Das Auge isst im Dunkeln nicht mit

Das Kriminal-Dinner präsentiert Premiere von „Dark Dinner“ in Sulzbach an der Murr – Gäste sind begeistert

Schaffen Sie es, zu erraten, was sich auf Ihrem Teller befindet, ohne dass Sie Ihr Essen sehen können? – Die Geschmacksnerven wurden beim ersten „Dark Dinner“ in Sulzbach an der Murr auf die Probe gestellt. Bei diesem besonderen Abendessen im Dunkeln des Sulzbacher Hofs mussten sich die Gäste intensiv auf ihre Geschmacksknospen konzentrieren.

Die Servicekraft Laura Sánchez Martínez (rechts) führt die Gäste Elke und Thomas Rauh aus Bad Wimpfen sowie Matthias und Tanja Müller aus Backnang (von links) an ihren Tisch im stockdunklen Raum. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Servicekraft Laura Sánchez Martínez (rechts) führt die Gäste Elke und Thomas Rauh aus Bad Wimpfen sowie Matthias und Tanja Müller aus Backnang (von links) an ihren Tisch im stockdunklen Raum. Foto: T. Sellmaier

Von Ute Gruber

SULZBACH AN DER MURR. Einladung zum Dinner – Die wichtigste Frage für uns als Frau: Was zieh ich an? Dinner im Dunkeln – das kleine Schwarze? Obwohl: die Optik ist in diesem Fall ja zweitrangig. Diese wird erst wieder interessant, wenn man die Dunkelkammer verlässt, denn dann wird auf der Kleidung ersichtlich, was es zu essen gab – Spaß beiseite. Was an diesem Abend ein Spiel ist, ist für viele Menschen harte Realität: Sie müssen sich in ihrer Umwelt ohne das wichtigste Sinnesorgan zurechtfinden: das Auge. Für drei Stunden taucht man ab in die Welt der Blinden.

Vor dem komplett abgedunkelten Nebenzimmer des Sulzbacher Hofs ist eine Art Pavillon aus nachtschwarzem Molton aufgebaut. Hier gibt es von den beiden Mitarbeiterinnen des Veranstalters Engesser Marketing aus Weil der Stadt die obligatorischen, letzten Sicherheitshinweise: „Bitte bewegen Sie sich nicht eigenmächtig im Dunkelraum“, bittet Ha Thanh Trinh, „wenn Sie etwas brauchen oder auf die Toilette müssen, heben Sie einfach die Hand.“ Auch die kleine PR-Frau mit asiatischen Wurzeln und ihre Kollegin Laura Sánchez Martínez sind gespannt, denn das heutige Dark Dinner ist für die deutschlandweit agierende Firma aus dem Heckengäu Premiere. „Mit unseren Kriminal-Dinnern sind wir inzwischen ja sogar schon in Österreich und der Schweiz vertreten.“

Auch für die Servicekräfte ist das Ganze neu, sie müssen mit den Nachtsichtgeräten der US-Army klarkommen, die sie wie Ferngläser vor den Augen tragen – ein skurriler Anblick in Kombination mit dem eleganten Dirndl. Mit dabei: Juniorchefin Vanessa Heps, die sich für ihre Gäste auf dieses Abenteuer eingelassen hat. Die Gäste sind gespannt, was sie erwartet.

Grüppchenweise berührt man die Schultern des Vordermanns und bildet eine Polonaise. Laura Sánchez mit Helm und Nachtsichtgerät voraus, schlängelt sich der Lindwurm durch ein Labyrinth aus schwarzem Tuch. „Dei Brill kannsch jetz wegschmeiße“, witzelt ein älterer Gast. Dann wird jeder an seinen Platz geleitet.

Irrlichter sind das Nachtsichtgerät der Bedienung

Kein Candle Light – einfach Nacht. Stockfinster. Die weit aufgerissenen Augen starren in samtiges Schwarz, genauso gut könnte man sie auch zumachen. Jetzt wandern fluoreszierende, grüne Lichtpunkte wie Glühwürmchen durch den Raum – die Irrlichter sind das Nachtsichtgerät der Bedienung: „Ich erkläre Ihnen jetzt, was Sie vor sich haben“, spricht eine freundliche Frauenstimme hinter der rechten Schulter. „Rechts zwei Messer, links zwei Gabeln. Auf zwölf Uhr Dessertlöffel und -gabel. In der Mitte die Serviette.“ Die wird sicherheitshalber als Kleiderschutz auf den Schoß gelegt. Drei Gänge also.

Man sieht die Hand nicht vor Augen. Geschweige denn Messer und Gabel. Munter aufgekratztes Geplauder an den Tischen. Die Ohren orten erstaunlich genau die Richtung und Entfernung der Stimmen am Nebentisch.

Von gegenüber ist ein eher konzentriertes Schweigen zu vernehmen. „Dzaneta, bist du noch da?“ – „Ja. Ich erkunde meinen Platz“, erklärt es aus Richtung des Dessertbestecks, „es gibt keine Tischdecke.“ Wozu auch. Der Tisch hat eine glatte Oberfläche, mit Struktur. Kein Holz jedenfalls. „Oh, hier gibt es eine Kerze“, stellt eine fröhliche Männerstimme schräg gegenüber fest.

Es wird ein Weizenbier im 0,3-Liter-Glas serviert – zum Selbereinschenken. Flasche am Glas aufsetzen. Aber wann ist das voll?! Einen Finger reinhängen, bis er nass wird, lautet der Blindentrick.

Die Vorspeise kommt, es riecht nach gekochter Paprika. Die Gabel sticht zu, findet aber Blattsalat. Rucola genau genommen, Ackersalat und noch etwas Sperriges. Zwangsläufig nimmt man eine vorgebeugte Haltung ein, um den Weg vom Teller zum Mund zu verkürzen. Nach dem endlosen Kampf mit den Salatblättern hängen gebratene Gemüsescheiben an der Gabel. Es wird geraten: Karotte, Rote Beete, der Paprika und etwas Undefinierbares. Dann gibt die Wirtin die Auflösung: Mediterranes Gemüse an Blattsalat. Auch der Hauptgang erscheint einem als riesige Portion: duftende Schweinelendchen – schwierig, die mundgerechte Portion abzuschneiden, Kartoffelschnitze okay, das Ratatouille scheint auf dem ganzen Teller verteilt worden zu sein. Eine Frau stellt fest: „Mit dem Messer zusammen findet man das einfacher.“

Bis zum Dessert sind die Gäste zu Experten avanciert: Die Herausforderung, neben der Mousse au Chocolat die acht verschiedenen Früchte zu identifizieren, meistert man mit Bravour. „War da au ä Blaubeere dabei? Ha, seh’n dr!“, triumphiert hörbar schwäbisch ein Gast. Die Tischgenossin bestellt mutig einen Espresso: „Oh nein, mit Zuckerstreuer! Haben die keine Sticks?“

Dann wird eine Kerze angezündet und die Gäste blinzeln sich zurück in eine Welt mit Optik und dem Fazit: Der Schaden hat sich in Grenzen gehalten – das Erlebnis genial. „Nächstes Mal für Fortgeschrittene“, schlägt ein großer Blonder vor, „mit Flädlessuppe und Stäbchen.“

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Erstellt:
26. Februar 2019, 06:00 Uhr

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