Bunt, laut und kämpferisch: Rekord-CSD warnt vor Rückschritt

Stuttgart trotzt dem Regen und dem Rechtsruck: Hunderttausende beteiligen sich am größten CSD aller Zeiten in Stuttgart – vergnügt und entschlossen. VfB-Chef Alex Wehrle fordert: „Wir müssen laut bleiben!“

Von Uwe Bogen

Stuttgart - Erst Sonne, dann Regen, dann Sonne – das Wetter passt am Samstagnachmittag zum CSD: Ohne Regen kein Regenbogen. Und die Menschen strömen, ganz egal, bei welchem Wetter.

Auf eine Zahl der Teilnehmenden wollen sich weder die Polizei noch die Veranstalter festlegen. „Es sind mehrere Hunderttausend“, heißt es auf beiden Seiten. Viele sind sich einig: Es waren mehr als vor einem Jahr. „Alles verlief friedlich“, sagt Polizeisprecherin Kara Starke. Am Sonntag lautet das Fazit der Polizei nach der langen Nacht ebenfalls: keine Vorkommnisse. Gegendemonstrationen gibt es keine. Mit 161 Formationen ist es nicht nur der größte CSD aller Zeiten in Stuttgart, sondern auch der friedlichste.

Zehntausende säumen die Straßen zwischen Feuersee und Planie, jubeln, tanzen und entsenden ein Zeichen für Vielfalt, Menschenrecht und Sichtbarkeit. „Nie wieder still“, lautet das Motto des von einem jungen Team organisierten Christopher Street Days. Nach dem Generationswechsel an der Spitze des Pride-Vereins ist die Stimmung trotz der politischen Ernsthaftigkeit ausgelassen. Zwischen Forderungen und Flaggen sieht man Schrilles, viel Glitzer, viel „Drama, Baby“ (auch Bruce Darnell ist dabei), aber auch noch mehr „Normalos“. Eindrucksvoll wird der Regenbogen in all seinen Facetten gefeiert: am Straßenrand, auf den Trucks, auf T-Shirts, an Halsketten, sogar an Schnürsenkeln – und in den Herzen!

Wohin man schaut – überall Hochstimmung, Lebenslust, Leichtigkeit. Der Platzregen vertreibt die gute Laune nicht. Eine riesige Regenbogenfahne wird als Regenschutz verwendet. „Turbo für Toleranz“, steht bei der Porsche-Formation. Dass die CDU nicht dabei ist, hält Comedian Michael Gaedt für einen schlechten Witz. „Die haben den Schuss nicht gehört“, sagt er, „nie war der CSD so wertvoll und wichtig wie heute.“

Angesichts des Rechtsrucks und angesichts der Zunahme von queerfeindlicher Gewalt, hört man immer wieder, sei es noch wichtiger geworden, Haltung zu zeigen. Solidarität wird von 161 Formationen aus Kirchen, Politik (mit Ausnahme von AfD und CDU), Show, Sport, Gastronomie und Big Playern wie Mercedes, Bosch, Porsche, SSB, Vodafone, Bosch, Breuninger, Boss, Outletcity Metzingen, dem Dehoga und dem Stuttgarter Pressehaus als gesellschaftlicher Auftrag verstanden. Die Mehrheit der Stadtgesellschaft zieht hier an einem Strang.

„Solange es im Fußball – und in der gesamten Gesellschaft – noch Homophobie gibt, positionieren wir uns als größter Sportverein Baden-Württembergs klar und laut dagegen“, sagt VfB-Chef Alexander Wehrle, der Schirmherr des CSD 2025, und dankt allen Ehrenamtlichen der Pride-Organisation: „Ihr Einsatz ist ein Schutzwall gegen Hass und Rückschritt.“ Das Miteinander stehe heute unter wachsendem Druck. „Nicht nur in Ungarn oder den USA, sondern auch bei uns in Deutschland“, so Wehrle. Sein Appell: „Wir alle müssen laut bleiben. Wegducken darf keine Option sein – nicht für unsere Community, nicht für die Politik, nicht für die Gesellschaft.“ Als kämpferischer Redner bei der Kundgebung ruft Wehrle über den Schlossplatz: „Der CSD ist keine Party, sondern ein Auftrag an die Zukunft.“ Der „Sound der Vergangenheit“ erklinge wieder, doch dagegen müsse man sich zur Wehr setzen.

Betina Starzmann vom CSD-Verein betont in ihrer Rede, man müsse denjenigen eine Stimme geben, die nicht „Mainstream“ seien und Angst hätten, vor allem Trans-Personen, Frauen und Migranten. Scharfe Kritik wird auf der Bühne am „Rechtsruck der CDU“ geübt, die nicht dabei ist. Flagge dagegen zeigen zwei CDU-Promis: OB Frank Nopper und Erster Bürgermeister Fabian Mayer fahren beim VfB mit. Clublegende Laura Halding-Hoppenheit, die schon bei den CSD-Vorgängern in den 80ern demonstriert hat, sagt: „Das war der beste CSD aller Zeiten!“

Gefeiert wird quer durch die City. Im Club Comodo ist das komplette Kader des RB Leipzig überraschend aufgetaucht – vom Trainingslager aus Donaueschingen.

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Erstellt:
27. Juli 2025, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
28. Juli 2025, 21:59 Uhr

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