„Das ist in Pakistan so“

Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen zwei Gastronomen eingestellt – Zeuge tischt seltsame Geschichte auf

„Das ist in Pakistan so“

© BilderBox - Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Vor dem Amtsgericht haben sich ein 32-jähriger Selbstständiger und ein 28-jähriger Küchenhelfer wegen Körperverletzung zu verantworten. Beide arbeiten zusammen in der Gastronomie. Der 32-Jährige ist der Chef.

Ein Dolmetscher muss für die beiden Angeklagten übersetzen und tut das sehr souverän. Panjabi wird in Teilen Pakistans und Indiens gesprochen. Die beiden Panjabi sprechenden Angeklagten betreiben seit geraumer Zeit einen gastronomischen Lieferservice. Und wo zwei ihren bescheidenen Lebensunterhalt bestreiten können, da kann vielleicht auch noch ein Dritter unterkommen. Ein Landsmann der beiden Angeklagten aus der Umgebung muss dies in Erwägung gezogen haben. Angeblich ist er 48 Jahre alt, aber so genau kann das selbst die Richterin nicht in Erfahrung bringen, muss doch ein Zeuge nicht seinen Ausweis vorlegen.

Der Landsmann wird bei den Backnangern vorstellig. Und abgewiesen. Aber davon lässt sich dieser nicht entmutigen. Wie schon bei der ersten Anfrage wird er mit zwei Assistenten, ebenfalls Landsleute, einige Tage später erneut vorstellig. Und stellt es klüger an als beim ersten Mal. Er marschiert gleich in den Betrieb hinein, durch die Tür, die für das Personal vorgesehen ist. Und fragt nach dem Chef. Der Küchenhelfer ist von solcher Vorgehensweise gar nicht angetan und macht dem Bittsteller deutlich, dass erstens der Chef, für Einstellungen zuständig, nicht da ist und zweitens der Arbeitsuchende die falsche Tür genommen hat.

Der Bittsteller lässt sich davon nicht beirren, bleibt stehen und muss schließlich vom Küchenhelfer geradezu hinausgeschoben werden. Das heißt: War es nur ein Schieben? Der Staatsanwalt hatte in seiner Anklageschrift vorgetragen, dass mit einem Besenstiel dem Bittsteller eine verabreicht wurde, wodurch dieser eine Platzwunde davontrug. Zum anderen soll ihn dann der Küchenhelfer noch in den Schwitzkasten genommen haben.

Das ist der Punkt, an dem die Schilderungen der Beteiligten voneinander abweichen. Nach Aussage der Angeklagten ist alles von heftigem Wortwechsel begleitet gewesen, aber ohne Schläge abgegangen. Irgendwann findet sich der Bittsteller draußen vor der Tür und schimpft lautstark vor sich hin. Von wem auch immer gerufen, gesellt sich eine Streifenwagenbesatzung dazu. Die Aussagen der Beteiligten werden ausführlich aufgenommen. Nur scheinen die Vernehmungsprotokolle der Ordnungshüter darunter zu leiden, dass alles ohne Dolmetscher erfragt und festgehalten wurde. Und wie üblich konfrontiert die Richterin Angeklagte wie den als Zeugen vernommenen Bittsteller mit dem, was zum Vorfall im Februar 2019 festgehalten wurde.

Verletzung an der Hand angeblich von abgebrochenem Besenstiel

Der Bittsteller erscheint auch vor Gericht in Begleitung und macht einen verschüchterten Eindruck. Die Richterin fordert ihn dazu auf, das Vorgefallene zu berichten. Er tut das. Ja, er sei hinauskomplimentiert worden. Aber davon ließ er sich nicht abhalten. Schließlich wollte er doch den Chef sprechen. Und weil da vor der Tür ein Besen herumstand, habe er versucht, die Tür, durch die er eben hinausgedrängt worden war, aufzuhebeln. Leider vergeblich. Der Besenstiel brach ab, und er verletzte sich dadurch an der Hand. Weil er so in seiner Sache nicht weiterkam, drohte er offenbar mit der Polizei, wohl in der Meinung, dass ihm in Deutschland die Polizei zu Arbeit und Brot verhelfen könne. „Das ist in Pakistan so“, sagt er. Die Richterin ist verwundert, passt doch das beim Zeugen festgestellte Verletzungsbild nicht zu der Geschichte vom gebrochenen Besenstiel. Auch als die Richterin den Zeugen nochmals ausdrücklich auf die Wahrheitspflicht hinweist, bleibt der Zeuge bei seiner Version. „Dann haben Sie also bei der Polizei falsche Angaben gemacht?“, fragt sie. Der Zeuge entzieht sich einer eindeutigen Antwort.

Die Verhandlung wird unterbrochen. Staatsanwalt, Richterin und die beiden Verteidiger beraten die Sachlage. Anschließend sprechen die Verteidiger nochmals mit ihren Mandanten. Ergebnis: Das Verfahren wird eingestellt.

Der Staatsanwalt ist sauer. Sauer vor allem auf den Zeugen. Gerade eben habe er mit dem Polizeibeamten gesprochen, der vor dem Gerichtssaal wartete, um als Zeuge aufgerufen zu werden. Dieser hatte vor Ort besagten Besenstiel in Augenschein genommen. Der sei nicht abgebrochen gewesen. Der Staatsanwalt munkelt etwas davon, dass dies noch ein Nachspiel für den Zeugen haben könne.

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Erstellt:
10. Januar 2020, 06:00 Uhr

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