Streit um Richterwahl
Brosius-Gersdorf wehrt sich
Nach der abgesetzten Richterwahl für das Verfassungsgericht herrscht in der Koalition Ratlosigkeit. Nun hat sich die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu Wort gemeldet. Und jetzt?

© Britta Pedersen/dpa
Frauke Brosius-Gersdorf wehrt sich öffentlich gegen die Anfeindungen, denen sie in den letzten Tagen ausgesetzt war.
Von Tobias Peter und Rebekka Wiese
Wer entscheidet künftig am Bundesverfassungsgericht? Darüber ist die Koalition zerstritten, die Wahl von drei neuen Richterinnen und Richtern scheiterte am Freitag. Nun hat sich die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf selbst zu Wort gemeldet. Gegen sie hatte man aus Reihen der Union scharfe Vorwürfe erhoben.
Wie könnte es nun weitergehen? Das Wichtigste in Fragen und Antworten.
Die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, hat eine öffentliche Erklärung abgegeben. Was ist der Kern?
Brosius-Gersdorf wehrt sich gegen die Vorwürfe gegen ihre Person und ihre Positionen, die im Rahmen der Richterwahl gegen sie erhoben wurden. Dass man sie als „ultralinks“ oder „linksradikal“ bezeichnet habe, sei „diffamierend und realitätsfern“. Sie verweist darauf, dass ihre wissenschaftlichen Beiträge in vielen Medien unvollständig zitiert worden seien, einzelne Sätze seien dabei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie geht in ihrer Stellungnahme auf einzelne Themen ein, am ausführlichsten auf ihre Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Brosius-Gersdorf war immer wieder vorgeworfen haben, für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt einzutreten. „Das ist falsch“, schreibt Brosius-Gersdorf dazu. „Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten.“ Sie habe lediglich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen, das in diesem Fall entstehe.
Was stimmt denn nun?
In der Berichterstattung über Brosius-Gersdorf ist tatsächlich vielfach unvollständig aus ihren Publikationen zitiert worden – gerade, wenn es um ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen ging. In einer Stellungnahme, die sie im Februar zu dem Thema abgegeben hatte, wägt sie die Grundrechte des Embryos beziehungsweise Fetus gegen die der Schwangeren ab. Sie kommt zu dem Schluss, dass es geltendem Verfassungsrecht entspreche, einen Abbruch als rechtmäßig zu werten, wenn er auf Wunsch der Schwangeren vor Ende der 12. Schwangerschaftsabbrüche von einem Arzt und nach Beratung durchgeführt werde.
Was macht die Union?
Die Union spielt erst einmal auf Zeit. Fraktionschef Jens Spahn hat in einem Brief an seine Fraktion eingeräumt, die Bedenken unter den CDU-Abgeordneten gegen Brosius-Gersdorf unterschätzt zu haben. Gleichzeitig betont er: „Das Bundesverfassungsgericht ist voll arbeitsfähig. Es besteht keine Dringlichkeit.“ Auffällig ist ein Schwenk bei der CSU. Sie hat in der vergangenen Woche für die Wahl von Brosius-Gersdorf geworben – im Sinne der Zusammenarbeit in der Koalition. CSU-Chef Markus Söder hat aber mittlerweile den Daumen gesenkt: „Auf der jetzigen Kandidatur lag und liegt kein Segen.“
Und die SPD?
Sie hat via Social Media ein altes Gruppenfoto der gesamten Fraktion veröffentlicht. Der Text dazu: „Wir stehen hinter unserer Kandidatin, Frau Prof. Brosius-Gersdorf.“
Gibt es eine Lösung?
Es ist schwierig, eine zu finden, bei der nicht entweder die Union oder die SPD schlecht oder blamiert dasteht. Es würde Kanzler Friedrich Merz und dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn sicher ein hohes Maß an Führung abverlangen, eine Wahl von Brosius-Gersdorf hinzubekommen. Von der AfD und anderen würde die Union als Umfaller attackiert. Die SPD könnte es aber mindestens ebenso schwer vermitteln, wenn sie eine Kandidatin, die so hart angegriffen wurde, durch eine andere ersetzen würde. Das ganze Kandidatenportfolio auszutauschen, scheint auch nicht sinnig: Zwei der Kandidaten sind ja gar nicht umstritten.
Was sagt die Opposition?
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der auch Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, hält es für möglich, dass die Richterwahl einer gezielten Kampagne zu Opfer gefallen ist. „Kurz vor der Wahl wurden vor allem über rechte Blogs und über Social Media in kurzer Zeit soviel verzerrte Informationen, Polemisierungen und Desinformationen zu den Kandidierenden verbreitet“, sagte von Notz dieser Redaktion. „Ein in der politischen Mitte gefundener Kompromiss wurde gezielt torpediert, auch, um einen Keil in die Große Koalition zu treiben und das Gericht zu beschädigen.“