Das Jahr der Helene Fischer

2018 war sie so erfolgreich wie noch nie – Was wird 2019?

Pop - Ausverkaufte Konzerthallen und Fußballstadien, Spitzenplätze in den CD-Charts und im Popbusiness: Es gibt Erfolg, der ist quantitativ kaum zu steigern. Deswegen hat Helene Fischer offenbar anderes im Sinn.

Am besten, man macht Witze über Helene Fischer. Das geht immer. „Hab jetzt Helene Fischer als Weckton. Seitdem bin ich immer fünf Minuten früher wach, damit ich mir das nicht anhören muss.“ Egal, wie unbekannt die Runde ist, in die man gerät, auf kein anderes gemeinsames Augenroll-und-Mundwinkelverzieh-Thema kann man in Deutschland so blind spekulieren wie auf die derzeit erfolgreichste Unterhaltungskünstlerin. „Glückwunsch, Sie haben zwei Helene-Fischer-Konzertkarten gewonnen. – Kann ich auch einfach nur jemanden grüßen?’“

Das ist das eine.

Und auf der anderen Seite geht ein Jahr zu Ende, das von ganz anderen Gefühlen des Publikums für Helene Fischer spricht. Von Herbst 2017 bis Frühjahr 2018 hat sie 63-mal die großen Konzerthallen im deutschsprachigen Raum bespielt; allein in Stuttgart war die Schleyerhalle an fünf aufeinander folgenden Abenden im Januar ausverkauft. Und unmittelbar nach dieser Tour hat Fischer im Sommer noch 13 Stadionkonzerte gegeben – auch eines in Stuttgart, wieder ausverkauft. Das am meisten verkaufte Popalbum in Deutschland 2018 heißt schlicht „Helene Fischer“. Und es hat alle Konkurrenten geschlagen, obwohl es bereits im Mai 2017 erschienen ist. 2017 war es übrigens auch schon der Charts-Spitzenreiter.

2005 hatte Helene Fischer ihren ersten Auftritt als Sängerin im deutschen Fernsehen, da war sie 21 Jahre alt. Inzwischen ist sie 34 – und womöglich an einer Wendemarke ihrer bisher ziemlich einmaligen Karriere. Dass die deutsche „Vogue“ im Januar-Heft zum Auftakt ihres 40-Jahr-Jubiläums die Fischer auf dem Cover abbildet, mag man auf den ersten Blick noch als weitere gelungene PR-Aktion verbuchen, für beide Seiten. Aber nicht mehr auf den zweiten Blick. Denn was der internationale Fotografenstar Peter Lindbergh im Heftinneren auf rund 30 Seiten präsentiert, ist ganz sicher nicht die Helene Fischer, die ihre Fans zum Bejubeln gewohnt sind.

Die „Vogue“-Fischer ist alles andere als eine Traumprinzessin, eine makellose Glamour-Queen, ein strahlend blonder Schlager-Engel. Es ist eine Fischer konsequent in Schwarz-Weiß, eine höchst selbstbewusste Mittdreißigerin überwiegend in Tanzposen. Das, was wir von ihrem Körper sehen, ist, oberflächlich ausgedrückt, offensichtlich in Topform. Oder, um es genauer auszudrücken: Lindberg und Fischer zeigen, wie viel Training, wie viel Muskeln, wie viel Arbeit in der Performance der Künstlerin stecken.

Kurzum: Nach ihrem Auftritt in der ­„Vogue“ ist Helene Fischer endgültig kein glattes Glanzprodukt mehr. Das süße Märchen ist zu Ende. Entertainment ist eben doch kein reines Spiel. Und das ist sie ja – jeder weiß das, der sie schon mal live in ihrem Konzert erlebt hat: eine überdurchschnittlich begabte deutsche Entertainerin. Sie kann davon ausgehen, dass die ­„Vogue“- Fotos nicht allen Fans gefallen werden (und entsprechende Kommentare gab es auch schon). Sie nimmt das offenbar in Kauf.

Auch an anderen Stellen hat Fischer in diesem Jahr Dinge getan, die nicht all ihren Fans gefallen haben dürften. Nach den Ausschreitungen von Chemnitz Anfang September schrieb sie bei Instagram: „Wir können und dürfen nicht ausblenden, was zurzeit in unserem Land passiert, doch wir können zum Glück auch sehen, wie groß der Zusammenhalt gleichzeitig ist“, und fügt unter anderem #wirbrechendasschweigen und #wirsindmehr an, die Hashtags der Popmusiker-Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit. Eine derart eindeutige politische Positionierung ist in Schlagerkreisen sehr unüblich. Politische Festlegungen jenseits von Tierschutz oder Hungerhilfe meiden die Stars dieser Szene mit raren Ausnahmen so heftig wie der Teufel das Weihwasser; sie haben viel zu viel Angst vor Shitstorms und Dislikes auf ihren Netzwerkprofilen.

Da ist es nur konsequent, dass Fischer in ihrer jüngsten TV-Show am ersten Weihnachtstag ein Duett mit der in der Öffentlichkeit und auf der Bühne selbstbewusst lesbisch auftretenden Schlagersängerin Kerstin Ott singt: Ihr gemeinsames Lied „Regenbogenfarben“ tritt für eine selbstbewusst diverse, also vielfältige deutsche Gesellschaft ein – und hat das Zeug, im Sommer 2019 auf den Christopher-Street-Day-Paraden zumindest unter den schlageraffinen Teilnehmern zur Mitsing-Hymne zu werden.

Glätte anschmirgeln, angreifbarer werden, vielschichtiger, dabei aber nie an Perfektion verlieren: Wenn nicht alles täuscht, müsste sich das auch musikalisch ausdrücken auf einem neuen Album, das im Herbst 2019 eigentlich gut platziert wäre. Und, mit Verlaub, bei diesem veränderten Konzept passt es auch, eine langjährige Beziehung mit dem Volksmusik-sternchen Florian Silbereisen nun auch offiziell zu beenden – eine Beziehung, deren PR-Qualität aber eben auch stets einen Tick zu offensichtlich war.

Das Jahr 2018 war das Jahr der Helene Fischer. 2014/2015 war es schon einmal maximal erfolgreich für sie gelaufen; damals dachten viele, das läge nur am Hype um den Fußballweltmeister, an dessen Triumph sie sich mit „Atemlos“ geschickt drangehängt hätte. Vier Jahre später scheitert die deutsche Herren-Fußballmanschaft in der WM-Vorrunde, aber Helene Fischer ist weiter spitze. „New York Times“ und „Forbes“ zählen sie zu den Top Ten der Spitzenverdienerinnen im internationalen Popgeschäft. Was will sie quantitativ da noch steigern? Alles, was sie mit jetzt gerade mal 34 Jahren neu erreichen kann, sind neue Qualitäten: Ecken, Kanten, Differenz, Spiel, Experiment. Das Potenzial dazu hat sie wie keine andere, kein anderer hierzulande. Es wird neue Witze geben. Aber sie wird viele von uns gut und anspruchsvoll unterhalten. Ein Misanthrop, der daran per se nur Böses finden kann.

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Erstellt:
31. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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