Das Zwiebelfest ist Geschichte
Wirte von beliebtem Hock in Esslingen sind sauer auf Stadtverwaltung – Stuttgarter Event-Gastronom übernimmt Sommerfest womöglich
Die Esslinger Zwiebelfestwirte wollen keine Lückenfüller sein. Weil sie sich von der Stadt schlecht behandelt fühlen, verzichten sie auf die Möglichkeit, ihr Fest noch zwei Jahre auszurichten.
Esslingen Die Nachricht hat Gerd Trautwein im vergangenen Mai wie ein Faustschlag getroffen. Erst wenige Monate zuvor hatte der ursprünglich aus Esslingen stammende und nun von Ostfildern aus wirkende Gastronom seinem Vater am Sterbebett noch geschworen, er werde sich so lange wie irgendwie möglich um das Esslinger Zwiebelfest kümmern. Denn Rolf Trautwein war einer von den Esslinger Gastronomen, die Mitte der 1980er Jahre die Idee hatten, auf dem Marktplatz einen sommerlichen Hock von Esslinger Wirten für Esslinger Bürger zu organisieren. Die Idee des Zwiebelfests war geboren. „Für ihn war das Zwiebelfest eine Lebensaufgabe, die er mit viel Herzblut erfüllt hat“, erinnert sich Gerd Trautwein an seinen Vater.
Doch im Mai musste Gerd Trautwein aus der Zeitung erfahren, dass das Ende des Zwiebelfests längst beschlossen war. Zwar wussten er und seine in der Zwiebelfestgesellschaft organisierten Mitstreiter, dass der Gemeinderat den Esslinger Stadtmarketing- und Tourismuschef Michael Metzler beauftragt hatte, sich Gedanken über eine Weiterentwicklung oder gar eine Neukonzeption der Traditionsveranstaltung zu machen. Doch dass Metzler diese Pläne vorantrieb, ohne auch nur einmal das Gespräch mit den Hauptbetroffenen, den Zwiebelfestwirten, zu suchen, hat Trautwein erschüttert. Und es hat Konsequenzen.
Wer am 13. August, demletzten Abend des Zwiebelfests 2018, noch ein Gläschen Wein auf dem Marktplatz getrunken hat, hat das an einem geradezu historischen Tag getan – ohne es damals zu ahnen. Heute weiß man: Es ist der allerletzte Tag in der 32-jährigen Geschichte der Traditionshocketse gewesen.
„Für uns ist das Kapitel Zwiebelfest abgeschlossen“, erklärt das Urgestein Trautwein für sich und Frank Jehle, den Geschäftsführer der Zwiebelfestgesellschaft. Ihre Absage verbinden sie mit schweren Vorwürfen an die Verwaltung und den Gemeinderat. Zwar hatte das Gremium den Wirten in Aussicht gestellt, den Marktplatz in der Zeit, in der Metzler seinen neuen Hock auf die Beine stellt –2021 soll es so weit sein–, weiter für ihr Fest nutzen zu können. „Wir haben es aber nicht nötig, für zwei Jahre den Lückenbüßer zu spielen“, sagt Trautwein. Das Vorgehen der Stadt erinnere ihn an das berühmte Schiller-Zitat: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“
Die Art und Weise, wie Gemeinderat, Stadtmarketing (EST) und Rathaus in den vergangenen Monaten mit den Zwiebelfestwirten als langjährigen Geschäftspartner umgegangen seien, sei nicht tragbar, betonen Jehle und Trautwein unisono. Immer hätten sie ihre Bereitschaft betont, zusammen mit der Stadt und der EST nach Weiterentwicklungsmöglichkeiten für das Zwiebelfest zu suchen. „Man hat uns einfach vor vollendete Tatsachen gestellt – und zerschlägt, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne mit den Betroffenen zu reden, ein Unternehmen, das sich jahrelang um die Außenwirkung der Stadt verdient gemacht hat“, sagt Jehle. „Die Stadt vernichtet ganz einfach eine GmbH: So geht ein zuverlässiger Geschäftspartner einfach nicht mit seinen Kunden um.“ Und er betont: „Die Zwiebelfestwirte sind gute und zuverlässige Kunden der Stadt gewesen und haben stets für alle Dienstleistungen, die ihnen die Stadt in Rechnung gestellt hat, bezahlt.“
Besonders enttäuscht sind die Mitglieder der Zwiebelfestgesellschaft von Michael Metzler. Denn obwohl der EST-Chef von den Freien Wählern und den Grünen aufgefordert worden sei, auch nach der Grundsatzentscheidung im Oktober noch einmal das Gespräch mit den Zwiebelfestwirten zu suchen, habe sich Metzler bis heute nicht mehr bei ihnen gemeldet. Frank Jehle: „Deutlicher kann er wohl nicht signalisieren, dass er kein Interesse an uns hat.“
Metzler weist diese Anschuldigungen zurück. Man habe zuerst rechtliche Fragen klären müssen. „Natürlich werden wir das Gespräch mit allen Esslinger Wirten suchen, um eine für alle akzeptable Lösung zu finden“, sagt er. Das werde voraussichtlich im Frühjahr geschehen.
Wer das Zwiebelfest und den Wirbel darum verstehen will, muss ein bisschen in die Vergangenheit schauen. Aktuell wird in Esslingen intensiv über einen geeigneten Standort für eine Bücherei und das drohende Verkehrschaos diskutiert, das durch diverse Straßensanierungen und den Neubau der Esslinger Neckarbrücken zu entstehen droht. Über all die Jahre betrachtet, gibt es in der Stadt aber wohl kein Ereignis, das derart viele Schlagzeilen produziert hat wie das Zwiebelfest. Zwar lockte es mit hochwertiger, allerdings auch recht kostspieliger regionaler Küche alljährlich Abertausende Gäste auf den pittoresken, von historischen Häusern umrahmten Marktplatz. Die Liste der Themen aber, über die meist im Vorfeld des Fests immer wieder heftig gestritten wurde, ist lang.
Mal ging es um die Frage, ob den Gästen eines Esslinger Weinfests vorrangig Bottwartaler Tropfen zugemutet werden können, weil die dortige Kellerei als Hauptsponsor aufgetreten war. Ein anderes Mal hat sich der Oberbürgermeister Jürgen Zieger Kritik dafür gefallen lassen müssen, dass er sich für die Teilnahme eines Wirts eingesetzt hat, von dem sich die Zwiebelfestgesellschaft aus guten Gründen getrennt hatte. Und zuletzt hatte ein selbst ernannter „Freundeskreis für ein traditionelles Zwiebelfest“ – vor allem Freunde des geschassten Zwiebelfestwirts – immer wieder versucht, das Zwiebelfest infrage zu stellen. Über alldem schwebte stets die Frage, ob ausreichend Esslinger Wirte auf dem Marktplatz vertreten sind oder ob sich dort zu Zwiebelfestzeiten nicht zu viele Gastronomen aus Plochingen, dem Schurwald oder aus Ostfildern tummeln.
Vor diesem Hintergrund birgt die neueste Entwicklung rund ums Zwiebelfest gewiss auch Sprengstoff. Denn am Dienstag ist bekannt geworden, dass der Stuttgarter Event-Gastronom Christian List bereits im Dezember beim Ordnungsamt eine Genehmigung für ein Esslinger Marktplatzfest im August 2019 und 2020 beantragt hat. List, 2018 erstmals Kooperationspartner des Zwiebelfests, ist zwar als Pächter des Roten Hirschs auf dem Esslinger Weißinger-Areal tätig, seine Hauptwirkungsstätte ist aber die Landeshauptstadt. So etwas wird in Esslingen durchaus kritisch betrachtet.
„Es wird nicht mehr das Zwiebelfest sein“, betont List. Große Veränderungen plane er aber gegenüber dem bisherigen Konzept nicht. Zwar soll es statt Holzlauben Zelte geben – die aber will er wie die Zwiebelfestwirte ihre Lauben am Rand des Marktplatzes aufstellen. Auch der so entstehende Trutzburgcharakter hat immer wieder zu Diskussionen geführt.
„Das ist ganz klar nur eine Interimslösung, um zu gewährleisten, dass der Marktplatz nicht zwei Sommer lang ungenutzt bleibt“, betont List. Er werde sich nun intensiv nach gastronomischen Partnern umsehen, die mit ihm zusammen das neue Fest auf die Beine stellen wollten. Im Jahr 2021 soll dann das von der Stadt organisierte Nachfolgefest seine Premiere feiern.
Ob List allerdings, trotz positiver Signale aus dem Rathaus, den Zuschlag für die Freilufthocketse erhält, ist momentan noch vollkommen offen. Denn entsprechend den Esslinger Freiluftrichtlinien haben Konkurrenten noch bis zum 31. März die Gelegenheit, ihrerseits die Nutzung des Marktplatzes in den Sommermonaten zu beantragen. Da ist noch manche Überraschung möglich. Der Esslinger Sommerhock wird also auch weiterhin für viele Schlagzeilen gut sein.