Korruption in der Ukraine
Brüssel sendet deutliche Mahnung an Kiew
Zwei Antikorruptionsbehörden in der Ukraine können künftig nicht mehr unabhängig arbeiten. Eine Delegation des Europaparlamentes wird in Kiew geradezu vorgeführt.

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Demonstranten in Kiew protestieren gegen die Entscheidung, den Antikorruptionsbehörden die Unabhängigkeit zu entziehen.
Von Knut Krohn
Daniel Freund kann sein Entsetzen selbst am Telefon nicht verbergen. „Das ist ein schwerer Rückschlag für die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine“, sagt der Europaparlamentarier, der sich am Mittwoch im Zug auf dem Rückweg von einem Besuch in Kiew befand. Am Abend zuvor hatte das ukrainische Parlament in Kiew ein Gesetz beschlossen, das zwei Antikorruptionsbehörden in Zukunft nicht mehr unabhängig arbeiten können. Präsident Wolodymyr Selenskyj zögerte nicht, das Papier zu unterzeichnen.
„Wir haben am Vormittag noch zwei Kabinettsmitglieder und die Vorsitzende des Korruptionsausschusses getroffen und keiner hat diesen Schritt auch nur mit einem Wort erwähnt“, erzählt der Grünen-Politiker geradezu fassungslos. „Und am Nachmittag schaffen die innerhalb von wenigen Stunden die unabhängige Korruptionsbekämpfung in der Ukraine ab. Das ist einfach sehr krass!“
Kritik des führenden Korruptionsbekämpfers
Daniel Freund hat sich im Parlament einen Namen als führender Korruptionsbekämpfer gemacht. Dieses Mal war er mit dem Haushaltskontrollausschuss nach Kiew gereist, um sich vor Ort über den Stand der Dinge zu informieren. Dass sie dabei in dieser Weise vorgeführt werden, hätte er sich allerdings nichts träumen lassen.
Allerdings war die EU-Delegation schon mit einigen Bedenken in die Ukraine abgereist. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International landete die Ukraine 2024 noch immer auf Platz 105 von 180 Ländern. Und die Reformgeschwindigkeit habe zuletzt stark abgenommen, konstatiert Daniel Freund. Deswegen wurde auch die Auszahlung von EU-Hilfsgeldern an Kiew in einigen Fällen bereits verzögert.
„Es hat in den letzten elf Jahren große Fortschritte gegeben“, betont der Grünen-Politiker, „aber Teile dieser Fortschritte sind nun einfach einkassiert worden.“ Semjon Krywonos, Chef des nationalen Antikorruptionsbüros in Kiew, warnt, dass die „Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört“ worden sei. Und die ukrainische NGO Anti-Corruption Action Center befürchtet, dass nun der Generalstaatsanwalt „die Ermittlungen gegen alle Freunde“ von Präsident Selenskyj einstellen werde.
Brüssel spricht von einem „ernsthaften Rückschritt“
Scharfe Kritik kommt auch von der EU-Kommission. Erweiterungskommissarin Marta Kos sprach von einem „ernsthaften Rückschritt“ auf dem Weg der Ukraine zu einem EU-Beitritt. Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben „im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen“, betonte sie im Onlinedienst X. Und Kommissionssprecher Guillaume Mercier mahnte, dass die europäischen Institutionen der Ukraine „erhebliche finanzielle Unterstützung“ gewährten, „die von Fortschritten in den Bereichen Transparenz, Justizreform und demokratische Regierungsführung“ abhänge.
Daniel Freund fordert, dass auch die EU-Mitgliedstaaten ihren Druck auf die Ukraine erhöhen. Nicht nur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sondern auch Bundeskanzler Friedrich Merz und „alle, die einen guten Draht zu Wolodymyr Selenskyj haben“, müssten eine klare Botschaft an den Präsidenten senden: „Das geht so nicht!“
Die Erklärung aus Kiew ist nicht einleuchtend
Die Erklärung aus Kiew, dass mit dem umstrittenen Schritt der russische Einfluss auf die Ukraine bekämpft werden soll, ist für Daniel Freund nicht einleuchtend. „Wenn es konkrete Vorwürfe gegen einzelne Mitarbeiter in den Behörden gibt, können ohne Probleme gezielt Ermittlungen eingeleitet werden“, sagt der Europaabgeordnete, was auch schon passiert sei.
Er bezieht sich darauf, dass am Montag der ukrainische Geheimdienst (SBU) nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros wegen angeblicher Spionage für Russland festgenommen hat. Zuvor hatte der SBU die Räume des Antikorruptionsbüros und der auf Korruption spezialisierten Staatsanwaltschaft in Kiew durchsucht. „Das alles rechtfertigt aber nicht, die Arbeit und die Unabhängigkeit der ganzen Behörde einzuschränken,“ sagt Freund. Und er befürchtet, dass dieser Schritt Wasser auf die Mühlen der Selenskyj-Kritiker auch innerhalb der EU ist, die den Präsidenten schon immer als korrupt bezeichnen. In Zukunft könne es noch schwieriger werden, die Ukraine-Hilfe der Union gegen den Widerstand Ungarns oder inzwischen auch der Slowakei durchzubringen.
Unter dem Eindruck des Drohnenterrors
Die Delegation es EU-Parlaments konnte sich bei ihrem Besuch selbst einen Eindruck verschaffen, wie wichtig die Unterstützung des Westens für die Ukraine ist. Die Union sei mit weitem Abstand der größte Geldgeber, sagt Daniel Freund. Es werde rund 40 Prozent des öffentlichen Haushaltes finanziert, damit würden Krankenhäuser unterstützt und Schulen am Laufen gehalten. Den Drohnenterror auf diese zivilen Einrichtungen am eigenen Leib zu erfahren, sei ein einschneidendes Erlebnis, berichtet Daniel Freund und betont: „Die Hilfe aus Brüssel soll weiter fließen – aber es muss klar sein, dass das Geld dort ankommt, wo es sinnvoll ist“.