Barnier: Nur noch „einige Stunden“ für Brexit-Handelspakt

dpa London/Brüssel. Die EU und Großbritannien scheinen sich beim Ringen um ein Handelsabkommen wieder ein Stückchen näher gekommen zu sein. Doch der Gordische Knoten ist noch nicht zerschlagen. Beide Seiten sehen noch große Differenzen, besonders London gibt sich pessimistisch.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einmal mehr mit dem britischen Premier Boris Johnson telefoniert. Foto: John Thys/AFP Pool/AP/dpa

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einmal mehr mit dem britischen Premier Boris Johnson telefoniert. Foto: John Thys/AFP Pool/AP/dpa

Für die Verhandlungen mit Großbritannien bleiben aus Sicht des EU-Unterhändlers Michel Barnier nur noch „einige Stunden“, wenn ein Brexit-Handelspakt noch rechtzeitig zum 1. Januar in Kraft treten soll.

„Wir sind am Moment der Wahrheit“, sagte Barnier am Freitag in Europaparlament. Die Chance für ein Abkommen sei da, aber der Pfad dorthin sei sehr schmal.

An diesem Freitag werde er mit dem britischen Unterhändler David Frost „einen letzten Versuch“ unternehmen, eine Einigung zu finden, vor allem im Fischereistreit. „Wir sind nicht sicher, ob wir das schaffen, wenn nicht jeder sich wirklich und konkret um einen Kompromiss bemüht“, sagte Barnier.

Der Streit über Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern verbleibe als eine der größten Schwierigkeiten, sagte Barnier. Die EU achte die Souveränität Großbritanniens. Doch wenn das Land das Recht wolle, nach einer Frist den Zugang für EU-Fischer zu begrenzen, dann müsse die EU die Möglichkeit haben zu reagieren, etwa durch die Begrenzung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt für britische Produkte und vor allem für Fisch. Es wäre nicht gerecht für EU-Fischer, nur übergangsweise Rechte zu haben, während andere Punkte auf Dauer geregelt würden, sagte Barnier.

Nach einem Telefonat mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen teilte der britische Premier Boris Johnson am Donnerstagabend mit, ein Scheitern sei nun „sehr wahrscheinlich“, sollte die EU ihre Position nicht wesentlich ändern. Der britische Unterhändler David Frost schrieb auf Twitter: „Fortschritt scheint blockiert und die Zeit wird knapp.“

Gleichzeitig ließ die Londoner Seite aber auch erkennen, dass sie bei den beiden schwierigsten Feldern bereits Zugeständnisse gemacht habe oder diese noch möglich sein könnten. Beim Thema fairer Wettbewerb habe man sich „alle Mühe gegeben, um berechtigten Forderungen der EU entgegenzukommen“, hieß es in der Mitteilung.

Von Kommissionsseite hatte es nach dem Telefonat geheißen, es habe „substanziellen Fortschritt“ gegeben. Trotzdem bestünden noch „große Differenzen“, vor allem beim Thema Fischerei. Sie zu überbrücken sei „sehr herausfordernd“.

Ob die vom Europaparlament geforderte Einigung schon an diesem Sonntag erreicht werden kann, schien zweifelhaft. Nur wenn der Vertrag bis dahin fertig sei, könne man ihn noch in diesem Jahr ratifizieren, hatte die Parlamentsspitzen am Donnerstag erklärt.

Der britische Staatsminister Michael Gove sprach hingegen von der Möglichkeit, bis nach Weihnachten weiter zu verhandeln. In dem Fall könnte ein mögliches Abkommen zunächst ohne Ratifizierung durch das EU-Parlament vorläufig angewendet werden. Das Europaparlament lehnt dies ab.

Das britische Unterhaus tagte am Donnerstag ein letztes Mal vor der Weihnachtspause. Die Regierung hat jedoch angekündigt, die Abgeordneten zurückzubeordern, sollte ein Deal zustande kommen. Man sei zuversichtlich, dass die Zeit ausreichen werde, um die notwendige Gesetzgebung durchs Parlament zu bringen, sagte ein Sprecher Johnsons.

Sitzungen an Weihnachten oder anderen Feiertagen über den Jahreswechsel kämen nicht in Frage - und eine außerordentliche Sitzung müsse 48 Stunden im Voraus angekündigt werden. Damit bleiben nur noch wenige Tage für die Ratifizierung übrig, entweder unmittelbar vor Weihnachten oder kurz vor Silvester.

Sollte bis Jahresende keine Einigung mehr gelingen, drohen Zölle und andere Handelshemmnisse zwischen Großbritannien und dem Kontinent. Auch andere Kooperationsbereiche, beispielsweise bei der Polizeizusammenarbeit, könnten empfindlich leiden.

© dpa-infocom, dpa:201217-99-732629/8

Eine britische und eine europäische Fahne im Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Foto: Olivier Hoslet/Pool EPA/AP/dpa

Eine britische und eine europäische Fahne im Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Foto: Olivier Hoslet/Pool EPA/AP/dpa

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Erstellt:
17. Dezember 2020, 21:28 Uhr

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