Der 45-Millionen-Fall schleppt sich

Geldwäscheprozess um einen Schorndorfer Goldhändler und drei Mitangeklagte vor dem Stuttgarter Landgericht

In einem Prozess vor dem Landgericht Stuttgart geht es derzeit um Geldwäsche. Angeklagt ist unter anderem ein Mann aus Schorndorf. Symbolfoto:  BilderBox, E. Wodicka

© BilderBox - Erwin Wodicka

In einem Prozess vor dem Landgericht Stuttgart geht es derzeit um Geldwäsche. Angeklagt ist unter anderem ein Mann aus Schorndorf. Symbolfoto: BilderBox, E. Wodicka

Von Peter Schwarz

SCHORNDORF/STUTTGART. 45 Millionen Euro in bar. Goldbarren, die durch halb Europa wandern. Briefkastenfirmen in London. Geheimnisvolle Adressen in Dubai: Das sind die Zutaten eines Stuttgarter Landgerichtsthrillers. Hauptangeklagt: ein 45-jähriger Schorndorfer. Vorwurf: Geldwäsche nach Drogen-Geschäften. Aber: Auch ein höchst spannender Fall kann sich manchmal zutiefst langatmig dahinschleppen – wer sich so einen Prozess vorstellt wie einen Gerichtsthriller im Kino, der erleidet derzeit im Stuttgarter Landgericht einen Realitätsschock nach dem anderen: Tag drei in der Geldwäscheverhandlung um 45 Millionen Euro in bar war für alle Beteiligten eine harte Geduldsprobe. Die Anklage zaubert Belastungszeugen aus dem Hut, die Verteidigung macht im Kreuzverhör Semmelbrösel aus ihnen, und nach knackigen zwei Stunden endet alles mit einem Knalleffekt: So kennen wir das aus dem Kino. In echt läuft es anders.

Dieser Fall ist von spektakulärer Dimension. Der genaue Vorwurf: Ein Schorndorfer Goldhändler und drei Mitangeklagte sollen über Monate hinweg insgesamt 45 Millionen Euro Bares aus Drogengeschäften in Holland nach Dubai geschafft haben. Um die schmutzige Herkunft des Geldes zu verschleiern, hätten sie, so die Staatsanwaltschaft, die Riesensummen als angebliche Bezahlung für fingierte Goldeinkäufe deklariert.

Die vier Angeklagten haben sieben Anwälte zur Seite sitzen: ein veritables Starensemble. Da ist zum Beispiel der Kölner Mustafa Kaplan: Sein bislang berühmtester Mandant war Präsident Erdogan im Streit um Jan Böhmermanns Schmähgedicht. Oder der Stuttgarter Werner Haimayer: ein hoch geachtetes Strafrecht-Schlachtross, einst Mitarbeiter im Team des legendären Rolf Bossi. Oder Martin Heising aus Bonn: Der beeindruckend vollbärtige Mann – laut Internet-Selbstauskunft 1996 zum Islam konvertiert – kombiniert härteste Argumente mit vollendeten Umgangsformen und streitet derart charmant mit Richterin Manuela Haußmann um Formalien und Verfahrensdetails, dass man sich als Laie fast fühlt, als werde man Intimzeuge exotischer Flirt-Strategien im Juristenmilieu. All das verspricht süffige Gerichtstage. Allein, in diesem Fall können selbst sogenannte prozessbeschleunigende Maßnahmen sich ziehen wie Kaugummi. Weil es fünf Regalmeter Akten gibt, wird ein Teil der Unterlagen im „Selbstleseverfahren“ eingeführt, also nicht im Saal vorgetragen, sondern den Prozessbeteiligten als Hausaufgabe zur Lektüre mitgegeben. Nur: Von jedem einzelnen Schriftstück, das nicht verlesen wird, muss zumindest der Titel eben doch verlesen werden – was am ersten Verhandlungstag in einem der berüchtigt stickigen Stuttgarter Landgerichtssäle anderthalb Stunden dauerte und damit wohl den Tatbestand der strafprozessual erlaubten Langeweilefolter erfüllte.

Und dann beginnt der dritte Tag auch noch mit einem retardierenden Moment: einer Rückschau auf den zweiten. Eine Zollfahnderin hatte da erzählt, wie sich ihr Verdacht gegen den Schorndorfer Goldhändler erhärtete, nun stellt ihr Martin Heising nachträglich ein Zeugnis aus: Die Ermittlerin habe mit „unterirdischer Sachkunde geglänzt“. Bei „ganz normalem Goldhandel“ habe sie Geldwäsche gewittert – eine „Vermutung, die durch nichts bewiesen“ sei. Die ganze Anklage leide an „offensichtlichen Defiziten“. Worauf Oberstaatsanwalt Michael Wahl kontert: Heising begehe einen „kapitalen Denkfehler“ – die Frau habe nicht die gesamten Anklage-Erkenntnisse ausgebreitet, sondern nur den Beginn der Ermittlungen skizziert. Daraus zu folgern, es sei nichts dran an all dem, sei „gelinde gesagt daneben“. Nach diesem Schaugefecht werden drei bei einer Telefonüberwachung aufgezeichnete Gespräche abgespielt: die Frau des Goldhändlers – seine Buchhalterin im Geldwäsche-Business, wie die Anklage vermutet – im Austausch mit einer Steuerberaterin. Wir hören unter anderem: Wie die Gattin klagt, sie habe „die Schnauze voll von Deutschland“ und wolle „auswandern“; wie die Steuerberaterin einfühlsam zustimmt, ja, diese bürokratischen „Idioten“ in den Behörden seien „alle nicht ganz dicht“ und wollten „Leute, die versuchen, ehrlich zu sein, kleinkochen“; wie die Gattin über Kopfschmerz klagt; wie die Steuerberaterin „Entspannungsübungen und Bewegung an der frischen Luft“ empfiehlt. Auch über die Tondokumente entbrennt umgehend ein Deutungsstreit: Dieses „Getratsche ohne Tiefgang“, findet Anwältin Margrete Haimayer, beweise, dass ihre Mandantin nur „einfache Bürotätigkeiten“ ausgeübt habe und über kein „Tat- und Sachwissen“ verfüge. Oberstaatsanwalt Wahl dagegen findet die Gespräche „sehr interessant“: Er glaubt, an der einen und anderen Stelle herausgehört zu haben, dass die Gattin durchaus in die Geldwäschegeschäfte mit Dubai eingeweiht gewesen sei. Zum Ausklang des dritten Tages referiert eine Finanzermittlerin eine Stunde lang über diverse Konten der vier Angeklagten: Einzahlungen, Abhebungen, Bausparverträge, Lebensversicherungen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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Erstellt:
23. Juli 2019, 06:00 Uhr

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