Bürokratie: Zeitfresser oder Hilfe?

In vielen Berufen geht eine Menge Zeit für Verwaltungsarbeit drauf. Wir haben vier Personen aus unterschiedlichen Berufen gefragt, welche bürokratischen Prozesse sie begleiten und wie sie damit umgehen.

Kitaleiterin Lena Söhnholz freut sich auf ein Mehr an Digitalisierung. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Kitaleiterin Lena Söhnholz freut sich auf ein Mehr an Digitalisierung. Foto: Alexander Becher

Von Anja La Roche

Backnang. Bis zu acht Stunden täglich wendet der Taxifahrer Franz Görlich für die Büroarbeit auf. Viele weitere Branchen sind ebenfalls von einem hohen Verwaltungsaufwand geplagt. Vier Beispiele.

Das Verhalten der Kinder dokumentieren

„Der bürokratische Aufwand ist schon ein großer Bestandteil unserer Arbeit, was aber auch wichtig ist“, sagt Lena Söhnholz, Leiterin der städtischen Kita Bertha-von-Suttner in Backnang. Das fange an beim Aufnahmeverfahren neuer Kinder, gehe über Änderungsanzeigen, etwa wenn ein Kind drei Jahre alt wird oder sich die Betreuungszeit ändert, bis hin zu Belegungs- und Platzvergabelisten, die ans Amt für Familie, Jugend und Bildung geschickt werden müssen. „Das gibt mir eine Sicherheit, dass der Träger immer Bescheid weiß“, sagt Söhnholz. Dokumentieren müssen die Erzieherinnen auch das Verhalten der Kinder. In Backnang gibt es dafür extra ein Konzept für alle Kitas, das sogenannte Backnanger Könnensprofil. Die Mitarbeiter beobachten die Kinder im Freispiel oder in extra kreierten Testsituationen und halten schriftlich fest, wie ihre Schützlinge sich verhalten. Auch wenn ein Kind sich auffällig verhält oder einen besonderen Entwicklungsschritt macht, wird das dokumentiert. So können sich die Erzieherinnen untereinander besser abstimmen und besser mit den Eltern kommunizieren, zum Beispiel in den jährlichen Elterngesprächen.

Auch ein Bedarf an besonderer Förderung kann dadurch besser erkannt und begründet werden. Für Lena Söhnholz sind diese Zettel also wertvoll, um jedes Kind individuell fördern zu können. Nur einen Wunsch hat sie: „Ich habe manchmal ein Formular in der Hand, das ich gerne digital hätte.“ Deshalb freut sie sich schon auf das von der Stadt geplante digitale Kitaverwaltungsprogramm.

Zwischen Taxi und Schreibtisch

Franz Görlich ist selbstständiger Taxifahrer in Backnang und Mitinhaber des Taxiunternehmens Dzieciol. Er und die 21 Angestellten leisten zu knapp 90 Prozent Krankenfahrten. Ein klassischer Arbeitstag hat bei Görlich etwa 16 Stunden, davon gehen rund acht Stunden für die Büroarbeit drauf. Der von ihm erwartete Papierkram belastet ihn sehr in seinem Beruf. Er berichtet von einem Beispiel: Eine Verordnung zur Krankenbeförderung vom Arzt bedeutet nicht immer, dass diese Fahrten von der Krankenkasse genehmigt sind, zum Beispiel wenn Krebspatienten zu ihren Bestrahlungsterminen befördert werden. „Da viele Fahrgäste nicht wissen, wie sie eine Genehmigung von der Krankenkasse erhalten können, helfe ich ihnen häufig bei diesem Prozess“, sagt Görlich. Meistens laufe das folgendermaßen ab: Mit dem Einverständnis des Fahrgasts schickt er die Bitte der Genehmigung an die Krankenkasse. Aufgrund des Datenschutzes senden die Krankenkassen die Genehmigung an den Fahrgast zurück, der diese oft bei sich abheftet, ohne zu verstehen, dass der Taxiunternehmer sie zur Abrechnung braucht. Sollte er doch alle Unterlagen erhalten, übermittelt er die Rechnungen digital an die Krankenkasse. Nach jeder Fahrt muss der Fahrgast außerdem auf einem Zettel unterschreiben.

Franz Görlich hat in seinem Beruf viel mit der Bürokratie zu kämpfen. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Franz Görlich hat in seinem Beruf viel mit der Bürokratie zu kämpfen. Foto: Tobias Sellmaier

Nach der letzten Fahrt muss die Behandlungsstätte die Fahrten nochmals bestätigen. All diese Unterlagen (Rechnung, Genehmigung, Unterschriftenzettel vom Fahrgast, Bestätigung der Behandlungsstätte) muss Franz Görlich noch mal im Original per Post an die Krankenkasse schicken. „Es kann vorkommen, dass auf dem postalischen Weg Unterlagen verloren gehen. Deshalb scanne ich diese Unterlagen vor dem Versand noch mal ein“, erklärt er. Das empfindet er als überflüssig, zudem verschwende das zusätzliche Versenden per Post viel Zeit, Papier und Portokosten. Außerdem versteht er nicht, warum die Kunden extra Genehmigungen beantragen müssen für Fahrten, die sowieso von den Krankenkassen genehmigt werden.

Ärztin kritisiert ausufernden Papierkram

Von Papierkram kann ein jeder Hausarzt wohl ein Lied singen. So auch Eva Steininger, die 2022 eine Praxis in Oppenweiler übernommen hat. „Wir müssen jede Leistung dokumentieren“, erklärt sie. Das koste sie jeden Tag zwei bis drei Stunden. Jeden Befund müsse sie ausführlich bewerten und begründen. Einige Dokumentationen und Anträge müssen dabei sogar ganz altmodisch per Brief an die Krankenkassen geschickt werden. Teilweise seien das drei bis vier beschriftete Seiten. So muss sie zum Beispiel Untersuchungsbefunde eines Grippepatienten sowie seine Krankschreibung begründen, bei langwierigen Verläufen auch wieder separat per Brief.

Nach der Sprechstunde kommt für Eva Steininger die Bürokratie. Archivfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Nach der Sprechstunde kommt für Eva Steininger die Bürokratie. Archivfoto: Alexander Becher

Für die 34-Jährige ist dieser Aufwand nicht nachvollziehbar – sie würde ja niemanden unbegründet krankschreiben. Für die Hausärztin ist der hohe Papieraufwand ein Grund, warum so wenige Mediziner sich niederlassen wollen. „Als Angestellte musste ich das nicht machen“, sagt sie. Dazu komme der hohe Druck, denn falls mal etwas nicht stimmt oder nicht fristgerecht eingereicht wird, drohen die Krankenkassen mit Regressforderungen gegen den Praxisinhaber oder streichen ohne Rücksprache Leistungen, gegen die erneut in Papierform Widerspruch eingelegt werden muss.

Und jährlich grüßt die Düngerberechnung

Martin Krautter ist Landwirt in Backnang. Er hat einen Betrieb mit Fokus auf Milchviehhaltung, das Futter baut er größtenteils selbst an. Aufs Jahr runtergerechnet verbringt er durchschnittlich einen Tag pro Woche im Büro – in der Realität ist er mal sehr viel im Büro, mal weniger. Teil dieser Arbeit ist beispielsweise: Tiere melden, Anträge stellen, Schulungen besuchen, Pflanzenschutzaufzeichnungen erstellen und Pflanzenschutzspritze kontrollieren, dokumentieren. Den Umfang der Vorgaben und Regelwerke empfindet er als Last.

Landwirt Martin Krautter muss sich viele Vorschriften zu Gemüte führen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Landwirt Martin Krautter muss sich viele Vorschriften zu Gemüte führen. Foto: Alexander Becher

Ein Beispiel ist die alljährliche Berechnung des Düngerbedarfs: Der Boden wird auf seinen Stickstoff- und Phosphorgehalt hin untersucht. Dann berechnet Krautter die benötigte Düngermenge anhand der Erträge der vergangenen drei Jahre. Welche Düngermenge eingesetzt werden darf, hängt auch davon ab, ob sich der Acker im Normalgebiet oder Nitratgebiet befindet. Im Nitratgebiet muss 20 Prozent unter dem Pflanzenbedarf gedüngt werden. Jede Düngergabe muss spätestens drei Tage nach dem Ausbringen dokumentiert und mit dem Bedarf abgeglichen werden. Krautter stört dabei, dass es sein könnte, dass sich ein Acker in einem Nitratgebiet befinden kann, ohne tatsächlich viel Nitrat zu enthalten, weil die Messstellendichte zu gering ist.

Ärgerlich sind für ihn außerdem Vorschriften, die an zeitliche Termine gebunden sind, wie eine Bodenbedeckung des Ackers zu mindestens 80 Prozent, die seit Neuestem zwischen dem 15. November und dem 15. Januar Pflicht sind. Doch Natur, so Krautter, halte sich eben nicht an Termine.

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Erstellt:
12. Februar 2024, 06:00 Uhr

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