Weihnachts(un)kultur

Der fatale Trend zum frühen Christbaum

Immer mehr Familien stellen sich den Weihnachtsbaum schon zum 1. Advent in die Wohnung. Dabei wäre Warten so wichtig, sagt unser Autor Eberhard Wein.

Bei den Hoppenstedts war auch nicht alles Lametta, aber sie hatten wenigstens das richtige Timing.

© WDR/Radio Bremen/Foto Do Leibgir

Bei den Hoppenstedts war auch nicht alles Lametta, aber sie hatten wenigstens das richtige Timing.

Von Eberhard Wein

Früher freuten wir uns über weiße Weihnachten, heute sind wir froh, wenn es nicht kahle Weihnachten werden. Zwei Drittel aller Weihnachtsbäume, meldet das Statistische Bundesamt dieser Tage, werden schon im November geschlagen und ausgeliefert. Wir wollen das so. Denn in immer mehr Familien steht das Jahresendgewächs spätestens zum ersten Advent schwer behangen im überheizten Wohnzimmer.

Kein Wunder, dass wir die Geschenke am Ende unter einem Berg von Nadeln suchen müssen, als ob Ostern wäre. Und spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag fliegt der Baum dann endlich auf die Straße. Wir haben uns an dem Ding schlicht satt gesehen.

Alte Weisheiten gelten nicht mehr

Vorfreude ist die schönste Freude. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Alles zu seiner Zeit. Solche Sinnsprüche werden im Glühwein ertränkt, sobald das Thermometer unter 15 Grad sinkt. Die ersten Lebkuchen stehen im Oktober in den Supermarktregalen, Whams „Last Christmas“ dudelt von November an im Radio, und selbst Omas Selbstgebackenes wird spätestens Anfang Dezember aufgefuttert. Ursprünglich war der Advent eine Fastenzeit!

Es ist uns der Sinn fürs richtige Timing abhanden gekommen. Dabei ist die Vermittlung von Geduld eine zentrale Erziehungsaufgabe. Warten ist wichtig. Wer als Kind zu warten gelernt hat, so hat ein Test ergeben, ist besser in der Schule, entwickelt mehr Empathie und Frustresistenz im Leben und wird ein zufriedenerer Mensch. Aber heute will keiner mehr aufs Christkind warten.

Der Skandal um eine Kita ohne Christbaum

Vor zwei Jahren polterte Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) gegen eine Hamburger Kita, weil sie in der Adventszeit keinen Weihnachtsbaum aufstellen wollte. Als Verteidiger des christlichen Abendlands, fühlte sich der CSU-Politiker. Dabei bewies er damit nur seine eigene Kulturvergessenheit. Der Christbaum gehört nicht zum Advent, der gehört zu Weihnachten. Deshalb wird er frühestens am 23. Dezember aufgestellt – und keinen Tag früher! Wer das nicht schafft, soll mir bitte nie wieder mit dem christlichen Abendland kommen.

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Erstellt:
1. Dezember 2025, 12:44 Uhr

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