Das ganze Leben ist ein Spiel

Ein Blick hinter die Fassade von Boris Becker

Boris Becker kann gar nicht anders, als ständig Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das hat schon seine Faszination als Tennisspieler ausgemacht. Auch heute fasziniert er viele. Wie tickt er wirklich?

London Es ist schon eine kleine Ewigkeit her, dassBoris Beckeran einem schönen Frühlingsabend in Monte Carlo eine leicht kuriose Bilanz der Scheidungsschlacht mit seiner ersten Frau Barbara zog. Becker stand damals mit dem früheren Tennis-Bundestrainer Klaus Hofsäss im Hotel de Paris zusammen, es ging um die dauernden Schlagzeilen in der Öffentlichkeit. Aber Becker schien nicht wirklich böse drum, schnell machte er seine ganz eigene Rechnung auf: „Die ‚Bild‘-Zeitung hatte mich 48-mal auf der Titelseite – sensationell, oder?“

Dann fügte er noch hinzu, nicht ohne Stolz: „Denen hab’ ich die Auflage in die Höhe geschossen.“ Als Becker weggegangen war, wirkte Hofsäss für ein paar Augenblicke ratlos, folgerte aber dann: „Er ist eben anders als der Rest der Menschheit. Vielleicht muss das auch so sein bei jemandem mit seiner Biografie“, sagte Hofsäss, „Boris ist halt immer gerne im Gespräch.“

Viele Jahre später steckt Becker gerade wieder in einer privaten Trennungsgeschichte, nun mit der zweiten GemahlinLilly Becker. An öffentlicher Anteilnahme ist auch jetzt kein Mangel. Denn Drama ist kein besonderer Zustand bei Becker. Schon gar kein Ausnahmezustand. Beckers Leben ist ein einziges Drama gewesen und geblieben. Das hat seine Faszination als Tennisspieler ausgemacht, aber in späteren Jahren, in den Jahren nach der Profikarriere, hat es auch viele Menschen genervt und überfordert.

Es ist auch jetzt, weit mehr als drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Siegs inWimbledon, enorm schwer, diesen Mann zu fassen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass er ständig auf der Flucht vor Festlegungen war, auf der Flucht davor, nur irgendwie greifbar zu sein für die Öffentlichkeit, aber auch die eigenen getreuen Parteigänger. Wer ihn über seine Zeit im Tennis und die Zeit nach dem Tennis begleitet hat, der hat so viele Beckers erlebt, dass es Schwindelgefühle hervorruft.

Derzeit ist es nicht anders. Es gibt den Becker, der in finanziellen Kalamitäten steckt und dessen Londoner Insolvenzverfahren sich quälend hinzieht, sogar ohne zeitliches Limitnach einer jüngsten gerichtlichen Verfügung. Es gibt den Becker, der sich zwischendrin in der Abwicklung dieser Schuldengeschichte auf Immunität berufen wollte, weil er angeblich über einenDiplomatenpass der Zentralafrikanischen Republikverfügte. Es gibt den Becker, dessen private Beschwernisse um die Trennung von Ehefrau Lilly ausgebreitet werden – aktuell auch vor Gericht – und der sich, wie er am Rande eines Termins in Berlin soeben kokett sagte, nun „wieder auf dem Markt“ befindet.

Aber wenn man das alles der schwierigeren Seite zuordnet, dann gibt es eben auch noch eine ganz andere, erfolgreiche Seite. Bemerkenswert ist daran nicht nur, dass es diese andere Seite etwa als Fernsehexperte oder Leitfigur beimDeutschen Tennis Bundgibt, sondern auch, wie Becker sich präsentiert, wenn er für Sponsoren und Geschäftspartner oder als Stargast auf roten Teppichen auftritt. Nämlich so, als gäbe es keine Schwierigkeiten in seinem Leben, als könnten ihm gewisse Schicksalsschläge wenig bis gar nichts anhaben.

Wüsste man nicht um Insolvenzverfahren oder Scheidungsprozess, würde man ihm nichts davon anmerken. Spielt Becker eine Rolle, spielt er den Coolen, den Abgebrühten? Ist sein Lächeln nur Fassade? Wer weiß das schon. Richtig jedenfalls ist: Becker hat schon so viele Höhen erklommen und Abstürze erlebt, dass auch eine gewisse Abstumpfung unverkennbar ist.

Oft hatte man ja das Gefühl, dass bei Becker an einem Tag so viel passiert wie bei anderen in einem Jahr. Wenn überhaupt. Allein die letzten zwei, drei Jahre: Da war er ja auch der gefeierte Cheftrainer des Weltranglisten-ErstenNovak Djokovic. Dann der einhellig gelobte Tenniserklärer beim SenderEurosport. Dann auf einmal der Mann, der in balkendicken Überschriften als „Pleitier“ aufschien, mit vermeintlich 60 Millionen Euro Miesen. Im nächsten Moment schon wieder der neue Abteilungsleiter im deutschen Herrentennis. Dann auch der Patient Becker, dessen körperliche Probleme – ob nun mit künstlichen Hüft- oder Sprunggelenken – Traurigkeit und Mitleid auslösten.

Schließlich der Familienvater Becker, der um den Erhalt seiner zweiten Ehe kämpfte und am Ende doch scheiterte. In fast all diesen Lebensumständen hat man ihn übrigens auch voriges Jahr gesehen, als zu seinem 50. Geburtstag eine höchst beachtliche Dokumentation in der ARD lief – mit dem treffenden Titel „Der Spieler“. Treffend deshalb, weil Becker so vieles in seinen mittlerweile 51 Lebensjahren als Spiel, als großes Spiel gesehen hat. Nicht seine ureigensten privaten Lebensangelegenheiten, aber fast alles drum herum.

Einen Gang runterschalten, das hatte sich Becker rund um seinen 50. Geburtstag auch vorgenommen. Auch das war letztlich eine spielerische, unernste Behauptung. Er wusste und weiß, dass es nicht möglich ist. Becker kann gar nicht anders, als Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aufmerksamkeit ist die Luft, die er atmet. Aufmerksamkeit ist seine Währung.

Die Währung des Mannes, der als 17-jähriger Teenager ins Licht der Weltöffentlichkeit geschleudert wurde und für sich irgendwann beschloss, nicht mehr aus diesem Licht zu verschwinden. Anders als seine langjährige WeggefährtinSteffi Graf, die inLas Vegasein Leben ohne Aufregungen und Aufgeregtheiten lebt, als Ehefrau und Mutter. Becker hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er ein Leben wie das von Graf nicht leben könnte: „Ich bin anders. Ich war schon immer anders als sie.“

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Erstellt:
14. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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