Bundesverdienstkreuz für den langen Einsatz

Hans-Peter Müller hat viele Jahre lang Freizeiten für Kinder aus der Region Tschernobyl organisiert. Dafür bekam er vom Bundespräsidenten einen Verdienstorden verliehen. Der 73-Jährige engagiert sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich.

Hans-Peter Müller zeigt das Bundesverdienstkreuz, das ihm verliehen worden ist. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Hans-Peter Müller zeigt das Bundesverdienstkreuz, das ihm verliehen worden ist. Foto: A. Becher

Von Annette Hohnerlein

Burgstetten. Es scheint Hans-Peter Müller ein bisschen peinlich zu sein, dass so viel Aufhebens um ihn gemacht wird. Aber sein Engagement in verschiedenen Ehrenämtern erstreckt sich über Jahrzehnte und ist beispielhaft. So ist der heute 73-Jährige bereits seit dem Jahr 1985 im Vorstand der Naturfreunde Backnang aktiv und kümmert sich um das vereinseigene Haus in Sechselberg. Dieses diente Schulklassen, Vereinen und privaten Gruppen als Freizeitheim. Und dort fanden auch 26 Jahre lang Erholungsaufenthalte für Kinder aus Belarus statt, die Müller organisierte. Darunter waren viele Kinder, die durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 schwer geschädigt worden sind, außerdem Kinder aus finanziell schwachen Familien.

Zwischen 1994 und 2019 verbrachten immer im August 20 Kinder aus der belarussischen Stadt Buda-Koschelowa drei Wochen im Naturfreundehaus in Sechselberg. „Die Kinder waren sehr zart und geschwächt“, berichtet Hans-Peter Müller. Die radioaktive Strahlung habe ihr Immunsystem geschädigt, einige litten unter Augenerkrankungen, manche hätten auch Schilddrüsenkrebs bekommen, sagt er. Einige der kleinen Gäste von damals seien inzwischen verstorben.

Die Strahlenbelastung ging durch die Deutschland-Urlaube zurück

Die Kleinstadt Buda-Koschelowa, aus der die Kinder kamen, liegt in der Nähe der Grenze zur Ukraine, in einer der am stärksten verstrahlten Zonen. Messungen der Cäsiumwerte vor und nach dem Aufenthalt in Sechselberg zeigten, dass die Strahlenbelastung der Kinder in dieser Zeit deutlich zurückgegangen war. „Ich war zweimal dort“, erzählt Hans-Peter Müller, „und die Eltern haben mir bestätigt, dass ihre Kinder nach dem Aufenthalt bei uns stabiler waren und ein besseres Immunsystem hatten.“

Er und seine Vereinskolleginnen und -kollegen haben, unterstützt von vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, ein abwechslungsreiches Programm für die Jungen und Mädchen zwischen acht und zwölf Jahren zusammengestellt. Ausflüge in die Wilhelma und zum Schwaben-Park standen jedes Jahr auf dem Programm, außerdem wurden der Stuttgarter Fernsehturm, die Hörschbachwasserfälle und das Naturkundemuseum in Murrhardt besucht. Müllers Ehefrau, Elke Lang-Müller, veranstaltete stets Malkurse für die Kinder, es wurde gebastelt, gewandert und gefeiert. Außerdem lud die Stadt Backnang jedes Jahr zu einem Empfang für die jungen Besucher. „Aber wir mussten aufpassen, dass wir die Kinder nicht überfordern“, erklärt Hans-Peter Müller. „Nach einem Ausflug musste am Tag darauf ein Ruhetag eingelegt werden, weil sie gesundheitlich nicht so stabil waren.“

Ohne Ehrenamtliche wären die Freizeiten nicht zu stemmen gewesen

Unterstützung erhielt der Verein durch die Naturfreunde Uhingen und Untertürkheim. Denn die Freizeiten wären ohne die Hilfe von zahlreichen Ehrenamtlichen nicht zu stemmen gewesen. Im Lauf der Jahre belief sich die Zahl der Helferinnen und Helfer auf rund 100 Personen, darunter zum Beispiel auch eine 85-jährige Frau, die in der Küche mitarbeitete.

Von Anfang an hat Hans-Peter Müller diese Freizeiten organisiert. Er hat sich unter anderem um die Visa für die Kinder, ihre Begleiterinnen und Begleiter gekümmert und Spendengelder aufgetrieben – ein enormer Aufwand. In der Zeit, als er noch in seinem Beruf als Informatiker tätig war, hat Müller immer anderthalb Wochen seines Urlaubs dafür verwendet, als Betreuer mitzuhelfen. Im Lauf der Jahre erhielten so insgesamt 520 belarussische Kinder die Möglichkeit, eine unbeschwerte Zeit in Sechselberg zu erleben und sich von dem teilweise problematischen Alltag in ihrer Heimat zu erholen.

Für sein Engagement erhielt Hans-Peter Müller im Juni das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Die Auszeichnung wurde ihm im Juni des vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung in Rottweil durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht.

Seit 2020 finden keine Freizeiten für die Kinder aus der Region Tschernobyl mehr statt

In seiner Würdigung erwähnte der Bundespräsident neben Müllers Einsatz bei den Naturfreunden Backnang auch sein langjähriges Mitwirken in der Friedensinitiative Backnang, die unter anderem die Verlegung der sogenannten Stolpersteine angeregt hatte, die an die Opfer des Nationalsozialismus in der Stadt erinnern. Beim Empfang nach der Ordensverleihung hatte Müller Gelegenheit, mit Steinmeier einmal unter vier Augen zu sprechen. „Ich habe ihn als sehr sympathisch und aufgeschlossen erlebt“, berichtet er.

Seit 2020 finden keine Freizeiten für die Kinder aus der Region Tschernobyl mehr statt. Der Verein der Naturfreunde sah sich personell irgendwann nicht mehr in der Lage, diesen Kraftakt zu schultern. Allerdings wird die belarussische Initiative „Den Kindern von Tschernobyl“ weiterhin mit Spenden unterstützt.

Auch Hans-Peter Müller ist weiterhin in seinen Ehrenämtern aktiv. Als Ruheständler findet er aber auch Zeit, um seinen Hobbys nachzugehen. Mit viel Freude hält er seinen Garten in Schuss und geht mit seiner Frau zum Wandern.

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Erstellt:
2. Januar 2023, 06:00 Uhr

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