Der Jonglage-Akt des Bundestrainers
Julian Nagelsmann nominiert fünf VfB-Profis für die Partien gegen Italien, sortiert einen aus – und versetzt einen in den Wartestand.
Von Marco Seliger
Stuttgart - Was im Liga-Alltag zuletzt selten vorkam, gilt nun mit Blick auf die DFB-Elf. Der VfB Stuttgart liegt vorne, er führt – oder besser: immer noch. Bundestrainer Julian Nagelsmann nominierte fünf Profis des Vizemeisters für die Spiele im Nations-League-Viertelfinale gegen Italien (Hinspiel am 20. März in Mailand, Rückspiel drei Tage später in Dortmund). Der FC Bayern kommt auf vier Akteure. Ähnlich war es bereits im vergangenen Länderspiel-Herbst gewesen, als der VfB die Abstellungstabelle ebenso anführte – und ein Mann im Kader weiter fehlte, mit dem Nagelsmann nun mit Blick auf den Klassiker gegen Italien einen Paukenschlag setzte.
Der Münchner Leon Goretzka also kehrt nach 16 Monaten Abstinenz zurück in den Kreis des Nationalteams. Er ist damit im defensiven Mittelfeld wie der ebenfalls neu berufene Nadiem Amiri (FSV Mainz 05) ein neuer Konkurrent für den VfB-Profi Angelo Stiller – dessen Nominierung wie jene von Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt und Keeper Alexander Nübel schon vor der offiziellen Verkündung Nagelsmanns am Donnerstagvormittag klar gewesen war.
Etwas überraschender kamen dann die Berufungen des Flügelspielers Jamie Leweling und des kriselnden Stürmers Deniz Undav, der aus VfB-Sicht bei den Ausführungen Nagelsmanns ebenso im Fokus stand wie Torhüter Nübel – und zwei Nichtnominierte aus dem Team von Coach Sebastian Hoeneß. So sprach der Bundestrainer ausführlich über ein VfB-Quartett, mit diesem Inhalt:
Alexander Nübel Die Ausgangssituation war klar. Nach dem Wechselspiel im deutschen Tor zwischen Nübel und Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) bei den vergangenen Länderspielen wollte sich Nagelsmann vor den Partien gegen Italien in Abwesenheit des noch immer verletzten Marc-André ter Stegen auf eine Nummer eins festlegen. Das ist weiter der Plan – allerdings: Der Bundestrainer wird sein Geheimnis erst in der nächsten Woche lüften. Er wolle zunächst mit den Spielern sprechen, betont Nagelsmann am Donnerstag: „Es ist ja noch ein Bundesliga-Spieltag, an dem noch etwas passieren kann.“ Auf eines aber legt sich der Coach nochmals fest: „Stand jetzt ist geplant, dass wir für die beiden Spiele eine Nummer eins haben.“
Deniz Undav Ist er gegen Italien dabei oder ist er es angesichts seiner zuletzt schwachen Leistungen nicht? Diese Frage stellte sich bei Undav – jetzt ist klar: Der VfB-Angreifer steht in Nagelsmanns Kader. „Ich habe einen sehr guten Draht zu Deniz“, sagt der Coach, „er kriegt immer meine Meinung geradeheraus, so wie es ist.“ Undav wisse, so Nagelsmann, dass er nicht auf dem Peak – also dem Höhepunkt seiner Leistung – sei: „Trotzdem haben wir in der Offensive ein paar Spieler, die ausfallen, und Deniz hat dann auch eine Komponente, die Florian Wirtz sonst hat und die er einbringen kann.“
Wirtz ist neben Kai Havertz einer der prominenten Ausfälle in der Offensive, Undav soll den Topstar von Bayer Leverkusen nun ersetzen. „Demnach wollen wir Deniz dabei haben“, sagt Nagelsmann, „wenngleich er schon wieder Schritte gehen muss, um an seinen Leistungspeak zu kommen – das weiß er aber, und dann ist es auch unsere gemeinsame Aufgabe, ihn da wieder hinzubringen.“
Zur Erinnerung: Im Herbst erzielte Undav bei seinen insgesamt zwei Einsätzen in der DFB-Elf drei Tore. Daran will der kriselnde VfB-Stürmer nun gegen Italien anknüpfen.
Nick Woltemade Bei der Verkündung seines Kaders ist Nagelsmann am Donnerstag einigen Medienvertretern per Video zugeschaltet. Irgendwann geht es um einen Profi, der nicht nominiert ist: Nick Woltemade. Der Angreifer ist beim VfB der Mann der Stunde, Woltemade startet durch – tut das aber bei der DFB-Elf noch nicht gegen Italien.
Nagelsmann richtet sich, als es um Woltemade geht, direkt und recht pauschal an die besagten Medienvertreter – und sagt dies: „Es ist leider in der Medienwelt immer so: Ihr seid sehr schnelllebig unterwegs, wenn man aber bei Nick sieht, wie lange er schon Stammspieler beim VfB ist, wie lange er jetzt Tore schießt und wie lange er große Fußstapfen in Stuttgart hinterlässt – das geht jetzt nicht schon seit sieben Monaten so.“
Er finde schon, sagt Nagelsmann also weiter, „dass du über einen längeren Zeitraum und über eine gesamte Saison gute Leistungen bringen musst, wenn du A-Nationalspieler sein willst“. Das aber, so der Bundestrainer, sei mit Blick auf Woltemade nur der eine Punkt, denn: „Im Moment, in der Aktualität, hätte er es sich sicher verdient gehabt, dabei zu sein. Aber wir haben ja auch noch eine U-21-EM im Sommer, in der Nick eine tragende Rolle spielen kann – und höchstwahrscheinlich wird.“
Nagelsmann hat dabei auch die Club-WM (14. Juni bis 13. Juli) im Blick, die im Sommer teils parallel zur U-21-EM (11. bis 28. Juni) stattfindet. Ergo: „Einige Spieler der U 21 werden bei der EM nicht spielen, weil sie bei der Club-WM sind.“ Das ist Woltemade mit dem VfB nicht, weshalb er im Team der deutschen Junioren mehr denn je gebraucht wird. „Ich kann jetzt sagen ‚Ober sticht Unter’ und lade Nick ein – und wir haben auch darüber nachgedacht, ihn mitzunehmen gegen Italien“, sagt Nagelsmann: „Aber ich möchte versuchen, auch in der Gesamtheit des DFB zu denken und das zu tun, was gut und gesund ist für die jeweiligen Mannschaften.“
Was Nagelsmann unausgesprochen lässt: Spätestens nach der U-21-EM soll Woltemade dann gut für seine Mannschaft sein.
Chris Führich Als Nagelsmann über den VfB-Offensivmann spricht, verfällt er zunächst kurz ins Englische. „Er hat gerade keinen Top-Run, er hat zwar relativ viel Spielzeit, aber das Outcome ist überschaubar“, sagt der Trainer – und attestiert dem Linksaußen des VfB damit, dass er gerade keinen Top-Lauf habe und das Ergebnis bei der hohen Spielzeit, genau: überschaubar ist.
Dem kann man mit Blick auf Führichs jüngste Leistungen im Trikot des VfB kaum widersprechen – weshalb die Nichtnominierung daher auch folgerichtig ist.
Denn keine Frage, die aktuelle Krise des VfB ist auch eine des Chris Führich, dessen Leistungen in den vergangenen Wochen schwankend waren und dessen Effizienz vor des Gegners Tor zu wünschen übrig lässt. Bei seinen 24 Bundesliga-Einsätzen in dieser Runde erzielte der Offensivmann ein Tor und lieferte vier Vorlagen. Das meint Nagelsmann mit dem „überschaubaren Ergebnis“.
Der Bundestrainer also nominiert Führich nun im Gegensatz zu den vergangenen Länderspielen nicht – und geht, als er über die Gründe für seine Entscheidung spricht, ins Detail. Spieler von Clubs, bei denen es aktuell nicht hundertprozentig gut laufe, müssten, so sagt es Nagelsmann, herausstechen: „Oft hast du ein Gesamtgefüge wie beim VfB in der letzten Saison, das sehr gut funktioniert hat – dann hast du die Chance, mehr Spieler von diesem Club mitzunehmen, weil die vom Vertrauen her gerade gut sind und es gut läuft.“
Aktuell, ergänzt der Bundestrainer, laufe es aber beim VfB eben nicht herausragend gut: „Und dann ist die Einzelspieler-Leistung auch von Chris gerade so, dass mir das Outcome (also das Ergebnis, siehe oben) aktuell zu wenig ist.“ Ihm gehe es dabei, so Nagelsmann weiter, nicht nur „stupide um Vorlagen und Tore, sondern auch um gefühlt gefährliche Situationen vor dem gegnerischen Tor“. Nagelsmann sagt mit Blick auf Führich zum Schluss: „Am Ende muss ein Tick mehr herauskommen bei seinen Aktionen – wenn du seine Quote umgemünzt auf seine Spielzeit siehst, ist die einfach nicht gut genug.“