Brigade Litauen
Der Kanzler in Litauen: Der mittlere Bruder passt auf den kleinen auf
Kanzler Merz ist zum Aufstellungsappell der deutschen Brigade in Litauen gereist. Er findet klare Worte – und zeigt, wie er mit seinem Stil in der Außenpolitik etwas bewegen möchte.

© Michael Kappeler/dpa
Kanzler Merz beim Aufstellungsappell der neuen Bundeswehrbrigade in Vilnius, neben ihm der litauische Präsident Nauseda.
Von Tobias Peter
Als Friedrich Merz im Hof des Präsidentenpalastes in Vilnius den roten Teppich betritt, rückt er sich noch einmal das Jackett zurecht. Er nimmt die Hand des litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda und hält sie lang fest. Er lächelt und schaut Nauseda in die Augen.
Die Litauer fahren zum Empfang für Friedrich Merz (CDU) an diesem Tag alles auf, was geht. Soldaten in blauen, grünen und weißen Uniformen – mit Gewehren, Säbeln und, für die militärischen Ehren, natürlich auch mit Instrumenten. Die deutsche Nationalhymne erklingt. In der ersten Reihe stehen die Soldaten, die Klarinette spielen – es ist, ob Zufall oder nicht, ein Instrument, das auch Merz erlernt hat. Der Kanzler verbeugt sich vor dem Abschreiten der Soldatenreihen leicht. Höflichkeit ist ihm wichtig.
Es ist ein besonderer Tag. Für Litauen und für Deutschland. Wenn es in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ans Eingemachte ging, dann war Deutschland über Jahrzehnte ungefähr so wie der Schüler, der sich auf dem Pausenhof hinter seinem großen Bruder versteckt. Damit ist nun Schluss.
In der Sicherheitspolitik kann sich Deutschland nicht mehr verstecken
Denn beim großen Bruder, den USA, ist nicht klar, wie sehr er sich überhaupt noch dafür interessiert, Deutschland oder irgendjemand anderen zu beschützen. Gleichzeitig gilt seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: Deutschland kann sich nicht mehr verstecken. Es ist als mittelgroßer Bruder gefordert, für die Kleineren, nicht zuletzt die baltischen Staaten, einzustehen.
Dass die deutsche Rolle sich geändert hat und weiter ändern muss, wird nirgends so deutlich wie an diesem Donnerstag in Litauen. Merz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sind angereist, zur offiziellen Aufstellung einer deutschen Panzerbrigade in Litauen. Dass die Bundeswehr dauerhaft einen gefechtsbereiten Truppenverband im Ausland stationiert, ist für sie Neuland. Damit will Deutschland einen Beitrag leisten, um die Nato-Ostflanke abzusichern.
Die Botschaft an die baltischen Staaten: Deutschland steht – nicht nur mit schönen Worten, sondern tatsächlich mit Soldaten – an eurer Seite. Die Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: Greif nicht Litauen, Lettland und Estland an. Greif kein noch so kleines Nato-Land an.
Bei der Pressekonferenz im Präsidentenpalast unter hohen Kronleuchtern spricht Nauseda Merz kurz auf Deutsch mit „sehr geehrter Herr Bundeskanzler“ an. Der deutsche Kanzler richtet sich direkt an die Bevölkerung. „Liebe Litauerinnen und Litauer, Sie können sich auf uns, Sie können sich auf Deutschland verlassen.“ Er spricht diese Sätze druckvoll ins Mikrofon.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betont Merz, die Europäer handelten gemeinsam. Wenn immer möglic h im Team mit den USA. Aus Merz’ Sicht geht es jetzt offenbar darum, zu US-Präsident Donald Trump sooft wie möglich die Hand auszustrecken – auch wenn man nie weiß, was Trump mit dieser Hand machen wird. Klar ist nur: Ohne die USA sind dauerhaft tragfähige Lösungen schwer.
In Litauen wird die neue deutsche Rolle mit dem Aufstellungsappell für die Brigade an diesem Tag feierlich besiegelt. Hunderte deutsche Soldaten treten auf dem Kathedralenplatz der Hauptstadt Vilnius an. Die Brigade bekommt ihre Truppenfahne, ein litauisches und ein deutsches Fahnenband sowie ihren Beinamen „Litauen“ verliehen.
Litauens Präsident verspricht einen Empfang mit „offenen Herzen“
Litauens Präsident versichert den Soldaten, sie würden mit „offenen Herzen“ empfangen. Viele Schaulustige sind gekommen. Als es anfängt zu regnen, bietet ein Litauer deutschen Soldaten, die am Rand stehen, seinen Schirm an.
Hier wird also die Zeitenwende für die deutschen Soldaten konkret. 400 Bundeswehrangehörige sind schon hier stationiert, bis zum Jahresende sollen es 500 sein. Ende 2027 soll die Panzerbrigade voll einsatzfähig sein – mit bis zu 5000 Soldaten.
Ob die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch tatsächlich verteidigt worden ist, wie es der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Jahr 2002 mit Blick auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gesagt hat, darüber lässt sich streiten. In Rukla und Rudnikai, wo die Soldaten in Litauen stationiert sein werden, wird deutsche Sicherheit verteidigt. Wenn Putin die baltischen Staaten angreifen sollte, wäre das nur ein Anfang.
Das Projekt in Litauen ist eine logistische Herausforderung. Es braucht Kasernen und Truppenübungsplätze. Soldaten werden ihre Familien mitbringen. Es braucht Kinderbetreuungsplätze und Schulen. Hier ist auch die litauische Seite stark gefordert.
An Tagen wie diesen dürfte aber für Kanzler Merz auch besonders deutlich werden, dass der Erfolg seiner außen- und sicherheitspolitischen Agenda auch stark von der Arbeit eines Sozialdemokraten abhängen wird. Davon, wie gut Verteidigungsminister Boris Pistorius die weitere Ausgestaltung der Zeitenwende in der Bundeswehr organisiert bekommt. Wächst die Truppe schnell genug? Bekommt der Minister das zusätzliche Geld, das durch die Reform der Schuldenbremse für Verteidigung bereitsteht, rasch und sinnvoll ausgegeben?
Merz’ Vorgänger Olaf Scholz (SPD) war vor ziemlich genau einem Jahr übrigens auch in Litauen. In blauer Jeans und braunen Wanderschuhen stand er im staubigen Sand eines Truppenübungsplatzes neben dem litauischen Präsidenten Nauseda. Im Hintergrund standen drei Radpanzer. Auch hier ging es bereits um den Plan für die deutsche Brigade in Litauen.
Es war ein guter Auftritt von Scholz – eigentlich. Er versprach, „dass wir einander Schutz gewähren und dass sich alle Staaten darauf verlassen können, dass wir jeden Zentimeter ihres Territoriums verteidigen werden.“ Es waren richtige Worte. Aber Scholz sagte sie leise und verschachtelt – fast, als wären sie nebensächlich. Er hat die Botschaft nicht transportiert.
Kanzler Merz sagt in seiner englischsprachigen Rede auf dem Kathedralenplatz in Vilnius mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: „Wir müssen in der Lage sein, uns selbst jederzeit gegen solche Angriffe zu verteidigen.“ Mit Betonung auf „müssen“. Freiheit, sagt Merz, gebe es nicht kostenlos.
Von strategischer Bedeutung
Engstelle Bei der Suwałki-Lücke (siehe Grafik) handelt es sich um das dünn besiedelte Gebiet nahe der Grenze zwischen Litauen und Polen. Es bildet eine Engstelle der Landverbindung zwischen dem Baltikum und den anderen Nato-Partnern. Zugleich reicht dort das Territorium der russischen Exklave Kaliningrad sehr nah an Belarus heran. red