Haushalt 2026
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil bittet zum Tanz auf der Titanic
Der Haushalt der Bundesregierung ist weniger ein stabiles Zahlenwerk als eine Wette auf einen günstigen Konjunkturverlauf, meint unser Berliner Korrespondent Norbert Wallet.

© Michael Kappeler/dpa
In gewisser Schieflage ist der Etat, den Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gestern im Kabinett präsentierte.
Von Norbert Wallet
Mit der realitätsverweigernden Ruhe des Dirigenten der Tanzkapelle auf der Titanic präsentiert Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) seinen Haushaltsentwurf für das Jahr 2026. Und während unter Deck das eindringende Wasser schon seine Verwüstungen anrichtet, preist der oberste Taktgeber der Finanzpolitik seinen Etat in unangebrachter Fröhlichkeit als „Meilenstein“.
Vielleicht ist er das in gewisser Weise sogar. Klingbeil wird bis zum Ende der Wahlperiode so viele Schulden aufnehmen wie alle Bundesfinanzminister vor ihm. Und trotz der beträchtlichen Ausweitung der Schuldenlast, klafft in dieser Vorplanung bis 2029 noch immer eine atemberaubende Finanzierungslücke von 172 Milliarden Euro.
Der Wirtschaftsbooster ist ein mildes Lüftchen
Das zeigt, dass der große Schritt, von dem Klingbeil spricht, einem Aufstampfen im Treibsand gleichkommt. So etwas geht selten gut. Tatsächlich ist dieser Haushalt weniger auf belastbaren Kalkulationen als auf dem schlichten Prinzip Hoffnung gebaut. Hoffnung, auf einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung, der dringend benötigte Einnahmen verschaffen soll. Ein solcher Aufschwung aber ist von vielen Faktoren abhängig, die der Minister gar nicht beeinflussen kann – allen voran die Entwicklung der weltweiten Krisenherde und die Stimmungsschwankungen des amerikanischen Präsidenten.
Und man kann auch nicht sagen, dass die Bundesregierung – denn dieser Haushalt ist ja mindestens genau so der Haushalt des Bundeskanzlers, der ihn letztlich zu verantworten hat – wenigstens das tut, was in ihrer Macht stünde, um den Aufschwung herbeizuzwingen. Was da unter dem wuchtigen Markenzeichen „Wirtschaftsbooster“ daherkommt, ist tatsächlich ein ziemlich ziemlich mildes Lüftchen. Mit 18,3 Milliarden Euro verteilt auf fünf Jahre, lassen sich Konjunkturverläufe jedenfalls kaum beeinflussen.
Die Zeitbombe der Krankenversicherung
Das zeigt schon, welche Unwägbarkeiten in diesem Zahlenwerk stecken. Dabei geraten die größten Risiken noch gar nicht in den Blick. Es ist ziemlich erschütternd zu sehen, mit welcher Dickfelligkeit die Koalitionäre sich einfach die Ohren zuhalten, um das immer lauter werdende Ticken einer Zeitbombe nicht hören zu müssen. Es geht um die lamentable Lage der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Es ist das alte Lied. Hier ein Darlehen, dort ein kleiner Notstopfen. Nicht einmal längst überfällige, für alle Experten auf der Hand liegenden Sofortmaßnahmen wurden getroffen: Erneut verbleiben Kosten für die Bürgergeldbezieher bei der GKV, für die sie eigentlich nicht zuständig ist. Und weiterhin werden aus der Pflegeversicherung die Rentenbeiträge für die pflegenden Angehörigen bezahlt. Und der mehrfach versprochene, ja zugesagte Ausgleich für die Pandemiekosten lässt auch weiterhin auf sich warten.
Noch gibt es in der Koalition zwischen Union und SPD kleinere Scharmützel auf den Nebenkriegsschauplätzen Richterwahl und Abtreibung. Ernste Themen, zweifellos. Aber verglichen zum Grundsatzkonflikt über die Alternative „Mehr Eigenleistung oder mehr Solidarfinanzierung“ sind das alles unschuldige Sandkastenspiele. Das ist der eigentliche Hintergrund für das Verschieben von längst notwendigen Klärungen.
Zu diesem latenten Innendruck in der Koalition gesellt sich ein nicht weniger unangenehmer Druck von außen, der sich langsam aufbaut. Die Steigerungen beim Rüstungsetats sind enorm. Sie sind begründbar. Aber wenn bei den Bürgern der Eindruck entsteht, dass es bei der Finanzierung sozial ungerecht zugeht, wird die Koalition unbeherrschbaren Spannungen ausgesetzt. Eine gerechte Steuerpolitik ist auch Sicherheitspolitik.