Gipfeltreffen

Brückenschlag zwischen London und Brüssel

Beim Gipfel zwischen Großbritannien und der EU sind alle erleichtert, dass man wieder normal miteinander reden kann. Die fehlende Substanz des Treffens ist dabei eher nebensächlich.

Viele Briten bereuen inzwischen den Brexit. Einige protestierten bei dem Gipfel für einen erneuten Beitritt. Der ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

© HENRY NICHOLLS/AFP

Viele Briten bereuen inzwischen den Brexit. Einige protestierten bei dem Gipfel für einen erneuten Beitritt. Der ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

Von Knut Krohn

Zur Kunst der Politik gehört es bisweilen, kleine Erfolge groß aussehen zu lassen. Das ist auf dem Gipfel zwischen Großbritannien und der Europäischen Union gelungen. Ganze fünf Jahre hat es gedauert, bis sich vor allem London in der Lage sah, im Rahmen eines hochrangigen Treffens wieder an einem Tisch mit den Vertretern aus Brüssel zu sitzen. In diesem Fall durfte nichts schiefgehen, weswegen auf beiden Seiten im Hintergrund über viele Monate an einem präsentablen Ergebnis gearbeitet worden war.

Die Rede ist von einem „historischen Moment“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war denn auch bemüht, die Wiederannäherung von Europäischer Union und Großbritannien für den Betrachter ins richtige Licht zu rücken. Als „historischen Moment“ bezeichnete sie das Treffen in gewohnt überschwänglicher Art. „Wir beginnen ein neues Kapitel in unserer einzigartigen Beziehung.“ Dem wollte der britische Premier Keir Starmer nicht nachstehen. „Es beginnt eine neue Ära in unserer Beziehung“, sagte er in London und rechnete seinen Landsleuten vor, dass bis 2040 rund neun Milliarden Pfund in die eigene Wirtschaft eingebracht würden.

Viele vage Versprechen bei dem Treffen

Das ist im Moment allerdings noch ein sehr vages Versprechen, denn in Sachen Wirtschaftspolitik werden kaum konkrete Schritte vereinbart. Also muss auch in diesem Fall das wenige Erreichte marktschreierisch feilgeboten werden. Geradezu grotesk wirkt der Jubel über eine Einigung im Streit um die Fischereirechte. Die Branche macht nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung aus, war im Brexit-Chaos allerdings zu einem der hochsymbolischen Schauplätze geworden. Nach dem endgültigen EU-Austritt der Briten Anfang 2021 sollte die Fangquote für EU-Fischer deutlich sinken.

„Wir haben unseren Fisch zurück. Es sind jetzt britische Fische und dafür umso bessere und glücklichere Fische“, jubilierte damals der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, was vor allem in Frankreich für Aufruhr unter den Fischern sorgte. Nun wurde ausgehandelt, dass Großbritannien seine Gewässer nach Ablauf des derzeitigen Abkommens im Jahr 2026 zwölf Jahre lang für europäische Fischer offen halten wird. Im Gegenzug wird die EU die Bürokratie für Lebensmittelimporte aus Großbritannien auf unbestimmte Zeit lockern.

Kooperation bei Rüstung und Verteidigung

Im Laufe der vergangenen Monate rückte allerdings ein Thema ins Zentrum des Interesses, das zu Brexit-Zeiten keiner für möglich gehalten hätte. Beide Seiten vereinbarten eine wesentlich engere Zusammenarbeit im Bereich Rüstung und Verteidigung. Notwendig geworden ist das durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und den neuen, sehr unberechenbaren US-Präsidenten Donald Trump. So verhandelte Großbritannien, dass sich britische Unternehmen in Zukunft an von der EU unterstützten Beschaffungsprojekten für Rüstungsgüter beteiligen können. Dabei geht es unter anderem um ein Finanzinstrument mit dem Namen Safe, über das Darlehen in Höhe von insgesamt 150 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen – zum Beispiel für Luftverteidigungssysteme und Artillerie.

Zwar ist das Vorhaben auf EU-Ebene noch nicht komplett in trockenen Tüchern, die Verhandlungen dazu sind nach Angaben aus Diplomatenkreisen aber nahezu abgeschlossen. Zudem wollen die beiden Seiten enger beim Schutz kritischer Infrastruktur zusammenarbeiten. Jüngst kam es etwa immer wieder zu Schäden an Unterseekabeln. Auch im Fall von Cyberangriffen soll die Koordination verstärkt werden.

Deutschland muss dieses Mal zurückstecken

Hat Frankreich im Fall der Fischerei seine Vorstellungen sehr gut umgesetzt, musste Deutschland dieses Mal zurückstecken. Vorerst keine konkrete Einigung gibt es bei einem Vorschlag der EU-Kommission für ein sogenanntes Youth Mobility Scheme. Vom Tisch ist das Thema aber nicht. Die beiden Seiten einigten sich darauf, weiter daran zu arbeiten. Vor allem Berlin hatte darauf gepocht, dass junge Menschen aus der EU wieder einfacher für begrenzte Zeit im Vereinigten Königreich leben und arbeiten können. Aus Londoner Sicht ist das Thema aber heikel, weil es Wasser auf die Mühlen des Brexit-Vorkämpfers und Rechtspopulisten Nigel Farage sein könnte, dessen Partei Reform UK in Umfragen derzeit vor den Volksparteien Labour und den Konservativen liegt.

In diesem Fall zeigt sich, dass Premier Keir Starmer nicht agieren kann, wie er möchte. Auch fünf Jahre nach dem Vollzug des Brexit sind die Gräben noch abgrundtief und ziehen sich quer über die Insel. Umfragen belegen zwar, dass inzwischen eine Mehrheit der Briten diesen Schritt nicht mehr machen würde, doch kein Politiker wagt es, dieses heiße Eisen anzufassen.

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Erstellt:
19. Mai 2025, 15:30 Uhr

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