München
Das Drama um die Eisbach-Welle
Mit einer Rampe haben Surfer die Attraktion über Weihnachten flott gemacht, doch die Stadt hat den Einbau prompt wieder herausgerissen. Wie geht es nun weiter?
© dpa/Peter Kneffel
Noch am 2. Weihnachtstag wurde – illegal, wie es von der Verwaltung heißt – auf der provisorischen Welle gesurft.
Von Patrick Guyton
Für die Münchner Surf-Fans muss es das schönste Weihnachtsgeschenk gewesen sein. Wer am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags zur Eisbachwelle am Englischen Garten kam, stellte fest: Das Wasser sprudelt wieder richtig, man kann wieder surfen. In der Nacht von Heiligabend hatten Aktivisten eine Rampe ins Bachbett eingebaut und ein Transparent auf die Brücke gehängt: „Just watch. Merry X-Mas“ – schau nur zu, fröhliche Weihnachten.
Die Freude währte nur drei Tage, am Sonntagmorgen rückte die Feuerwehr an, die Polizei war auch dabei. Die Konstruktion wurde wieder herausgerissen, im Eisbach strömt nun wieder die Gischt, das „Weißwasser“, wie es in der Fachsprache heißt, auf dem niemand mit dem Brett reiten kann. Denn die Einbauten seien, so teilt es das Münchner Klima- und Umweltreferat mit, „illegal und potenziell gefährlich, wenn nicht lebensgefährlich“. Es habe „Gefahr im Verzug“ bestanden, deshalb musste rasch gehandelt werden, Weihnachtsfreude hin oder her. Den tödlichen Unfall einer Surferin im April dieses Jahres haben alle noch im Gedächtnis.
Die städtischen Mitarbeiter hatten zu gründlich gereinigt
Es beginnt nun ein neuer Akt im Drama um die verschwundene Welle, das nicht nur die Bayern-Metropole in hohem Maß aufrüttelt, sondern die halbe Welt. Kann das selbstbewusste München, kann das kraftstrotzende Bayern alles – aber keine ordentliche Surferwelle wieder auftürmen?
Im Herbst hatte das Unheil seinen Anfang genommen mit der Reinigung des Gewässers, wie man es Jahr für Jahr macht – der Bachauskehr. Als das dafür rückgestaute Wasser wieder laufen gelassen wurde, stellte man Ende Oktober fest: Die Welle ist weg. Als Ursache wurde recht schnell ein übergroßer Putzeifer ausgemacht. Die städtischen Mitarbeiter hatten zu gründlich gereinigt und für den Wellenaufbau wichtigen Kiesel, Sediment, Ablagerungen weggeschrubbt. Was auch dazu geführt hat, dass das Bachbett nun einige Zentimeter tiefer liegt – sehr schlecht für die Welle.
„Berühmteste Flusswelle der ganzen Welt“
Mittlerweile ist die Lage äußerst verhärtet. Auf der einen Seite stehen die Surfer, aber auch die vielen Besucher, die früher Tag für Tag an den Ort kamen, um den kunstvollen Wellenreitern zuzuschauen. Es gibt die Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) sowie den Surf Club. Über die Demontage der Rampe sagt Maximilian Malsy-Mink vom Surf Club: Das zeige, „dass Kontrolle und Bürokratie wichtiger sind als Eigeninitiative“. Den Behörden sei der Blick auf die Bürger „völlig verloren gegangen“. Malsy-Mink ist 49 Jahre alt, leidenschaftlicher Surfer und hat einen Job in der Versicherungswirtschaft.
Tatsächlich ist die laut IGSM „wohl berühmteste Flusswelle der ganzen Welt“ immens wichtig für die Stadt. Seit mehr als 40 Jahren strahlt sie ein lässig-lockeres Münchner Lebensgefühl aus.
Ein bisschen Anarchie in der City, fanden sich doch immer Surfer dort – am Tag und in der Nacht, im Sommer und im Winter. Die Welle ist ein Anziehungspunkt für die Einheimischen und die Touristen.
Auf der anderen Seite steht, so erscheint es zumindest, die Münchner Bürokratie. Die Surfvereine verhandelten mit der Stadt und stellten einen Antrag, die Welle provisorisch wieder herzustellen – auf 48 Seiten. Das reichte dem Umweltreferat nicht, es berief sich auf die bayerische Bauordnung und verlangte unter anderem eine „Bescheinigung der Standsicherheit für die Ein- und Weiterleitung der Lasten und Kräfte aus der Versuchskonstruktion in das Brückenbauwerk“. Völlig entnervt gaben die Vereine vorerst auf.
„Ein nicht überlegtes Handeln der Verwaltung“
Anfang Dezember ist der „Vater der Eisbachwelle“ wieder aufgetaucht. Walter Strasser, 67 Jahre alt, hatte sich Jahrzehnte um sie gekümmert. Dann wanderte er nach Sardinien aus und wurde sogar für tot gehalten. Bei einem Besuch in München meinte der einst als „Hausmeister“ titulierte Mann, er würde die Welle schon flott kriegen, innerhalb einer Woche. Dafür brauche er ein paar Leute und etwas Material. Doch die Stadt hat, so sagte es Strasser, auf sein schriftliches Angebot nicht reagiert. An Strassers früherer Arbeit ist auch zu sehen, dass die Welle nie ein von der Natur geschaffenes Wunder war. Vielmehr wurde an ihr immer – eher heimlich – getüftelt. Viele Menschen und Institutionen sind mit der Welle befasst: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), das Klima- und das Baureferat, das Wasserwirtschaftsamt und Stadtwerke. Als Experten wurden die Konstruktions- und Wasserbau-Professoren Robert Meier-Staude (München) und Mario Oertel (Hamburg) hinzugezogen, sie gelten als Wellen-Gurus. In einem Gremium müssen sie weiterhin gemeinsam mit den Surf-Vertretern diskutieren und vor allem die Frage beantworten: Was nun tun?
Der OB weilt derzeit im Weihnachtsurlaub, er wird von Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) vertreten. Dass die neue Rampe auf Weisung des Baureferats wieder brachial rausgerissen wurde, kritisiert Dietl deutlich in einem Statement: „Dass es nun zu so einer unbefriedigenden Situation gekommen ist, ist für mich unverständlich und sehe ich auch als ein nicht überlegtes Handeln der Verwaltung.“
