Neue archäologische Erkenntnisse
Das Geheimnis der 9000 Jahre alten Schamanin vom Bad Dürrenberg
Gegen Ende der Mittelsteinzeit wurde im heutigen Bad Dürrenberg eine mächtige Frau bestattet. Ihre Grabstätte gilt bis heute als eine der reichsten in der Geschichte der Archäologie in Deutschland – und birgt unzählige Geheimnisse. Nun wird der phänomenale Fund in neuem Glanz präsentiert.
© © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Karol Schauer /r
Das Grab der Schamanin von Bad Dürrenberg: Jahrtausendelang lag die Frau mit einem Kind in ihrem Arm unter der Erde. In der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle/Saale erstrahlt der Fund in neuem Glanz.
Von Markus Brauer/dpa
Das Grab der Schamanin von Bad Dürrenberg im Saalekreis ist einer der spektakulärsten Befunde der mitteleuropäischen Archäologie. In der Mittelsteinzeit, vor etwa 9000 Jahren, war hier eine 30- bis 40-jährige Frau begraben worden, ein ungefähr sechs Monate altes Kind in ihren Armen. Unter anderem zeigen ein Kopfschmuck aus Rehgeweih und Tierzahngehänge die besondere Stellung der Toten als Schamanin, als spirituelle Anführerin ihrer Gruppe, an.
Grab einer spirituellen Anführerin
Bereits im Jahr 1934 zufällig bei Kanalarbeiten kurz vor der Eröffnung des Kurparks entdeckt, musste das Grabinventar innerhalb nur eines Nachmittages geborgen werden. Seit Dezember 2019 fanden in Vorbereitung der Landesgartenschau im Kurpark von Bad Dürrenberg Ausgrabungen im Bereich der vermuteten Fundstelle des Grabes der Schamanin statt. Tatsächlich konnte die Fundstelle ausfindig gemacht werden.
Da die ursprüngliche Ausgrabung nur durch einen schmalen Graben erfolgt war, blieben Teile der mit Rötel durchsetzten Grabgrube unangetastet. Zahlreiche 1934 übersehene Funde konnten geborgen und der Grabgrubenrest von einer internationalen Forschergruppe mit neuesten naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden.
Das Grab von Bad Dürrenberg darf mittlerweile als einer der bestuntersuchten Befunde der mitteleuropäischen Archäologie gelten. Nun liegen neue Erkenntnisse zu einer Fundgruppe vor, die normalerweise in Bestattungen aufgrund ihrer Vergänglichkeit nicht zu erfassen ist: Federn.
Federrreste im Grab der Schamanin
Es wird zwar weithin angenommen, dass in Teilen der Vorgeschichte Federn eine bedeutende Rolle als Schmuck an Kleidungsstücken oder Kopfbedeckungen gespielt haben, doch ist der Nachweis schwierig. Denn unter normalen Erhaltungsbedingungen zersetzen sie sich im Boden.
Allerdings können sich winzige, gelegentlich unter 1 Millimeter messende Teile von Federn, die Bogen- und Hakenstrahlen, oder Fragmente von diesen erhalten. Die Bogen- und Hakenstrahlen sitzen an den Federästen, die seitlich vom Federkiel abgehen und sorgen durch gegenseitiges Verhaken für die Festigkeit der Feder.
Tuija Kirkinen (Universität Helsinki), eine international führende Forscherin auf diesem Gebiet, hat nun Proben aus der Bestattung von Bad Dürrenberg untersucht. Unter dem Mikroskop konnten tatsächlich Federfragmente festgestellt werden. Besonders interessant ist der Nachweis von Gänsefedern im Kopfbereich der Schamanin. Sie stammen wohl von einem Kopfschmuck. Neben dem Grab der Schamanin spielen Federn noch in einem weiteren Befund eine Rolle. Dem eigentlichen Grab vorgelagert war bei den Nachgrabungen eine Grube entdeckt worden, die zwei Geweihmasken enthielt.
Bast, Federn, Hirschgeweihe: Opfer für eine mächtige Frau?
Unmittelbar vor der Grabgrube wurde eine weitere Grube entdeckt, die wohl etwa 600 Jahre nach der Bestattung angelegt worden war. Sie wurde ebenso im Block geborgen und in den Werkstätten des Landesmuseums unter Laborbedingungen untersucht.
Dabei gelang eine überraschende Entdeckung: Die Grube enthielt zwei aus Hirschgeweihen hergestellte Masken. Offenbar war die Schamanin so bedeutend, dass man an ihrem Grab noch Jahrhunderte nach ihrem Tod wertvolle Gaben niederlegte.
Die Untersuchung auf Federn ergab in einer Probe, die direkt an einer der Masken genommen worden war, den Nachweis von Singvogelfedern aus der Familie der Sperlingsvögel, und der Hühnerartigen (Auerhuhn, Birkhuhn, Moorschneehuhn). An der zweiten Maske konnte zudem ein Rest von Bastfasern festgestellt werden. Auch hier zeigt sich somit klar, dass die Hirschgeweihe Teil aufwendiger, wohl maskenartiger Kopfschmucke waren.
Neue Erkenntnisse zu einer mächtigen steinzeitlichen Frau
„Ein groß angelegtes Forschungsprojekt hat in den letzten Jahren zahlreiche wichtige neue Erkenntnisse zu diesem Fund geliefert. Die Besucher des Museums erwarten neben neuen Funden aus dem Grab neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer mächtigen Frau, die vor 9000 Jahren für ihre Gruppe von größter Bedeutung war“, erklärt Landesarchäologe Harald Mellerr.
Neben dem aktualisierten Lebensbild der Frau gibt es vom Künstler Karol Schauer ein neu gestaltetes Panorama. Es zeigt den Blick von der Hochterrasse über der Saale, auf der ihre Bestattung lag, und führt die damalige Landschaft mit Eichenmischwäldern, Kiefern- und Ulmenbeständen sowie Haselnusssträuchern vor Augen.
Siebzehn Schubladen bieten vertiefende Informationen zur Lebenswelt der Mittelsteinzeit und der Schamanin selbst. Eine 3D-Nachbildung und eine Filmanimation erläutern Anomalien an Wirbeln und Hinterhauptloch, die bei bestimmten Bewegungen des Kopfes ein anfallartiges Rollen der Augen (Nystagmus) auslösten, was auf ihre Zeitgenossen wie ein Zeichen des Kontakts mit der Geisterwelt gewirkt haben muss.
Fingerfertigkeit der mittelsteinzeitlichen Menschen
Bei den Grabungen ab Dezember 2019 am Fundort konnten die genaue Fundstelle des Grabes lokalisiert und Reste der mit Rötel durchsetzten Grabgrube sowie weitere Fundobjekte geborgen werden.
Neufunde sind beispielsweise 14 durchbohrte fossile Gyraulus-Schneckenhäuser von nur etwa fünf Millimetern Größe. Sie könnten zu einer Kette gehört haben, ins Haar geflochten oder auf der Kleidung aufgenäht gewesen sein. Sie stammen aus dem Steinheimer Becken im heutigen Baden-Württemberg.
Damit zeugen die filigranen Objekte nicht nur von der Fingerfertigkeit der mittelsteinzeitlichen Menschen, sondern auch von erstaunlichen Fernkontakten in der Zeit vor 9000 Jahren. Neue archäogenetische Untersuchungen haben ergeben, dass die Schamanin dunkelhaarig war, helle Augen und einen dunkleren Hautton hatte.
Lebenswelt einer spirituellen Anführerin
Die Grube, die freigelegt wurde, enthielt neben einer Arbeitsplatte aus Sandstein mit deutlichen Bearbeitungsspuren sowie Arbeitsgeräten aus Quarz und Feuerstein auch die Überreste der zwei Rothirschgeweihe. Das Kind in den Armen der Schamanin ist nicht ihr Sohn, sondern lediglich ein Verwandter vierten oder fünften Grades.
