Staatsverschuldung

Bundesbank: „Deutschland muss zur ’Fiskaltugend’ zurückkehren“

Michael Theurer, Vorstandsmitglied der Bundesbank, warnt vor einem Ausufern der staatlichen Verschuldung – in Deutschland und weltweit. Er sieht aber auch positive Zeichen.

Michael Theurer ist im Vorstand der Bundesbank unter anderem zuständig für das Thema Finanzstabilität.

© Lichtgut/Leif Piechowski

Michael Theurer ist im Vorstand der Bundesbank unter anderem zuständig für das Thema Finanzstabilität.

Von Rainer Pörtner

Die globale Staatsverschuldung steuert laut Internationalem Währungsfonds (IWF) auf Höhen zu, wie wir sie zuletzt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Michael Theurer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, mahnt die Politik zu entschiedenen Reformen, um die Lage nicht eskalieren zu lassen.

Herr Theurer, der US-Ökonom Kenneth Rogoff warnt angesichts der starken Verschuldung vieler Staaten vor einem „Finanzkollaps“. Wie ernst ist die Lage aus Sicht der Bundesbank?

Die Lage ist zweifellos ernst. Hohe Schuldenquoten schränken den Handlungsspielraum der Staaten ein, vor allem in Krisenzeiten. Wenn die Zinsen weiter steigen oder das Wirtschaftswachstum schwächer ausfällt als erwartet, könnten die Schuldenlasten noch problematischer werden. Das birgt Risiken für die Finanzstabilität, auch in Deutschland. Ein Aspekt, der dabei oft unterschätzt wird, ist der enge Zusammenhang zwischen Staaten und Banken – der sogenannte Staaten-Banken-Nexus. Viele Banken halten große Mengen an heimischen Staatsanleihen. Gerät ein Staat in finanzielle Schwierigkeiten, kann das direkt auf die Banken durchschlagen – und umgekehrt. Diese enge Verflechtung verstärkt die Risiken für das gesamte Finanzsystem zusätzlich. In der Finanz- und Staatsschuldenkrise haben wir gesehen, dass dieser Nexus die Stabilität im gesamten Euroraum gefährden kann. Deshalb ist es so wichtig, die Entwicklung der Staatsverschuldung und ihre Auswirkungen auf das Finanzsystem genau im Blick zu behalten.

In vielen Staaten liegt die Schuldenquote bereits oberhalb von 100 Prozent. Welche Größe wäre denn gesund?

In der EU setzen Fiskalregeln, insbesondere die Maastricht-Kriterien, klare Grenzen. Sie sollen sicherstellen, dass die Staatsfinanzen langfristig tragfähig bleiben und die Stabilität des Euro nicht in Frage gestellt wird. Viele Länder liegen jedoch deutlich über diesen Grenzen. Entscheidend bleibt, dass die Schulden tragfähig und die Staaten somit in der Lage sind, nicht nur ihre Verbindlichkeiten zu bedienen, sondern auch Raum haben, um ihre originären Aufgaben zu erfüllen. Und wir müssen ja auch daran denken, dass fiskalische Puffer vorhanden sind, um in Krisenzeiten genügend Spielraum zu haben.

Ist es vorstellbar, dass Staaten in Kürze an den Rand des Bankrotts kommen – so wie Griechenland vor einigen Jahren?

Das Risiko sollte man nicht ignorieren, vor allem hoch verschuldete Länder, sollten sich im eigenen Interesse auf einen Pfad verpflichten, der die Schulden auf ein tragfähiges Niveau zurückführt. Die europäischen Fiskalregeln setzen klare Grenzen für Schulden- und Defizitquoten, um die Stabilität des Euroraums zu sichern. Die Einhaltung dieser Regeln ist essenziell, um die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen und die Finanzstabilität zu gewährleisten. Allerdings gibt es in Europa Mechanismen, um Krisen abzufedern, was das Risiko eines plötzlichen Staatsbankrotts verringert.

Auch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, die USA, treibt ihre Verschuldung auf Rekordwerte. Verbirgt sich hier die größte Gefahr für die globale Finanzstabilität?

Ich sehe das einerseits durchaus mit Sorge. Andererseits zeichnen sich die USA aber nach wie vor – insbesondere im Vergleich zu Europa – durch hohe Wachstumsraten und große Innovationskraft aus.

Neben der „Schuldenblase“ bildet sich in den USA gerade eine „KI-Blase“: die Börsenkurse der Firmen, die führend bei der Künstlichen Intelligenz sind, gehen durch die Decke. Was wird passieren, wenn eine dieser Blasen platzt?

Es wird derzeit viel über eine mögliche „KI-Blase“ diskutiert, da die Börsenkurse von Unternehmen, die bei Künstlicher Intelligenz führend sind, stark gestiegen sind. Ob es sich tatsächlich um eine Blase handelt, ist jedoch unklar. Die Anleger sind sehr optimistisch und erwarten, dass die Gewinne der großen KI-Firmen weiter kräftig steigen. Bei so hohen Erwartungen kann es aber schnell auch mal herbe Enttäuschungen geben. Da die Bewertungen der KI-Aktien sehr hoch sind, können die Kurse auch stark wieder fallen. Einerseits kommt dabei verschärfend hinzu, dass die Marktwerte der größten sieben US-Technologieaktien einen ungewöhnlich hohen Anteil ausmachen: Sie kommen mittlerweile auf mehr als ein Drittel des gesamten Marktwertes aller Unternehmen im Index der 500 größten börsennotierten US-Unternehmen. Andererseits machen im Unterschied zur Dotcom-Blase viele, wenn auch nicht alle großen KI-Firmen hohe Gewinne. Das dürfte eine mögliche Korrektur an den Märkten etwas bremsen.

Welche Ansteckungsgefahren könnten sich aus einer Marktkorrektur für die Europäer ergeben?

Im Finanzstabilitätsbericht warnen wir vor erheblichem Rückschlagspotenzial. Wir analysieren die möglichen Auswirkungen einer Korrektur an den Finanzmärkten sehr genau. Einen Einfluss hat zum Beispiel, ob die Folgen eines Kurseinbruchs weitgehend auf Märkte und Marktteilnehmer beschränkt bleiben oder ein Stück weit auch das internationale Wirtschaftswachstum beeinträchtigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir in Europa sehr gut vorbereitet sind. Nach der Finanzkrise 2008 haben wir die Regeln für Banken und andere Finanzinstitute verschärft. Zum Beispiel haben sich deutsche Banken während der Anspannungen um US-Regionalbanken und die Credit Suisse als sehr widerstandsfähig erwiesen.

Wenn Sie nach Europa schauen: Ist hier Frankreich das größte Sorgenkind?

Zu einzelnen Nachbarländern äußere ich mich nicht. Es ist jedoch unbestreitbar, dass die hohe Verschuldung einzelner europäischer Staaten die Finanzstabilität gefährden kann. Entscheidend ist, dass alle Staaten ihre Schulden tragfähig halten und ihre Fiskalpolitik anpassen, wenn nötig.

Viele Jahre war Deutschland in Europa einer der fiskalischen Musterknaben. Das ist mit dem Lockern der Schuldenbremse und vielen Sondervermögen vorbei. Welche Folgen hat das für die Stabilität der europäischen Währungsunion?

Die Lockerung der Schuldenbremse weitet die Verschuldungsspielräume aus und wird zu einer höheren Schuldenquote in Deutschland führen. Kurzfristig ist das verkraftbar, wir haben einen gewissen fiskalischen Spielraum. Doch mittel- bis langfristig sind Anpassungen in der Fiskalpolitik nötig, um die Schuldentragfähigkeit zu sichern. Deutschland ist als wirtschaftlich bedeutender, kreditwürdiger Mitgliedstaat in besonderer Verantwortung als Vorbild und Stabilitätsanker der Währungsunion. Um die Stabilität der Währungsunion zu gewährleisten, muss Deutschland zur „Fiskaltugend“ zurückkehren. Die Bundesbank plädiert dafür, die von der Koalition angestrebte Reform der Schuldenbremse in diesem Sinne vorzunehmen und hat dazu aktuell einen Diskussionsbeitrag vorgelegt.

Viele Staaten erklären, dass sie in wenigen Jahren wieder zurück auf einem soliden Finanzpfad sein werden. Sie setzen aber für ihre Prognosen jeweils recht üppige Wachstumsraten ihrer Wirtschaft voraus. Wie glaubwürdig sind diese Zusagen?

Es ist wichtig, dass die Staaten realistische Annahmen treffen und ihre Fiskalpolitik entsprechend anpassen. Sollten die optimistischen Prognosen nicht eintreten, könnten die Schuldenquoten tatsächlich höher ausfallen als geplant. Darauf hat zuletzt ja auch der IWF hingewiesen.

Was müssten die Staaten vordringlich tun, um die hohe Verschuldung zurückzudrehen?

Die Staaten sollten ihre Haushalte konsolidieren, also Ausgaben senken und Einnahmen steigern. Gleichzeitig ist es wichtig, übermäßige Regulierungen abzubauen und in wachstumsfördernde Maßnahmen zu investieren, um die Wirtschaft langfristig zu stärken. Eine kluge Balance zwischen Konsolidierung und wachstumsfördernden Ausgaben ist entscheidend. Zudem müssen die europäischen Fiskalregeln konsequent eingehalten werden, um Schulden tragfähig zu halten und die Stabilität im Euroraum zu sichern.

Das heißt übersetzt: Es braucht harte Sparprogramme?

Nicht unbedingt. Es geht auch darum, die Ausgaben effizienter zu gestalten und gezielt in Bereiche zu investieren, die Wachstum fördern. Sparprogramme können helfen, aber sie sollten das Wachstum möglichst wenig beeinträchtigen. Eine nachhaltige Fiskalpolitik erfordert eine ausgewogene Strategie in Kombination mit gezielten Strukturreformen.

Politiker wird Banker

BundesbankMichael Theurer, geboren 1967 in Tübingen, ist seit September 2024 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Er ist zuständig für die Bereiche Banken, Finanzaufsicht und Finanzstabilität.

Politik Vor seinem Wechsel in die Bundesbank war Theurer in vielerlei Funktionen als FDP-Politiker aktiv. Zuletzt hatte er den baden-württembergischen FDP-Landesverband angeführt und war Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr. 

Zum Artikel

Erstellt:
20. November 2025, 12:02 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen