Trend zur Regionalisierung von Produktion und das Bestreben von Volkswirtschaften und Unternehmen, weniger abhängig von einzelnen Zulieferstaaten und damit resilienter zu werden, dürfte eine der treibenden wirtschaftlichen Kräfte der kommenden Jahre sein.“

Moskau für Deutschland gesamtwirtschaftlich nicht bedeutend

Eine gute Nachricht aus deutscher Sicht: Als Absatzmarkt ist Russland für Europas größte Volkswirtschaft gesamtwirtschaftlich nicht wirklich bedeutend. Gerade einmal etwa zwei Prozent der deutschen Ausfuhren gehen dorthin. Bereits nach den Strafmaßnahmen infolge der russischen Annexion der Krim 2014 war der Handel zurückgefahren worden. Im vergangenen Jahr rangierte die Russische Föderation dem Statistischen Bundesamt zufolge mit knapp 27 Milliarden Euro auf Rang 14 der wichtigsten Abnehmerländer für Waren „Made in Germany“. Deutsche Hersteller lieferten vor allem Maschinen (5,8 Mrd Euro), Kraftfahrzeuge (4,4 Mrd Euro) und Chemie (3 Mrd Euro).

Doch wie schnell kann sich Deutschland seinerseits unabhängig machen von russischen Rohstoff-Einfuhren? Erdgas und Erdöl machten im vergangenen Jahr mit einem Wert von 19,4 Milliarden Euro fast 60 Prozent der Einfuhren Deutschlands aus der Russischen Föderation aus. 55 Prozent der Erdgas-Importe nach Deutschland kommen aus Russland, bei Erdöl sind es rund 35 Prozent, bei Steinkohle 50 Prozent.

„Das Ausweichen auf andere Absatz- und Beschaffungsmärkte ist nicht einfach und kurzfristig meistens nicht möglich“, sagte jüngst der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. „Handelshemmnisse haben sich bereits mit Beginn der Corona-Pandemie weltweit ausgebreitet. Viele Unternehmen müssen nun zusätzlich auf Lieferanten in der Ukraine und Russland verzichten. Betroffen sind hier beispielsweise der Import von Rohstoffen von Aluminium bis Kohle oder Weizen.“

60 Prozent der Deutschen wollen Importstopp von russischem Gas

In einer Anfang März veröffentlichten Umfrage für die „Wirtschaftswoche“ befürworteten 60 Prozent der Deutschen einen Importstopp von russischem Gas. Die Bundesregierung bemüht sich um mehr Unabhängigkeit beim Thema Energie. Doch der Wandel passiert nicht über Nacht. Auch Produktionsstätten etwa von Autoherstellern lassen sich nicht einfach andernorts aus dem Boden stampfen.

Dennoch erwarten auch die Volkswirte der Deutschen-Bank-Fondstochter DWS grundlegende Veränderungen im Welthandel: „Der Putin-Schock dürfte sich als der dritte große Rückschlag für die Globalisierung und die globalen Lieferketten in den letzten Jahren erweisen, nach dem Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Unterbrechungen der Lieferketten im Zusammenhang mit Covid.“

„Putin weist Russland in den wirtschaftlichen Abstieg“

Putins Russland werde sich ebenfalls umorientieren müssen, sagt Donner & Reuschel-Chefvolkswirt Mumm: „Mittelfristig wird sich Russland mangels Alternativen enger an China binden müssen. Da China aber deutlich weniger auf Russland angewiesen ist, dürfte Peking die Konditionen der künftigen Zusammenarbeit bestimmen.“

Putin weise Russland „mehr oder weniger den Weg in den wirtschaftlichen Abstieg“, sagte der Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel, Stefan Kooths, Ende Februar in den ARD-Tagesthemen. „Die Globalisierung wird in Russland rückabgewickelt.“

Und das hat Folgen auch für die Handelspartner: Unternehmen werden weltweite Lieferketten nicht mehr nur auf möglichst hohe Kosteneffizienz hin trimmen, sondern sie zunehmend auf Zuverlässigkeit abklopfen. Verbraucher sollten sich in diesem Szenario auf steigende Preise einstellen: Wenn Produktion aus Billiglohnländern nach Deutschland zurückgeholt wird und Unternehmen mehr Rohstoffe sowie Teile auf Lager haben müssen, verursacht das Kosten - und die landen früher oder später beim Konsumenten.

© dpa-infocom, dpa:220308-99-428338/3

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Erstellt:
8. März 2022, 07:13 Uhr

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