Nach erneuter Wahlpanne in Berlin

Briefwahlstimmzettel nachgezählt – mit zweischneidigem Ergebnis

In Berlin-Lichtenberg wurden am Mittwoch Stimmzettel für die Wahl zum Abgeordnetenhaus ausgezählt. Öffentlich – weil sie zuvor vergessen wurden. Das Interesse war groß, das Ergebnis könnte für eine neue Kuriosität sorgen.

Im Berliner Bezirk Lichtenberg mussten am Mittwochmorgen 466 Briefwahlstimmzettel nachgezählt werde – weil sie zuvor liegen geblieben waren.

© dpa/Jörg Carstensen

Im Berliner Bezirk Lichtenberg mussten am Mittwochmorgen 466 Briefwahlstimmzettel nachgezählt werde – weil sie zuvor liegen geblieben waren.

Von Lotta Wellnitz

Es ist ein riesiges Gedränge vor der Tür. Man könnte fast meinen, der Bundeskanzler persönlich sei zu Besuch im Raum 2.22 – in einem tristen Amtsgebäude in Berlin-Hohenschönhausen. Oder sogar ein Superstar aus Film oder Musik. Aber so ist es natürlich nicht.

Die Aufmerksamkeit gilt zehn Menschen, die Stimmen auszählen müssen. Es ist ein lähmend langes Prozedere: Sie zählen rote Wahlbriefe, trennen die gelben Wahlscheine von den blauen, verschlossenen Umschlägen mit den Stimmzetteln und Zählen die darin enthaltenen Wahlstimmen. Gearbeitet wird streng nach dem Vier-Augen-Prinzip. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen.

Berlin kann Wahl – das war eigentlich die gute Nachricht des Wahlabends vom Sonntag. So dachten es jedenfalls viele. Zur Erinnerung: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2021 war eine Chaos-Wahl gewesen.

Die Menschen hatten in langen Schlangen angestanden, es fehlten Wahlzettel, teils wurde nach 18 Uhr abgestimmt. Diese Wahl musste am Sonntag wiederholt werden – und nach allgemeiner Einschätzung war so gut wie alles glatt gelaufen.

Stimmzettel wurden einfach vergessen

Und nun doch erneut eine Panne! Am Mittwochmorgen mussten im Berliner Osten die Stimmen von 466 Briefwählern verspätet ausgezählt werden. Der Grund: Bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus am Sonntag waren sie schlicht und einfach vergessen worden. Wie konnte das passieren?

Die Wähler hatten ihren Stimmen pünktlich verschickt – und die Briefe waren auch rechtzeitig angekommen. Dann allerdings blieben sie liegen und wurden nicht in das Gebäude transportiert, wo sie hätten ausgezählt werden müssen.

Der zuständige Bezirkswahlleiter, Axel Hunger, spricht von einem „internen Fehler“, der „ärgerlich“ sei. Er nehme die Schuld auf sich, sagt er. Dann fügt er mit Blick auf die Panne hinzu: „Es ist nichts, was nicht korrigierbar ist. Das werden wir tun, und dann fließt das in das Ergebnis mit ein.“

Ergebnis mit Folgen für Regierungsbildung

Und so werden dann am Mittwoch die vergessenen 466 Stimmen ausgezählt. Und zwar öffentlich, sodass jeder der will – und einen Platz ergattert hat – zusehen kann. Das ist schon deshalb dringend notwendig, weil die Wahl – mindestens, wenn es um Platz zwei und drei geht – sehr knapp ausgegangen ist.

Laut dem vorläufigen Ergebnis von Sonntagnacht lag die zweitplatzierte SPD nur 105 Stimmen vor den Grünen. Falls es erneut zu einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken kommen sollte, ist dieser knappe Vorsprung entscheidend dafür, wer Bürgermeisterin wird: Franziska Giffey (SPD) oder Bettina Jarasch (Grüne).

Entsprechend groß ist das Interesse an der Auszählung. Bürger, sehr viele Medienvertreter und einige Beteiligte aus der Politik in dem Berliner Bezirk drängen sich vor der Tür. In den sehr kleinen Raum dürfen nur wenige von ihnen gleichzeitig hinein.

Ein ernst schauender Mann mit roter Warnweste, auf der „Wahlamt“ steht, versperrt den Eingang – streng wie ein Türsteher in einem angesagten Berliner Club. Eine Bürgerin, die zum Zuschauen gekommen ist, zeigt sich wenig überrascht über die Wahlpanne. Vertrauen? Fehlanzeige. „Deswegen habe ich meine Briefwahlunterlagen persönlich im Wahllokal abgegeben“, sagt sie.

Mandat könnte ausgelost werden

Am Ende zeigt sich: Trotz der großen Aufregung ändert sich nichts Entscheidendes am Wahlergebnis. Die SPD liegt in Berlin nach Zweitstimmen weiter vor den Grünen.

Eines ändert sich aber vielleicht doch: Laut RBB soll die Nachzählung ergeben haben, dass die Direktkandidatin der Linken, Claudia Engelmann, in Wahlkreis 3 gleich viele Stimmen bekommen hat wie der bisher führende Kandidat der CDU, Dennis Haustein. Wenn sich das bewahrheitet, muss das Mandat zwischen den beiden ausgelost werden.

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Erstellt:
15. Februar 2023, 18:16 Uhr

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