Das Jugendamt Rems-Murr ächzt unter steigender Belastung

Mehr Hilfsbedarf, steigende Ansprüche und zugleich fehlende Kapazitäten: Kreisjugendamtsleiter Holger Gläss zeichnet ein düsteres Bild.

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen ist angestiegen. Symbolfoto: Romolo Tavani - stock.adobe.com

© Romolo Tavani - stock.adobe.com

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen ist angestiegen. Symbolfoto: Romolo Tavani - stock.adobe.com

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Ein Dilemma bestimmt derzeit die Arbeit des Kreisjugendamts, wie dessen Leiter Holger Gläss im Jugendhilfeausschuss des Kreistags erläuterte. Einerseits wird der Bedarf an Hilfen durch äußere Faktoren wie Inflation und Armut, Krieg und Flucht sowie Folgen der Coronapandemie größer und die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwa in Sachen Inklusion definieren höhere Standards. Zugleich werden die Rahmenbedingungen für die Behörden aber schwieriger: Es mangelt an Personal und Räumen, was einen Ausbau der Angebote bremst. Die Mitarbeiter seien sehr stark belastet, zudem gebe es einige Vakanzen. „Wir sehen ein immer größeres Auseinanderklaffen“, lautete die Folgerung des Amtsleiters. Deshalb gelte es nun, zu priorisieren. „Das heißt, auch Dinge wegzulassen“, so Gläss.

Wie genau sich die Problematik darstellt, zeigte der Jahresbericht des Kreisjugendamts für das Jahr 2022 auf. Diesen stellte Holger Gläss vor – in der Hoffnung auf Verständnis dafür, dass man nicht allen Ansprüchen gerecht werden könne. Daraus geht hervor, dass bei den meisten Hilfen des Amts ein mehr oder minder deutlicher Anstieg verzeichnet wurde. „Wir haben eine unglaublich starke Dynamik in fast allen Bereichen“, führte Gläss aus. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Schulbegleitungen für Kinder mit Behinderung. Seit 2018 haben sich die Fälle der inklusiven Beschulung verdoppelt: von 147 auf 308 im vergangenen Jahr.

Aber auch in anderen Bereichen verzeichnet das Jugendamt steigende Fallzahlen – etwa bei den unbegleiteten minderjährigen Ausländern, kurz Umas. „Wir liegen noch unter den Höchstwerten der Jahre 2015, 2016 und 2017“, ordnete Holger Gläss ein. Allerdings sei die Ausgangssituation eine andere, „die wir subjektiv als deutlich dramatischer empfinden“. Denn anders als vor einigen Jahren fehlt dem Amt aktuell das Personal und auch den Wohnraum ist knapp. „Wir können keine zusätzlichen Gruppen in Wohnheimen aufmachen“, erläuterte der Amtsleiter die Folge. Zum Teil müssten Minderjährige in den Gemeinschaftsunterkünften für Erwachsene untergebracht werden – keine ideale Situation, die auch in der Vergangenheit bereits Schwierigkeiten verursacht habe. Und trotz dieser Vorgehensweise, hat der Rems-Murr-Kreis sein Soll bei der Unterbringung der Umas nicht erreicht. „Wir sind derzeit mit 18 Personen im Minus“, verdeutlichte Gläss. Das bedeutet: Das Land könnte dem Landkreis noch mehr Personen zuweisen. „Aber wir wissen noch nicht, wo wir sie unterbringen sollen“, stellt sich für das Amt die Problematik dar.

Deutlich mehr Fälle der Kindeswohlgefährdung

Ebenfalls deutlich nach oben gegangen ist die Zahl der Kindeswohlgefährdungen im Rems-Murr-Kreis. Im Jahr 2021 wurden noch 270 Verfahren zur Einschätzung dessen, ob eine Gefährdung vorliegt, eingeleitet. Im vergangenen Jahr waren es 365 Verfahren. In etwa der Hälfte der Fälle, genauer gesagt bei 159 Kindern, kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass eine Gefährdung vorliegt. 2021 kam man in 105 Fällen zu diesem Ergebnis. Entsprechend gestiegen sind auch die Inobhutnahmen, das stelle eine große Belastung dar, so Gläss. Denn sein Amt verzeichne einen gewissen Stillstand in Sachen Pflegefamilien. Schon vor gut zehn Jahren sei dies prognostiziert worden. Nun habe man den „Sättigungsgrad von Familien, die bereit sind, ein Kind bei sich aufzunehmen“ erreicht. Das Jugendamt arbeite mit Nachdruck daran, dass die Zahl der Familien nicht noch weiter sinkt. Denn sie seien eine gute Alternative zu einer stationären Unterbringung in Wohnheimgruppen, sagte Gläss.

Bettina Jenner-Wanek (CDU) zeigte sich „ein bisschen deprimiert“ angesichts der dargestellten Situation, welche Jahr um Jahr schlechter werde. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Gremiums auf die Quoten derjenigen Menschen in den einzelnen Kreiskommunen, die SGB-II-Leistungen erhalten. Laut Bericht des Kreisjugendamts ist diese ein harter Indikator für Armut. In drei Kommunen ist dieser Wert vor allem bei unter 15-Jährigen besonders hoch: in Backnang (11,6 Prozent), Sulzbach an der Murr (10,8 Prozent) und Murrhardt (10,3 Prozent). Auf die Nachfrage Jenner-Waneks nach dem Grund hierfür musste Holger Gläss passen. „Dafür habe ich keine Erklärung parat.“ Er nehme dies aber ernst und versprach, nachzuhaken. Gislind Gruber-Seibold (SPD) vermutete einen Zusammenhang mit der Arbeitslosenquote, welche in diesem Gebiet höher sei.

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Erstellt:
26. Juli 2023, 06:00 Uhr

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