Der Chefkritiker will es besser machen

In den vergangenen Jahren hat Andreas Brunold viele Entscheidungen der Backnanger Stadtverwaltung kritisiert, jetzt will er deren Chef werden. Der 65-jährige Universitätsprofessor möchte ökologischen Interessen künftig mehr Gewicht geben.

Der Blick auf den Breitbandatlas macht Andreas Brunold (Mitte) keine Freude: Beim Glasfasernetz ist Backnang noch ein fast weißer Fleck. Die Geschäftsführer der Firma tkt Vivax, Sven Siebrands (links) und Florian Donath, wüssten, wie sich der Ausbau beschleunigen ließe.Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Der Blick auf den Breitbandatlas macht Andreas Brunold (Mitte) keine Freude: Beim Glasfasernetz ist Backnang noch ein fast weißer Fleck. Die Geschäftsführer der Firma tkt Vivax, Sven Siebrands (links) und Florian Donath, wüssten, wie sich der Ausbau beschleunigen ließe.Foto: J. Fiedler

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Andreas Brunold geht an Krücken – die Folgen einer Fußoperation vor einem Monat. Deshalb ist er auch verspätet in den Wahlkampf eingestiegen: Seine Plakate hängen erst seit wenigen Tagen in der Stadt. Doch die körperlichen Einschränkungen sind nur vorübergehend: Schon bald will der 65-Jährige wieder dreimal in der Woche auf dem Fußballplatz stehen, und der älteste der acht Kandidaten fühlt sich auch fit genug für eine neue berufliche Herausforderung als Backnanger Oberbürgermeister. Der Zeitpunkt ist günstig: Brunolds Professur an der Universität Augsburg, wo er seit 2005 politische Bildung lehrt, endet ohnehin nach dem Sommersemester. Statt in Pension zu gehen, würde der promovierte Politikwissenschaftler dann gerne ganz praktische Politik in seiner Heimatstadt Backnang machen.

Heute ist Brunold zu Gast bei der Firma tkt Vivax im Gewerbegebiet Süd. Sein Unternehmen habe deutschlandweit rund 100 Kommunen beim Breitbandausbau beraten, erzählt Geschäftsführer Florian Donath. Die Stadt Backnang war allerdings nicht dabei. Sie setzt als Mitglied im Zweckverband Breitbandausbau Rems-Murr auf eine Kooperation mit der Telekom. „Das Ergebnis sehen Sie hier“, sagt der zweite Geschäftsführer Sven Siebrands und zeigt auf eine Karte aus dem offiziellen Breitbandatlas des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Beim Glasfasernetz ist Backnang da noch ein weitgehend weißer Fleck. Zum Vergleich zeigt Siebrands Karten aus Schleswig-Holstein und Bayern: Dort ist Blau die dominierende Farbe, die Zahl der Haushalte mit Glasfaseranschluss ist wesentlich höher.

Für Andreas Brunold ist das schleppende Tempo beim Glasfaserausbau Teil eines grundlegenden Problems: Die Stadt Backnang gebe wichtige Infrastrukturprojekte aus der Hand und sei dadurch abhängig von privaten Unternehmen. Auch den Stillstand auf der Oberen Walke führt er darauf zurück: „Die Stadt hätte sich damals ein Vorkaufsrecht für die Flächen sichern müssen“, sagt Brunold. Nun gehöre das Gelände einem privaten Investor und dümple vor sich hin. Auch dass Backnang vor Jahren 49 Prozent der Anteile an den Stadtwerken an die EnBW verkauft hat, hält er für einen Fehler. Mit ihm als Oberbürgermeister werde die Stadt die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen und das „Tafelsilber“, das die Bürger mit ihren Steuern erwirtschaftet haben, nicht an private Investoren verscherbeln.

Andreas Brunold ist seit vielen Jahren als kritischer Begleiter der Backnanger Kommunalpolitik bekannt. Von 1994 bis 1999 saß er für die SPD im Gemeinderat. Seit einigen Jahren verfasst er als Vorstandsmitglied beim Ortsverband des BUND regelmäßig Stellungnahmen zu Bauvorhaben in der Stadt. Seine Einwände würden von der Verwaltung allerdings „regelmäßig niedergebügelt“, beklagt Brunold. „Der Gemeinderat bekommt davon oft gar keine Kenntnis.“ Mehrfach ist der streitbare Naturschützer auch gegen die Stadt vor Gericht gezogen, meistens wurden seine Klagen allerdings abgewiesen. Aber es gab auch Erfolge: Beim Bau des Annonaygartens musste die Verwaltung nach Brunolds Intervention einen Rechtsverstoß eingestehen und die verlorene Retentionsfläche nachträglich ausgleichen.

Falls er Oberbürgermeister wird, möchte Andreas Brunold die Gewichte in Backnang verschieben: Ökologische und ökonomische Interessen würde er künftig gleichberechtigt berücksichtigen. Als sichtbares Zeichen will er eine Vollzeitstelle für einen Umwelt- und Klimabeauftragten schaffen – als Kontrapunkt zum schon lange etablierten Wirtschaftsbeauftragten. Den Flächenfraß in Backnang möchte Brunold stoppen: Neue Flächen sollen nur noch bebaut werden, wenn zuvor andere entsiegelt wurden. Außerdem will Brunold bei allen Projekten, über die der Gemeinderat entscheiden muss, sogenannte Nachhaltigkeitsindikatoren angeben, damit die Stadträte wissen, welche Folgen ihre Entscheidung für die Umwelt hat, etwa durch Flächenverbrauch oder CO2-Ausstoß.

Zur OB-Kandidatur hat sich Brunold auch entschieden, weil die Grünen keinen eigenen Kandidaten gefunden haben und er ein klares ökologisches Bekenntnis in den Wahlprogrammen der Mitbewerber vermisst. Dass die Backnanger Grünen trotzdem nicht ihn, sondern den Berglener Bürgermeister Maximilian Friedrich unterstützen, hat ihn enttäuscht: „An meinen Themen kann es nicht liegen. Die decken die gesamte grüne Programmatik ab.“

„Es ist ein Trugschluss, dass Wissenschaftler nichts von der Praxis verstehen.“

Ein anderes Thema, das Andreas Brunold besonders am Herzen liegt, ist die Stärkung des Gemeinderats. „Um die Verwaltung kontrollieren zu können, muss der Gemeinderat auf Augenhöhe sein“, sagt der 65-Jährige. Das sei bislang aber nicht der Fall. Ex-OB Frank Nopper und sein Rathaus-Team hätten die Stadträte deshalb leicht „übertöpeln“ können, um die gewünschten Entscheidungen zu bekommen. Sein Ziel sei es deshalb, den Gemeinderat durch Fortbildungen und transparente Informationen so zu stärken, dass dieser seine Kontrollfunktion auch ausfüllen könne.

Dass er die fachlichen Voraussetzungen für das Amt des Oberbürgermeisters mitbringt, davon ist Andreas Brunold überzeugt: „Ich habe eine Promotion über Verkehrsplanung und Stadtentwicklung geschrieben. Dafür müssen Sie sich schon ganz gut auskennen“, sagt er. Einen Bebauungsplan zu lesen, sei für ihn Alltag. Und auch mit den Abläufen in einer Verwaltung sei er vertraut: „Eine Universität ist letztlich auch eine Behörde. Die Verwaltungsarbeit kostet mich die Hälfte meiner Arbeitszeit“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Politische Bildung und Politikdidaktik.

Er sei zwar Professor, aber kein abgehobener Theoretiker, betont Brunold: „Es ist ein Trugschluss, dass Wissenschaftler nichts von der Praxis verstehen“. Bevor man Dinge praktisch umsetzen könne, müsse man sie erst mal durchdacht haben. Privat sei er ein kommunikativer und bodenständiger Mensch und in der Stadt, in der er geboren wurde, fest verwurzelt. Fassanstich und Eröffnungsrede auf dem Straßenfest wären für ihn deshalb auch kein Problem, versichert Brunold, der erst auf dem zweiten Bildungsweg zum Abitur kam und vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn als Lehrer am Max-Born-Gymnasium unter anderem Sport unterrichtet hat.

Dass der Name Brunold für Teile des Gemeinderats und der Stadtverwaltung wegen seiner vielen Einwendungen und Klagen inzwischen ein rotes Tuch ist, sieht er nicht als Hinderungsgrund für eine konstruktive Zusammenarbeit in der Zukunft. „Meine Art ist es, nach vorne zu schauen, und da werde ich die Stadträte und auch die städtischen Mitarbeiter fördern“, kündigt er an.

Der Chefkritiker will es besser machen

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Erstellt:
4. März 2021, 06:00 Uhr

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