Brexit-Handelspakt: Immer noch Streit über Fischerei

dpa Brüssel/London. Wie viel dürfen EU-Fischer künftig in britischen Gewässern fangen? Es ist der Knackpunkt auf dem Weg zu einem EU-Vertrag mit Großbritannien. Es gab Bewegung - aber nicht genug, sagt die EU.

David Frost (l.), Großbritanniens Brexit-Chef-Unterhändler, und Tim Barrow (m.), Großbritanniens EU-Botschafter, verlassen die Residenz des britischen Botschafters in Brüssel. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

David Frost (l.), Großbritanniens Brexit-Chef-Unterhändler, und Tim Barrow (m.), Großbritanniens EU-Botschafter, verlassen die Residenz des britischen Botschafters in Brüssel. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Der erhoffte Handelspakt der Europäischen Union mit Großbritannien steht wenige Tage vor Ende der Brexit-Übergangszeit weiter auf der Kippe. Trotz leichter Bewegung in den Verhandlungen hieß es am Dienstagnachmittag erneut, beim Streitpunkt Fischerei stecke man fest.

Auch beim Thema fairer Wettbewerb seien einige Punkte offen, erklärte ein Diplomat nach einer Unterrichtung durch EU-Unterhändler Michel Barnier.

Barnier sagte vor seinem Termin bei den Vertretern der EU-Staaten: „Wir sind jetzt wirklich an einem entscheidenden Punkt und machen eine letzte Anstrengung.“ Ein britischer Regierungsvertreter betonte am Dienstagabend ebenfalls, die Unterhändler würden weiter hart an einer Einigung arbeiten. Doch die Differenzen blieben erheblich. Ein Vertrag müsste aus britischer Sicht „vor dem 1. Januar“ stehen.

Am 31. Dezember endet die Brexit-Übergangsphase. Dann scheidet Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Der Handelsvertrag soll Zölle und hohe Hürden in den künftigen Wirtschaftsbeziehungen abwenden.

Die EU-Seite sieht durchaus Fortschritte, wie ein anderer Diplomat erklärte. Die meisten Themen seien vorläufig abgeschlossen oder fast. „Leider bewegt sich das Vereinigte Königreich noch nicht genug, um eine Einigung beim Fisch zu schaffen“, hieß es. „Die EU wird Großbritannien nicht die Tür zuschlagen und bleibt bereit, sogar nach dem 1. Januar zu verhandeln.“

Der britische Regierungsvertreter bekräftigte hingegen, dass Großbritannien die Übergangsfrist nicht verlängern werde. Das würde bedeuten, dass das Land weiter an EU-Regeln gebunden wäre und weiter in die EU-Kasse zahlen müsste. „Wir müssen endlos verlängerte Verhandlungen bis ins nächste Jahr vermeiden und unseren Bürgern und Unternehmen so schnell wie möglich Gewissheit geben.“ Auch in Großbritannien waren jedoch Forderungen nach einer Fristverlängerung laut geworden, unter anderem vom Londoner Bürgermeister Sadiq Khan.

Weil die Zeit zu knapp ist, könnte ein mögliches Abkommen aus Sicht des Europaparlaments nicht mehr rechtzeitig ratifiziert werden. Denkbar ist eine vorläufige Anwendung ohne offizielle Bestätigung. Auch das benötige jedoch einige Tage Vorlauf, hieß es aus einer dritten EU-Quelle. „Wenn es also vor Weihnachten keine Einigung gibt, wird auch die vorläufige Anwendung immer unwahrscheinlicher.“

Am Montag sprachen Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Telefon über die Verhandlungen und die Corona-Krise. Ergebnisse wurden nicht bekannt.

Wie ein Kompromiss beim Knackpunkt Fischerei aussehen könnte, skizzierte der ehemalige britische Regierungsberater Raoul Ruparel in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal „Politico“. Demnach könnten die Fangrechte der EU-Fischkutter über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg nach und nach um 35 Prozent reduziert werden.

Die Briten bekämen weiter die Möglichkeit, ihre Fische zollfrei auf den europäischen Markt zu bringen. Flankiert werden soll das mit der Möglichkeit für Brüssel, Zölle für den Fall einzuführen, dass die Briten den Zugang für Fischer aus der EU weiter einengen - jedoch nur in von unabhängiger Seite festgelegter Höhe. Nach Angaben der „Financial Times“ bestätigten EU-Kreise, dass es ein ähnliches Angebot aus London gegeben habe. Die Offerte reichte der EU aber offenbar nicht.

Fischerei ist nur ein vergleichsweise kleiner Wirtschaftszweig - das Münchner Ifo-Institut schätzt den Gesamtwert der EU-Fangmengen in britischen Gewässern auf etwa 520 Millionen Euro. Doch hat er für EU-Küstenstaaten wie Frankreich hohe symbolische und politische Bedeutung. Auch für Großbritannien ist es ein Kernthema des Brexits und der nationalen Selbstbestimmung.

Sollten die Verhandlungen scheitern, könnte sich das durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Chaos an Großbritanniens Häfen noch verschlimmern. Frankreich hatte am Sonntag den Warenverkehr von Großbritannien am Ärmelkanal gestoppt, nachdem die britische Regierung ihre Erkenntnisse über eine neue Variante des Coronavirus mitgeteilt hatte. Manch einer sah in dem Chaos am Ärmelkanal einen Vorgeschmack auf einen möglichen No Deal. Am Dienstagabend kündigte Frankreich eine Lockerung an.

© dpa-infocom, dpa:201222-99-782750/7

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Erstellt:
22. Dezember 2020, 11:14 Uhr

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